Süddeutsche Zeitung

Verkehr in Starnberg:Der Schilderwald bleibt stehen

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Die Regierung von Oberbayern billigt die verkehrsrechtlich umstrittene "Anlieger frei"-Regelung nordöstlich der Hanfelder Straße bis zur Bahnlinie. Für Anwohner, Autofahrer und die Polizei wird sich nach der Klarstellung dennoch kaum etwas ändern.

Von Peter Haacke, Starnberg

Die seit Frühjahr 2018 bestehende "Anlieger frei"-Zone im Starnberger Wohngebiet zwischen Hanfelder Straße und Bahnhof-Nord ist offenbar rechtens: Das bestätigen übereinstimmend die Regierung von Oberbayern, das Bayerische Innenministerium und das Polizeipräsidium Oberbayern-Nord. Die 2021 geäußerten Zweifel der Bezirksregierung an der Zulässigkeit der umstrittenen Anordnung durch die Stadt "haben sich zwischenzeitlich erledigt", heißt es. Der Grund: Die Hanfelder Straße wurde von einer Staats- zur Gemeindestraße herabgestuft und fällt nun - ebenso wie die angrenzenden Ortsstraßen - allein in die Zuständigkeit der Stadt Starnberg. Ob sich durch die geklärte Rechtslage allerdings Änderungen ergeben, darf bezweifelt werden.

Das Wohngebiet zwischen Hanfelder Straße und Bahnhof-Nord ist eine beliebte Abkürzung, wenn sich rund um den Tutzinger-Hof-Platz der Verkehr staut. Betroffenen Anwohnern ist das schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Erfolgreich intervenierten sie bei der Stadtverwaltung, im Frühjahr 2018 erwirkten sie die Ausweisung einer "Anlieger frei"-Zone. Die Anwohner freuten sich über das vorgezogene Wahlgeschenk der damaligen Bürgermeisterin.

Kritiker hingegen monierten eine Wagenburg-Mentalität der Anwohner und ein verkehrsrechtliches Durcheinander, das auch bei der Polizei auf wenig Gegenliebe stieß. Abgesehen davon reduzierte sich der Durchgangsverkehr seither nur unmerklich: Im Gebiet liegen Schulen, Kindergarten und Hort, eine Gaststätte, ein Friedhof und ein Altenheim sowie das Amtsgericht. Doch im Grundsatz - Anlieger hin, Anliegen her - blieb aller Beschilderungswut zum Trotz alles beim Alten: Wer sich auskennt, fährt unverdrossen und unbehelligt durchs Wohngebiet.

Die Beamten der Starnberger Polizei verzichteten derweil standhaft darauf, Autofahrer mit auswärtigem Kennzeichen in der "Anlieger frei"-Zone nach "Woher" und "Wohin" zu befragen. Grund für die latente Verweigerungshaltung waren amtliche Zweifel an der Zulässigkeit der verkehrsrechtlichen Anordnung. Die dürften im Grundsatz nun zwar ausgeräumt sein. Ein Verstoß gegen die Anordnung könnte gar mit 50 Euro geahndet werden. Doch jeder, der nur einen halbwegs plausiblen Grund für seine Durchfahrt nennen kann - Waldspaziergang, Gaststättenbesuch, Briefeinwurf, Überprüfung von Gegebenheiten, private Taxidienste oder was auch immer - käme wohl ungeschoren davon. Ohnehin dürften die Beamten Wichtigeres zu tun haben, als im Durchgangsverkehr ausgiebigen Faktencheck zu betreiben.

Zweifel an der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Anordnung bestehen auch aus anderem Grund. Verkehrszeichen wie das Verbot für Kraftfahrzeuge sind "dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist", teilt das Innenministerium mit. "Verbote des fließenden Verkehrs dürfen grundsätzlich nur erlassen werden", heißt es weiter, "wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung bestimmter Rechtsgüter erheblich übersteigt." Doch diese Voraussetzungen sind selbst bei größtmöglicher Interpretation nicht gegeben: Das Quartier ist kein Unfallschwerpunkt. Vorrangiges Ziel der polizeilichen Verkehrsüberwachung ist laut Innenministerium, "die Anzahl der schweren Verkehrsunfälle zu verringern". Beschwerden und beschilderte Anordnungen werden nachrangig überwacht.

Das Starnberger Landratsamt interessiert die Angelegenheit nicht mehr. Und Starnbergs Bürgermeister Patrick Janik teilte schon Ende März mit, man werde die bestehende Regelung nur bei Weisung von übergeordneter Stelle ändern. Doch die wird es nicht geben. Der Schilderwald bleibt also bestehen, genervte Anwohner werden sich weiterhin bei der Polizei beschweren, die Beamten werden in ihrem "Ermessensspielraum zwischen dem Bürgerdialog, einer transparenten Aufklärung hinsichtlich der erkannten Verkehrsverstöße bis hin zur gebührenpflichtigen Verwarnung und Bußgeldverfahren" ihren Job verrichten, teilt das Polizeipräsidium mit. Soll heißen: Eine Ein- oder Durchfahrt bleibt verboten, sofern eben kein guter Grund für ein Anliegen vorliegt.

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