Süddeutsche Zeitung

TSV 1860:Das Rätsel ums Löwen-Maskottchen

Lesezeit: 3 min

Wer steckt unter dem Kostüm? Die Sechziger verraten es nicht. Aber es gibt einige plausible Kandidaten.

Von Gerhard Fischer

Ailton, der schnelle, runde Brasilianer, hatte seine beste Zeit in Bremen. "Kugelblitz" nannten sie ihn ehrfürchtig. Dann ging er nach Gelsenkirchen zum FC Schalke 04, der Kohle wegen, und traf nicht mehr. Nun nannten sie ihn "Toni Torlos". Nach Monaten schoss er schließlich sein erstes Tor, und Ailton freute sich so sehr, dass er nicht nur seine Mitspieler herzte, sondern auch dem Maskottchen "Erwin" in die Arme sprang. Na ja: eher gegen den Schädel. Erwin verlor das Kopfteil, und man sah zum ersten Mal, wer unter der Maske verborgen war: Ein Mann namens Schnepel.

"Wir möchten das Maskottchen nicht entmythisieren"

Viele Fußball-Klubs haben Maskottchen: Gladbach hat das Fohlen Jünter, der Hamburger SV den Dino Hermann, Wolfsburg den Wolf Wölfi. Alle sind Menschen und haben Kostüme an (bloß der FC Köln hat den echten Geißbock Hennes). Aber wer steckt unter der Maske? Fußballverrückte? Ein-Euro-Jobber? Prominente? Leute, die gern schwitzen?

Anfrage beim TSV 1860 München, der die Maskottchen "Sechzger" (mannsgroß) und "Sechzgerl" (klein) hat. Sie laufen bei den Heimspielen herum, winken ins Publikum, umarmen die Torschützen. Wer sind sie wirklich? Die Pressestelle der Löwen lässt lange nichts hören, nach drei Wochen kommt dann eine Mail. "Nach Rücksprache mit unserer Geschäftsführung", heißt es darin, wolle man die "Anfrage absagen". Der Grund ist ganz einfach folgender: "Wir möchten das Maskottchen nicht entmythisieren."

Dabei kennen die Löwen sich mit Entmythisierung ja aus

Das muss man akzeptieren, schließlich gibt es wohl niemanden, der sich besser mit Entmythisierung auskennt als der TSV 1860. Wenigstens die Maskottchen wollen sie schonen. Aber wenn einem Klarheit vorenthalten wird, muss man spekulieren. Wir denken also darüber nach, wer das Sechzgerl unter dem Kostüm sein könnte, und wer der Sechzger.

Das Sechzgerl muss eine kleine Person sein. Hmmh. Karsten Wettberg! Der ist etwa Einen-Meter-Seeeechziiiig groß. Wettberg war früher Löwen-Trainer; er war ein Rumpelstilzchen, das wütend aufs Feld lief, um dem Schiedsrichter gegen den Schädel zu springen - oder ihm wenigstens zu sagen, er solle das furiose Spiel der Löwen durch seine Pfiffe nicht entmythisieren. Wettberg ist jetzt 74, bestimmt haben ihm Freunde gesagt, es gehöre sich nicht mehr, auf ein Fußballfeld zu rennen. Deshalb hat sich Wettberg als Sechzgerl verkleidet. Im Schlaf murmelt er manchmal: "Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Sechzgerl heiß."

Auch eine Möglichkeit: Ex-Spieler Icke Häßler (1,66 Meter), zuletzt Co-Trainer in Iran, bei Padideh Maschad. Oder Madideh Pascha? Franz Beckenbauer könnte helfen, der kennt sich aus mit komplizierten Namen: Als der FC Bayern einmal bei Dnjpro Dnjepropetrowsk spielte, sagte er: "Wir spielen bei Dombrowski, oder wia der Kas hoaßt."

Und wer steckt im großen Maskottchen? Otti Fischer? Oder Lorant?

Häßler hatte wohl keine Lust mehr, bei Maschkera, oder wie der Käse heißt, zu arbeiten; und weil die Löwen schon ein paar Mal ablehnten, als Thomas Häßler vorsichtig fragte, ob er denn als Sportdirektor, Techniktrainer, Direktortechniker oder Trainersportler bei 1860 mitwursteln könne, macht er nun halt für ein Fuchzgerl das Sechzgerl. Ein Indiz: Ex-Frau Angela Häßler hat ihren Damals-Gatten mal mit dem unschönen Satz gesucht: "Wo ist denn mein Zwerg schon wieder?"

Aber wer ist das große Maskottchen, der Sechzger? Löwen-Fan Ottfried Fischer, der den Breitensport im Verein geradezu verkörpert? Teile seine Namens könnten ihn verraten: MaskOTTchen. Oder ist es der Geist des verstorbenen Präsidenten Wildmoser, der erst zur Ruhe kommen darf, wenn 1860 wieder in der Bundesliga spielt? Oder Werner Lorant? Nein, Lorant kann es nicht sein. Das Maskottchen ist ja freundlich. Außerdem raucht es nicht. Wäre Lorant das Maskottchen, würde die Löwenmähne Feuer fangen.

Vielleicht ist es auch Felix Magath, der alles werden will bei 1860: Manager, Trainer, Retter, Hoffnungsträger, Aufstiegstrainer, Sehr-viele-Spieler-Einkäufer, FC-Bayern-Besieger, Meister, Meisterschale-in-den-Himmel-Recker, Champions-League-Sieger, Legende, größter Löwe aller Zeiten. Aber erst mal musste er ganz unten anfangen, als Maskottchen. Schließlich ist 1860 ein Hocharbeiterverein.

Der FC Bayern meldete sich übrigens schon am Tag nach der Anfrage, ob man den Menschen unter dem Maskottchen-Berni-Kostüm porträtieren dürfte - telefonisch, nicht bloß per Mail wie die Löwen. Aber auch die Bayern wollen ihn nicht verraten. "Die Kinder sollen die Illusion behalten, dass Berni wirklich ein Bär ist", sagte die nette Pressedame. Süß. Das ist also wie beim Nikolaus - die Kinder wissen ja auch nicht, dass unter dem Nikolaus-Kostüm der Opa oder der dicke Nachbar steckt.

Übrigens: Falls Lorant nicht das Maskottchen Sechzger ist - steckt er vielleicht im Krampus-Kostüm?

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SZ vom 04.12.2015
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