Süddeutsche Zeitung

Tiere im Fünfseenland:Vogelkundler beobachten zunehmenden Artenschwund

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Gerade bei den mit viel Aufwand betreuten Arten wie Kiebitzen und Flussseeschwalben kam es im Jahr 2022 zu frustrierenden Erfahrungen. Pirol, Wendehals und Wachtelkönig sind sogar ganz verschwunden.

Von Armin Greune, Starnberg

In diesen Tagen machen sich im Fünfseenland die ersten Arten auch akustisch bemerkbar: Dem Singvogelkalender der Starnberger Kreisgruppe im Landesbund für Vogelschutz zufolge beginnen etwa Kleiber, Kohl- und Blaumeise bereits in der ersten Februarhälfte mit dem Gesang. Im Verlauf der vergangenen fünf Jahre ist die Tendenz erkennbar, dass die meisten Vögel mit ihren Konzerten immer zeitiger beginnen: Vor der Kulisse der Klimaerwärmung sind inzwischen gerade die "Frühstarter" zwei bis drei Wochen früher zu hören.

Aus dem gerade veröffentlichten Jahresbericht der Arbeitsgemeinschaft Starnberger Ornithologen (ASO) ließe sich schließen, dass das Fünfseenland als Hotspot der Artenvielfalt angesehen werden kann - zumindest was die Vogelwelt betrifft. 205 Arten wurden 2022 beobachtet, für 116 konnte eine Brut dokumentiert werden, sie gelten so als heimisch. Doch schon der Vergleich mit den 219 Arten des Vorjahres dämpft den Optimismus.

Zudem ist die Zahl der Beobachter seit Beginn der ASO-Erhebungen 2014 kontinuierlich gestiegen, die Zahl der registrierten Vögel aber stagniert seit 2020 bei gut 40 000. Da es sich in erster Linie um Zufallsbeobachtungen handelt, sind daraus keine allgemeinen Aussagen über Bestandsentwicklungen abzuleiten. Die Fülle und Qualität der Daten gibt dennoch einen guten Überblick über den Status der Brutvögel, der Wintergäste und der Durchzügler in der Region.

So konnten dort im Vergleich zu den Vorjahren rund 20 Arten nicht oder nicht mehr als Brutvogel nachgewiesen werden, darunter so markante Arten wie Raufußkauz, Pirol, Wendehals und Wachtelkönig. "Das Artensterben schreitet auch im Landkreis Starnberg voran", fasst ASO-Vorsitzender Pit Brützel die Beobachtungen zusammen. Betroffen sind davon auch Brachvogel, Wiesenpieper und Braunkehlchen, die alle bayernweit vom Aussterben bedroht sind.

Noch mehr Aussagewert als die Meldungen der 340 Beobachter haben die ASO-Kartierungen und -Monitoringprogramme im Jahresbericht. So werden drei besonders interessante Gebiete näher ins Auge gefasst: Im Kerschlacher Forst lassen sich die stark bedrohten "Zielarten" Waldschnepfe, Schwarzstorch, Sperlingskauz und Raufußkauz nachweisen. Das Kraillinger Pionierübungsgelände beherbergt unter anderem noch Schwarzspecht, Tannenhäher und Kernbeißer. Im Wildmoos bei Gilching sind Sperlingskauz, Neuntöter und Schwarzspecht anzutreffen.

Näher untersucht wurden auch die Kleineulenbestände sowie die Verbreitung von Baumfalke und Schleiereule im Fünfseenland. Das seit einigen Jahren bekannte Brutvorkommen des raren Uhus hat sich bestätigt, die Zahl der Beobachtungen hat sich gegenüber 2021 auf zwölf verdoppelt. Von Waldohreule und Waldkauz haben 2022 nur wenige Paare in der Region gebrütet. Der seltene Wanderfalke wurde öfter gesichtet, doch von einer Brut im Fünfseenland ist nichts bekannt. Nach vielen Jahren wurde wieder eine Schleiereule in einer Scheune im Gemeindegebiet von Andechs erblickt.

Auch zu einigen weiteren Arten gibt es positive Nachrichten: Der Schwarzstorch wurde insgesamt 36 Mal erblickt, daher ist es wahrscheinlich, dass er im Fünfseenland brütet. Der Bestand der Wasseramseln war im vergangenen Jahr mit 14 Brutpaaren so hoch wie noch nie. Erstmals seit 2017 brütete wieder eine Schwarzkopfmöwe auf dem Starnberger See, Premiere im ornithologischen Jahresbericht feierten Kleinsumpfhuhn, Blauracke und Alpenmeise.

Das kann freilich nicht die frustrierenden Erfahrungen kompensieren, die man 2022 gerade bei den Arten einstecken musste, für deren Erhalt ein hoher Aufwand betrieben wird. Aus den sechs Brutgebieten der stark gefährdeten Kiebitze im Fünfseenland wird nur aus Feldafing ein Erfolg vermeldet, wo zwei bis drei Jungvögel flügge wurden. Im unteren Aubachtal, wo zunächst mindestens elf Küken gezählt wurden, kam kein einziges durch. Auf dem Brutfloß bei Seeshaupt wurden im Juni 2022 noch 42 Flussseeschwalben-Gelege erfasst, mehr als in den sieben Jahren zuvor. Doch letztendlich wurden nur vier Jungvögel flügge.

Ähnliches widerfuhr auch den 140 Lachmöwenpaaren auf dem Floß in der Seeshaupter Bucht, die zusammen nur fünf Jungvögel durchbrachten. Immerhin gelang es dort dem einzigen Schwarzmöwenpaar, ein Junges großzuziehen. Als Ursache für den Schwund werden Eulenangriffe angesehen, die nächtlichen Jäger schlagen Küken und veranlassen deren Eltern, die Brut abzubrechen. Die ASO will mit einer Infrarotkamera neue Erkenntnisse über die nächtlichen Geschehnisse auf dem Floß sammeln, auch die Unterstände zum Schutz der Küken sollen optimiert werden.

Im Bereich des Starnberger Sees wurden 2022 einige seltene Besucher wie Austernfischer, Kiebitzregenpfeifer und Dunkelwasserläufer registriert. Als Durchzügler im Fünfseenland konnten neben den auffälligen Arten wie Fischadler, Wiedehopf und Bienenfresser auch Alpensegler, Ortolan und Rotkehlpieper beobachtet werden. Die größte Rarität aber dürfte vielleicht eine Blauracke sein, die im August in der Nähe von Inning auftauchte.

In der Gilchinger Kiesgrube hatten 55 Paare von Uferschwalben einen Bruterfolg

Zwei Kolonien von Uferschwalben brüteten im vergangenen Jahr in Kiesgruben: In der Gilchinger Grube hatten sogar gleich 55 Paare Bruterfolg, was Brützel zufolge auch der Rücksicht der Abbaubetreiber zu verdanken sei. Einen spektakulären Anblick boten die regelmäßig von Oktober bis Dezember das Fünfseenland durchquerenden Geschwader an Kranichen. Unter mehreren beeindruckenden Trupps wurde der größte auf etwa 1000 Vögel geschätzt.

Der Bericht der Starnberger Ornithologen umfasst mehr als 110 Seiten; 60 Grafiken und viele Fotos illustrieren den Bericht. Er kann im Internet eingesehen oder in gedruckter Form gegen einen Kostenbeitrag bei der ASO per Mail an peter.bruetzel@lbv.de bestellt werden. Die im Landkreis Starnberg vorkommenden Vogelarten werden auch auf der LBV-Website vorgestellt . Dort finden sich grundlegende Informationen zu jeder Art sowie die räumliche und zeitliche Verteilung in den vergangenen Jahren in Form von Landkarten und Phänologiediagrammen.

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