Süddeutsche Zeitung

Biodiversität:Einfalt statt Vielfalt

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Insektensterben und intensive Landwirtschaft alarmieren den Kreistag. Das Landratsamt lässt daher sogar Flächen von Schafen beweiden.

Von Astrid Becker und Sabine Bader, Starnberg

So gut wie jedem dürfte es inzwischen aufgefallen sein, dass an den Windschutzscheiben der Autos kaum noch Insekten kleben. Der Grund ist ein erschreckender: das Insektensterben. Wissenschaftler und Tierschützer schlagen Alarm und sprechen deutschlandweit von einem Rückgang um beachtliche 76 Prozent. Das ist auch der Grund, warum Petra Neugebauer von der SPD aus Gauting das Thema in der Kreistagssitzung am Montag zur Sprache brachte. "Wenn so viele Insekten sterben, sind wir alle betroffen", sagte sie "auch die Landwirte". Das rief Kreisbauernobmann Georg Zankl (CSU) auf den Plan. "Ich kann das alles nicht bestätigen", sagte der Gilchinger Landwirt. Schließlich gebe es auf den Feldrändern doch reichlich Zwischengrün. Die Wissenschaftler aber hatten vor allem die intensive Landwirtschaft für den Insektenschwund verantwortlich gemacht.

Übrigens keine neue Erkenntnis, doch eine, die Forscher erst vor kurzem mit Untersuchungen in ganz Deutschland und umfangreichem Zahlenwerk unterfüttern konnten. Im Landkreis Starnberg werden seit einigen Jahren verstärkte Anstrengungen unternommen, um der dramatischen Entwicklung Einhalt zu gebieten - beispielsweise mit den Blühwiesen, übrigens eine Herzensangelegenheit der Solidargemeinschaft Starnberger Land, die bereits an einigen öffentlichen Flächen angelegt worden sind - wie in Starnberg, Krailling und Wörthsee.

Doch damit ist es nicht getan, wie auch die Landschaftspflegeberaterin im Landratsamt, Petra Gansneder, sagt. Seit 2011 gibt es ihre Stelle - statt eines Landschaftspflegeverbands wie in anderen Landkreisen. 2010 hatte die Untere Naturschutzbehörde ein Konzept zur künftigen Landschaftspflege im Kreis vorgelegt und dabei unter anderem die schlechte personelle Ausstattung der Behörde beklagt: Zwei Fachreferenten und drei Verwaltungsangestellte seien deutlich weniger als beispielsweise im Landkreis Ebersberg, der zu diesem Zeitpunkt über 12,5 Stellen und einen Verband verfügen konnte.

Immerhin gibt es nun mit Gartenfachberater Jürgen Ehrhardt und Petra Gansneder zwei Menschen im Landratsamt mehr, die sich auf behördlicher Ebene für Artenvielfalt stark machen. 65 Hektar neu zu pflegende Fläche sei seither im Kreis hinzugekommen, erzählt Gansneder, deren Job es auch ist, die entsprechenden Grundstückseigentümer von der Notwendigkeit zu überzeugen, ihre brachliegenden Flächen pflegen zu lassen. Sie beauftragt dafür die etwa fünf Landwirte im Kreis, die sich darauf spezialisiert haben, oder arbeitet mit dem Maschinenring zusammen. Für die Pflege werden die Bauern entlohnt. Im Kreis gibt es dafür ein Budget, das sich in der Zwischenzeit mehr als verdoppelt hat, derzeit auf ungefähr 100 000 Euro. So lässt die Untere Naturschutzbehörde mittlerweile auch einige Flächen von Waldschafen beweiden, beispielsweise bei Tutzing/Monatshausen - ebenfalls ein wichtiger Beitrag für Biodiversität und Artenschutz. Denn allein über ihr Fell helfen Weidetiere bei der Verbreitung von Pflanzensamen, Früchten und Sporen mit. Zudem bietet ihr Dung Lebenraum für Dungkäfer oder Larven, die wiederum die Futtergrundlage für bedrohte Vogelarten sind. Hinzukommen noch Flächen, die die Bauern im Rahmen eines Förderprogramms jeweils für fünf Jahre gegen Entgelt bewirtschaften. Mehrere hundert Hektar Grund würden auf diese Weise gepflegt, schätzt Gansneder.

Ein schlechtes Zeugnis stellt sie den Bauern im Kreis also nicht aus, aber: "Es könnte noch viel mehr geschehen", sagt sie. Was sie damit meint, erklärt sie am Beispiel der Gemeinde Andechs: Dort gebe e s im südlichen Teil viele geschützte Gebiete, somit eine erstaunliche Artenvielfalt und damit auch eine Lebensgrundlage für Insekten. Im nördlichen Teil hingegen, Richtung Frieding, sieht das anders aus: "Da sind viele Äcker, aber kein Zwischengrün." Dabei gebe es auch für Blühstreifen Fördergelder. "Doch das hat sich offenbar noch nicht bei allen Landwirten herumgesprochen."

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Quelle:
SZ vom 24.10.2017
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