Süddeutsche Zeitung

Tierpark Hellabrunn:Was die Eisbärengeburt für den Artenschutz bedeutet

Lesezeit: 3 min

Von Philipp Crone

Ein Eisbärjunges ist für den Tierpark Hellabrunn ungefähr so erfreulich wie es für den FC Bayern der Transfer von Antoine Griezmann wäre. Der französische Fußballspieler würde noch mehr Besucher ins Stadion locken und den Trikotverkauf ankurbeln. Zwar wird es für den am 21. November geborenen Eisbärennachwuchs wohl keine Trikots geben, aber nach der Geburt der Zwillinge Nela und Nobby Ende 2013 hatte der Münchner Zoo mit 2,3 Millionen 2014 einen Besucherrekord.

"Im Schnitt kommen wir sonst auf 1,8 Millionen", sagt Zoo-Chef Rasem Baban. Was bedeutet die Nachricht vom nächsten Eisbärennachwuchs nun für den Zoo und seine Besucher, außer dass die Speicher vieler Handykameras bald voll sein werden mit Tierbildern? Und warum löst gerade ein Eisbär einen solchen Andrang aus?

Wenn bald Hunderttausende in die Polarwelt von Hellabrunn strömen und Ende Februar dabei zusehen, wie der derzeit 600 Gramm schwere und 20 Zentimeter lange Nachwuchs dann mit deutlich mehr Gewicht seine ersten Runden auf der Außenanlage dreht, wird es sicher wieder Plakate, Tassen und Brotdosen mit dem Bild des Eisbären geben. Tierschützer halten das für eine unerträgliche Kommerzialisierung und Zurschaustellung von eingesperrten Tieren. Aber Baban spricht von einer "Win-Win"-Situation. Alle profitierten.

Wirtschaftliche Überlegungen spielten bei so einem Vorgang keine große Rolle, sagt der Tierpark-Chef, "denn so ein Ereignis ist ja schlicht nicht planbar." Nachdem die Eisbärenzwillinge Anfang des Jahres in andere Zoos kamen, habe man sich mit dem zuständigen Tierpark in Verbindung gesetzt, der das Europäische Erhaltungszuchtprogramm für Eisbären führt.

Von dort hieß es, dass Hellabrunn die Zucht wieder aufnehmen solle. "Also haben wir Giovanna und Yoghi wieder zusammengebracht." Verhältnismäßig schnell war Giovanna wieder trächtig. Nun muss das Neugeborene die ersten vier Wochen überstehen, die 70 Prozent der Eisbärjungen nicht überleben.

Würde ein Zoo aus rein wirtschaftlichen Gründen die Tierauswahl bestimmen, hätten wahrscheinlich alle Tierparks Tiger, Koala- und Eisbären. Aber eine Aufgabe der Zoos sei es, bedrohte Tierarten durch Nachzucht zu erhalten, sagt Baban. Jeder Zoo ist dabei federführend für einige wenige Arten zuständig. "Unsere größte Aufgabe allerdings ist die Bildung."

An diesem Donnerstag, an dem der Zoo die Nachwuchs-Nachricht herausgab, wurde im Artenschutzzentrum eine Ausstellung eröffnet mit dem Namen "Klimafaktor Mensch". Der Eisbär sei darin "ein Botschafter für die Klimaverschiebung", sagt Baban. Wer im Frühjahr in den Zoo komme, um das Eisbärjunge zu sehen, "dem sagen wir: Schau dir bitte auch das Artenschutzzentrum an".

Linda Dommes vom Verband der Zoologischen Gärten (VdZ) in Berlin sagt: "Zoos sind weder dazu da, die Besucher zu belustigen, noch Tiere zur Schau zu stellen." Ein exotisches Tier wie der Eisbär habe aber natürlich einen besonderen Reiz. "Hinzukommt das Kindchenschema, das ein solches Jungtier hat", etwa Pausbacken, große Knopfaugen und eine insgesamt rundliche Körperform.

"Und die Tatsache, dass man hier das Aufwachsen eines Tieres miterleben kann." Von 400 Gramm bei der Geburt kam Nobby nach eineinhalb Jahren auf 230 Kilo. Da sieht der Besucher dem Aufwachsen im Zeitraffer zu. Und dabei, wie ein scheinbar niedliches Knuddelbaby zum größten an Land lebenden Raubtier der Erde wird.

Wenn man junge Münchner Besucher dadurch für den Zoo begeistern kann und sie auch noch ins Artenschutzzentrum lockt, hat das Tier etwas davon, nämlich das Bewusstsein des Menschen um seine Macht über den Lebensraum der Tiere. Noch sei es ja so, sagt Frank Müller, zuständig für Aquarien in Hellabrunn, dass Kinder einen Bildschirm von einem Aquarium unterscheiden könnten und sich von Erlebnissen im Zoo beeindrucken lassen.

Es profitieren am Ende alle 19 363 Tiere der 771 Arten in Hellabrunn, von der Anakonda bis zum Zebra, wenn ihr größter Feind auf der Erde, der Mensch, sich seiner Position und Rolle etwas bewusster ist. Und wenn die Besucher am Ende eine Oktopus-Tasse aus dem Shop mit nach Hause nehmen, sei das mehr eine Anpassung der Tierparks an die Wünsche der Besucher als eine Entwicklung der Zoos hin zu durchkommerzialisierten Vergnügungsparks, sagt Dommes vom VdZ.

Noch bekommt der Eisbärnachwuchs von der Vorfreude in Zoo und Stadt nichts mit, er liegt meist schlafend mit seiner Mutter in der Wurfbox. Da kann man ihn von Mitte nächster Woche an über einen Livestream sehen. "Aber", sagt Baban, "der Stream läuft nur im Artenschutzzentrum."

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Quelle:
SZ vom 02.12.20116
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