Süddeutsche Zeitung

Adventszeit:Absage an den Stollen light

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Die Zutaten für das kalorienreiche Weihnachtsgebäck haben im Preis zwar angezogen. Die Bäcker in der Region wollen an ihren Rezepten aber festhalten - und die Mehrkosten selbst schultern.

Von Patrizia Steipe, Starnberg

Manfred Stiefel zieht bei der Stollenprüfung vorsichtig einen Stollen aus der Hülle und prüft die dick mit Puderzucker bestreute Oberfläche. Schön weiß sieht das Weihnachtsgebäck aus. "Nicht speckig", lobt Stiefel. Die gebutterte Oberfläche hat den Puderzucker nicht durchtränkt. Dann schneidet er den Kuchen in Hälften und prüft die Schnittkanten. Der schwere Teig ist fest, nichts bröselt. Anschließend die Geruchsprobe. "Riecht intensiv nach Butter, sehr gut", sagt der Prüfer. Auch die anderen Ingredienzien wie Mandeln, Rosinen oder Zitronat duften leicht. "Es darf keinen Fremdgeruch geben", erklärt er. Dann schneidet er für den Geschmackstest ein schmales Stück ab und kaut vorsichtig. Stiefel reckt den Daumen nach oben: "Passt!"

Am Schluss hat der Qualitätsprüfer des Vereins Deutsches Brotinstitut 27 verschiedene Stollen und noch einige Spezialitäten wie Früchtebrot, Lebkuchen und Baumkuchenspitzen verkostet. An der freiwilligen Prüfung haben im Landkreis Starnberg dieses Jahr die Bäckereien Benedikter aus Andechs, Böck aus Oberpfaffenhofen, Boneberger aus Gilching, Jakob aus Feldafing und Lidl aus Berg teilgenommen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: 19 Mal gab es die Note "sehr gut", achtmal ein "gut".

Wer nun denkt, Stollen ist gleich Stollen, irrt sich gewaltig. Auf dem Tisch im Foyer der Starnberger Kreissparkasse türmen sich Butterstollen, Meisterstollen, Mandelstollen, Nougat-Orangen-Stollen, Cranberrystollen, Mohnstollen, Stollen mit oder ohne Rosinen, mit oder ohne Zitronat und Orangeat. Auch der Stollen mit Margarine hat seine Fans. In den 1970er Jahren sei Butter häufig durch Margarine ersetzt worden. Diesen Geschmack schätzte vor allem die ältere Kundschaft, sagt Thomas Böck.

Die Beliebtheit des Stollens schwindet

Stollen gibt es seit dem Mittelalter. Sie waren in der kalten Jahreszeit als nahrhafte, lang haltbare Speise beliebt, berichtet Stiefel. Im Laufe der Zeit hat sich die Ernährung gewandelt. Der schwere kalorienreiche Kuchen findet zwar immer weniger Abnehmer, ist aber nach wie vor aus der Weihnachtsküche nicht wegzudenken.

Eine Passantin kommt an den Tisch und möchte einen Stollen kaufen. An diesem Tag gibt es die getestete Ware gratis. Die Backware halte bis Weihnachten, versichert Böck. Das sieht die Starnbergerin anders: "Wenn mein Mann den Stollen sieht, dann ist der bis heute Abend weg", sagt sie lachend. Frisch aus dem Ofen sollte man Stollen übrigens nicht genießen. "Mindestens eine Woche lagern", mahnt Böck. Erst dadurch könnten sich Aromen und Geschmack weiterentwickeln.

Trotz Energiekrise und steigender Preise auch im Lohnsektor: An den Zutaten wird auf keinen Fall gespart. "An Qualität zu sparen wäre der größte Fehler", erklärt Willi Boneberger, Obermeister der Starnberger Bäckerinnung. Die höheren Kosten werden aber nicht an die Kunden weitergegeben. Stollen ist bereits ein hochpreisiges Produkt, erklärt Böck. Mehr gehe nicht, denn viele Kunden müssten sparen. Deswegen wird die Weihnachtsbäckerei unter Preis über die Theke gehen. "Wir machen heuer keinen Gewinn", sagt Boneberger. Ein Jahr lang könne man das durchhalten. Mittel- bis langfristig müsste man aber entscheiden: "Zusperren oder teurer werden", sagt Anton Lidl. "Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in die Armut arbeiten."

Die Bäckermeister setzen ihre Hoffnung auf die Verbraucher, die Handwerkskunst aus den Ortsbackstuben der Massenware aus den Supermärkten vorziehen, die den Unterschied zwischen einem richtigen Stollen zu einem "Hefebrot mit Zutaten" kennen, wie es Lidl bezeichnet. Nicht nur Mehl, Butter, Marzipan, Nüsse, Orangeat und Zitronat haben ihren Preis, die Herstellung eines Stollens ist äußerst zeitaufwändig. "Erst muss ein Vorteig gemacht werden, dann der Hauptteig und die Fruchtmischung", zählt Boneberger auf. Der Teig selbst wird vor dem Backen eingeschlagen, das soll an das gewickelte Christkind erinnern. "Alles Handarbeit", versichert Boneberger.

Heute gibt es nur noch neun Backstuben im Landkreis, früher waren es 50

Sparmaßnahmen gibt es in den Backstuben schon seit Langem. Die Abluftwärme wird beispielsweise genutzt. Boneberger denkt zudem darüber nach, auf Solarstrom zu wechseln. Er müsste dafür etwa 100 000 Euro investieren, könnte mit dem Ertrag aber nicht einmal die Hälfte seines Strombedarfs decken. Bis sich das amortisiert, würden Jahre vergehen. "Jetzt findet eine Bereinigung statt", befürchtet Lidl - mit weitreichenden Konsequenzen. "Ohne Geschäfte am Ort gehen die Dorfstrukturen kaputt." Bereits jetzt gibt es nurmehr neun eigenständige Backstuben im Landkreis. "Früher hatten wir 50 Bäckereien", bedauert Boneberger.

"Strom und Wasser wird zunehmend problematisch", ergänzt Lidl. Wenn die Kommunen auch in Zukunft Handwerk am Ort halten möchten, müsse sich etwas ändern. Eine Idee hat Lidl schon. Für Berg könnte doch beispielsweise ein fünftes Windkraftwerk errichtet werden, das dann kommunalen Strom für die Betriebe liefert.

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