Süddeutsche Zeitung

Tierpark Hellabrunn:Unterricht zwischen Erdmännchenbau und Löwengehege

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Nachhaltigkeit kann man lernen, und das auch noch spielerisch: In der Hellabrunner Tierparkschule drücken Kinder jeden Alters und jeder Schulart die Schulbank. Die Unesco hat jetzt das Konzept prämiert.

Von Jana Kreutzer

Drei Viertel aller deutschen Familien besuchen mindestens einmal im Jahr einen Tierpark. Auch die meisten Schülerinnen und Schüler der 4a und 4c aus Pfaffenhofen sind nicht zum ersten Mal im Tierpark Hellabrunn. Routiniert spazieren die Zehn- und Elfjährigen an Flamingos, Erdmännchen und bulgarischen Langhaarziegen vorbei. An diesem Tag haben sie ein besonderes Ziel: die Tierparkschule im Mühlendorf am südlichen Ende des Tierparks. Eine Premiere für die knapp fünfzig Kinder und ihre drei Lehrerinnen.

Fünf Jahre ist es her, dass der Hellabrunner Direktor Rasem Baban die Tierparkschule feierlich eröffnet hat. 2019 war das Tierpark-Team angesichts des 4,7 Millionen Euro teuren Neubaus in Bauernhaus-Optik im Hellabrunner Mühlendorf enthusiastisch gestimmt. Die Pandemie hat seither einige vielversprechende Bildungsprojekte gebremst - darunter auch die Tierparkschule. Sie ist auf einem Grundstück des Tierparks erbaut worden, wird aber von der Stadt München finanziert und betrieben. Als Sandra Buchberger, Realschullehrerin für Sport und Wirtschaft, im März 2023 die Leitung übernahm, wusste sie: Es gibt viel zu tun. Teuer angeschaffte Tablets lagen unangetastet im Schrank, modern ausgestattete Klassenräume fristeten ein wenig beachtetes Dasein.

Der Einsatz hat Früchte getragen: Die Hellabrunner Tierparkschule hat zu Beginn dieses Jahres die nationale Unesco-Auszeichnung "Bildung für nachhaltige Entwicklung", kurz BNE, bekommen. Zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung prämiert die Unesco-Kommission Bildungseinrichtungen, die innovative Lehrkonzepte zur Erhaltung des Planeten voranbringen.

Das Alter der Kinder und die Art der Schule, die sie besuchen, spielen in der Tierparkschule keine Rolle. Thematisch sind alle angebotenen Module flexibel an die Schüler anpassbar: Jedes Schulfach könne mit dem Angebot der Tierparkschule und mit Nachhaltigkeits- und Umweltthemen verknüpft werden, versichert Sandra Buchberger. Führungen könne man bilingual abhalten, und statt Sport in der eigenen Turnhalle könne man in Hellabrunn das Modul "Elefantentanz" belegen, bei dem sich besonders jüngere Kinder vor dem Elefantenhaus aktiv bewegen. Junge Erwachsene besuchen die Tierparkschule hingegen eher, um etwa mit dem Ethikkurs das Konzept Zoo zu hinterfragen. Der große Unterschied zu anderen Tierparkschulen in Deutschland ist die Interdisziplinarität der Münchner Einrichtung. In anderen Projekten stünden meist klassische Zoologie und Biologie im Vordergrund, erläutert Buchberger.

Am Gatter des Schulhauses erwartet Buchberger die beiden Schulklassen. Bei der 48-Jährigen laufen viele Fäden zusammen: Organisation, Digitalisierung, Abrechnung, Pressearbeit und den eigentlichen Unterricht stemmen sie und ihre Mitarbeiterin Christina Neuenhagen, 46, zu zweit. Seit Buchbergers Amtsantritt vor einem Jahr hat sich vieles verändert: Konzepte, Ideen und Abläufe, die in der seit 1987 existierenden Tierparkschule manchmal nur von Mitarbeiter zu Mitarbeiter weitergetragen wurden, hat sie mittlerweile verschriftlicht. Das volle Potenzial des außerschulischen Lernortes soll jetzt ausgenutzt werden. Aktuell sind aber vier der sechs Arbeitsplätze im Büro des Schulhauses unbesetzt - das Angebot wäre also durchaus ausbaufähig.

Grundschullehrerin Katharina Weiß, 28, ist im Gegensatz zu den meisten Kindern in ihrer Klasse zum ersten Mal in Hellabrunn: "Die Kinder sind ganz anders bei der Sache als im Klassenzimmer. Hier können sie abgleichen: Wie war es am Modell, wie ist es am echten Tier?" Wie sie weiß, verfügen ihre Schüler über ein großes Vorwissen zu Themen wie Nachhaltigkeit und Umweltschutz - aus der Schule, aber auch von zu Hause. Der Begriff Mikroplastik ist fast allen ihrer Grundschüler geläufig. Zu erklären, wieso Plastikmüll in den Meeren eine Gefahr für Mensch und Tier darstellt, fällt ihnen leicht. Erfahren haben Weiß und ihre beiden Kolleginnen von dem Münchner Projekt und den wählbaren Modulen über ihr Kollegium in Pfaffenhofen - dort empfiehlt man sich mittlerweile das Bildungsangebot gegenseitig weiter.

Auch Buchberger und Neuenhagen beobachten, dass Kinder mitunter viel Wissen in die Tierparkschule mitbringen. Sie sehen aber auch, dass es große Sprengelunterschiede gibt. Um Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit herzustellen, ist der Beitrag, den Schulklassen für die Module zahlen, sehr gering: ein Euro pro Schüler. Dazu kommt der Eintrittspreis in den Tierpark von sieben Euro. Ein vergünstigtes Mittagsangebot für Schüler im Tierparkrestaurant für fünf Euro konnte die Leiterin vor Kurzem ebenfalls aushandeln: "Geld darf kein Kriterium für Bildung sein", meint Buchberger.

Noch ein Biss, ein schneller Schluck, und dann verstauen die Kinder von 4a und 4c eilig die angebissenen Wurstbrote und Apfelsaftflaschen in ihren Rucksäcken, bevor es losgeht. Ein dringender Hinweis darf nicht fehlen: Die Brotzeit untereinander zu teilen sei erlaubt, doch die Tiere dürfe man um Himmelswillen nicht füttern.

Die Schulklassen laufen los: Bei Mähnenrobben, Eisbären und Humboldtpinguinen hören die Kinder den Erläuterungen zu, beobachten aufmerksam und stellen Fragen. Auf einem Arbeitsblatt erklären sie dann knapp, was ein ökologischer Fußabdruck ist und wieso manche Arten vom Klimawandel bedroht sind. Die Tiere zeigen sich von der besten Seite, sogar die Eisbären im kalten Wasser spielen mit ihren Bällen. Von der Klimakatastrophe und ihren bedrohten arktischen Artgenossen ahnen sie nichts.

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