Süddeutsche Zeitung

Landkreis Starnberg:Rekordverdächtige Pfifferlinge aus dem heimischen Wald

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In diesem Jahr finden Pilzsammler besonders viele und auch große Exemplare. Der eher nasse und warme Sommer lässt auch andere Arten sprießen.

Von Armin Greune, Starnberg

Obwohl er seit fast sechs Jahrzehnten regelmäßig auf Schwammerlsuche ist - so eine Pracht hat Dieter Appel noch nie gesehen: Fast ein Kilo Pfifferlinge auf einem Fleck. Das Besondere an diesem Fund im Wald bei Perchting aber sind die Dimensionen: Die "Reherl", wie der Rentner sie nennt, sind rekordverdächtige 18 Zentimeter lang und bis zu zehn Zentimeter breit. Offenbar herrschen heuer im Fünfseenland besonders gute Wuchsbedingungen für die begehrten Speisepilze: Schon im Juli konnte der Gautinger Appel erkleckliche Mengen in "seinen" Revieren zwischen Unterbrunn und Traubing erbeuten, andere Pilzsammler waren zu der Zeit etwa im Kerschlacher und Bayerdießener Forst erfolgreich.

Reherl, Gelberne, Gelchen und Eierschwämmli: Schon die Vielzahl der Namen im Volksmund zeigt die Popularität des Echten Pfifferling. In der Folge galt Cantharellus cibarius im Münchner Umland schon fast als ausgerottet. Zu viele dilettantische Pilzsucher hatten in ihrer Gier nach den leuchtendgelben Knöpfchen den Waldboden geradezu umgegraben. Dabei wird jedoch das empfindliche, fadenförmige Myzel im Erdreich verletzt oder gar zerstört: Es macht den eigentlichen Pilz aus und ist für Waldbäume ein wertvoller Symbiont. Sein als Mykorrhiza bezeichnetes Gespinst erleichtert Baumwurzeln die Wasser- und Nährstoffaufnahme; manche Arten wie die Buche sind sogar zwingend auf die Pilzpartner angewiesen, um zu überleben. Was man gemeinhin mit dem Wort Pilz verbindet, ist nur ein Fruchtkörper des Lebewesens, das unterirdisch bis zu einen Quadratkilometer Fläche besiedeln kann.

Die Gilchinger Expertin Renate Grünert will die diesjährige Erntesaison noch nicht abschließend bewerten. Grundsätzlich habe der eher nasse, warme Sommer das Pilzwachstum bislang begünstigt - "aber wir wissen ja gar nicht, was noch kommt". So hätten sich 2020 die kulinarisch hochgeschätzten Steinpilze lang im Alpenvorland rar gemacht, nur Anfang Juni waren ein paar schon fast verwesende Exemplare im Fünfseenland zu entdecken. Seit vergangener Woche aber sprießen sie auch dort reichlich. "Der Steinpilz ist der häufigste Pilz überhaupt", sagt Grünert - dass er im Wald nicht so oft ins Auge fällt, liege daran, dass der weithin bekannten Art besonders intensiv nachgestellt wird.

Renate Grünert und viele ihrer Mitstreiter im Verein für Pilzkunde München verspeisen die Objekte ihrer Studien nur noch selten; als Pilzforscher oder Mykologen spötteln sie gern ein wenig über die "Mykophagen", also Pilzfresser. Der Verein aber will vor allem Kenntnisse über die in vieler Hinsicht noch rätselhaften Organismen zusammentragen. Weder Tier noch Pflanze, sind Pilze mangels ökonomischen Interesses von der biologischen Forschung stark vernachlässigt worden. Mykologie ist eine Wissenschaft, die vor allem dank der Freizeitarbeit begeisterter Laien vorankommt. Aber angesichts 7000 Arten allein in Bayern meint Grünert bescheiden: "Wir sind ja schon froh, wenn wir sie erkennen."

Sie und ihr Mann Helmut sind bereits mehr als 40 Jahre lang Pilzberater und unterstützen auch Mykophage beim Einordnen ihrer Funde. Seit Monatsbeginn sitzen die Grünerts wieder montags in städtischen Beratungsstellen in München: Von 8.30 bis 11.30 Uhr im Pasinger Rathaus sowie von 10 bis 13 und von 16.30 bis 18 Uhr im Kreisverwaltungsreferat Implerstraße. Gerade erst vor ein paar wenigen Tagen konnte Renate Grünert einen Sammler vor einem verhängnisvollem Fehler bewahren: In dessen Korb fand sich der Spitzgebuckelte Raukopf. Dessen heimtückisches Gift entfaltet - anders als bei den gefürchteten Knollenblätterpilze - erst nach drei Wochen qualvoll seine tödliche Wirkung: "Bis man es merkt, ist die Niere schon kaputt", weiß Grünert. Die Reherl-Riesen von Dieter Appel erklärt sie mit den gerade aufgefüllten Wasserreservoirs im Waldboden: "Es hat zuvor viel geregnet und Pilze bestehen ja zu 90 Prozent aus Wasser."

Gerade im Alpenvorland war der Brätling als Speisepilz ausgesprochen beliebt und weit verbreitet. Doch der Bestand geht seit einigen Jahrzehnten stark zurück: Pilzexperte Helmut Grünert schätzt, dass der Bestand in Oberbayern bereits um mehr als die Hälfte geschrumpft ist. Typisch für die Art sind der fischartige Geruch und der Milchsaft, der bei Verletzungen des Fruchtkörpers austritt und sich rasch braun verfärbt. Der Brätling kann auch roh gegessen werden, Braten oder Backen erhöht aber das Aroma; dabei sollte möglichst wenig Milchsaft verloren gehen.

Trotz des gruseligen Namens ist die Totentrompete keineswegs giftig: Diese nahe Verwandte des Pfifferlings soll die weit populäreren Reherl sogar an Geschmack übertreffen. Toten- oder Herbstrompeten finden sich als teure Trockenpilze oder Würzpulver im Handel. Wegen ihrer dunklen Schlapphüte sind sie auf dem Waldboden schwer zu entdecken, die Fruchtkörper sprießen vor allem in der Gesellschaft von Buchen und Eichen. Zu verwechseln wären sie allenfalls mit den Gelbstieligen Trompetenpfifferlingen, die aber gleichfalls frisch oder getrocknet delikate Speisepilze sind.

Ihr Fruchtfleisch ist zwar ganz zart, aber sie entfalten enorme Kraft: Schopftintlinge können auf dem Weg zum Licht sogar Asphaltdecken durchstoßen. Meist bevölkern sie in größeren Gruppen Wegränder, Wiesen und lichte Wälder. Kenner schätzen sie jung als Delikatesse: Frisch und sofort verarbeitet entfalten sie ein besonders feines Aroma. Schopftintlinge sind an den länglichen, geschuppten Hüten zu erkennen; charakteristisch für sie ist, dass sich die Hutlamellen beim Altern von weiß nach rosa verfärben und dann zu einer tintenartigen Flüssigkeit auflösen.

Sie wechseln beim Anschnitt die Farbe wie Chamäleons: Netz- und Flockenstieliger (im Bild) Hexenröhrling sind häufig in Buchen- und Nadelwäldern zu finden. Die Steinpilzverwandten sind gut durchgegart exzellente Speisepilze, roh jedoch giftig. Beim Genuss sollte man auf Alkohol verzichten, weil Darmprobleme auftreten können. Zudem ist dieser Röhrling nur etwas für Kenner: Er hat eine tiefrote Hutunterseite und eine bräunliche Kappe. Verwechselt werden kann er dennoch unter anderem mit dem helleren, aber giftigen Satanspilz, der weniger stark blau umfärbt.

Pro Tag dürfen höchstens zwei Kilo gesammelt werden

Auch wenn sie 2020 bislang reichlich aus der Erde gesprossen sind - grundsätzlich gehen auch bei den Schwammerln Anzahl und Artenreichtum stetig zurück. Alle Pilze gelten naturschutzrechtlich als besonders geschützte Arten, deshalb dürfen nur maximal zwei Kilo pro Tag ausschließlich für den eigenen Bedarf gesammelt werden. Für den Rückgang machen Mykologen den Schadstoffeintrag in den Wald, die Bodenverdichtung durch immer schwerere Forstmaschinen und die Dürreperioden als Folge der Klimaerwärmung verantwortlich. Davon ist das Fünfseenland heuer wieder einmal nicht betroffen gewesen, aber auch der Wind kann Böden rasch austrocknen.

Dieter Appel hat freilich noch ein weiteres Feindbild ausgemacht: "Immer öfter kommt man an Stellen, wo die Wildschweine schon alles weggefressen haben."

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SZ vom 14.09.2020
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