Süddeutsche Zeitung

Tiere:Ein brauner Käfer namens Hitler

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Ein Käfersammler hat einen räuberischen Hartflügler mit auffällig plumpem Penis dem "Führer" gewidmet.

Von Hans Holzhaider

Über Adolf Hitler muss man nicht viele Worte verlieren; zu diskutieren wäre hier allenfalls, ob er, im weiteren Sinne, als Münchner durchgehen kann. Dafür spricht einiges. Im Münchner Hofbräuhaus verkündete er 1920 das Parteiprogramm der NSDAP, im Zirkus Krone zelebrierte er seine erste Massenversammlung, in München versuchte er sich am 9. November 1923 an die Macht zu putschen, in München wurde er zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, in der Prinzregentenstraße 16 war er von 1929 bis zu seinem Tod polizeilich gemeldet. Nicht umsonst durfte sich München mit dem Titel "Hauptstadt der Bewegung" schmücken.

Ein besonderes Faible für Tiere - einmal abgesehen vom Deutschen Schäferhund - wird dem Diktator nicht nachgesagt. Dass es trotzdem ein Tier gibt, das nach Adolf Hitler benannt wurde, muss eigentlich nicht verwundern. Es wurden schließlich tausende Straßen, Plätze, Schulen, Bäume, Anhöhen, Aussichtspunkte nach Hitler benannt - warum sollten ausgerechnet die Zoologen gegen diese Art der - nennen wir es beim Namen - Arschkriecherei gefeit gewesen sein? Aber man hätte natürlich irgendein stattliches Tier erwartet - vielleicht einen Adler, oder eine Raubkatze, oder einen Wolf. Das Angebot an neuen Tierarten, die sich für Propagandazwecke eignen, ist allerdings sehr begrenzt.

Hitlers Laufkäfer

Wissenschaftlicher Name: Anophthalmus hitleri. Ein Käfer aus der Familie der Laufkäfer (Carabidae), der nur in einigen Höhlen in Slowenien vorkommt. Weil die Käfer dieser Gattung weder sehen noch fliegen können, ist das Verbreitungsgebiet der einzelnen Art sehr beschränkt. Außer der natürlichen Färbung des Chitinpanzers besitzen sie keine Pigmente; im Sonnenlicht könnten sie nur kurze Zeit überleben. Sie ernähren sich von Kleinstinsekten wie zum Beispiel Springschwänzen.

Die Begeisterung des Käfersammlers

Ganz anders sieht es bei den Insekten aus, und unter diesen insbesondere bei den Koleoptera, den Hartflüglern, gemeinhin Käfer genannt. Da gibt es über 350 000 beschriebene Arten, und mindestens noch einmal so viele noch nicht beschriebene, von den noch nicht entdeckten ganz zu schweigen.

Und so war es denn ein Käfersammler, der seiner Begeisterung für Adolf Hitler durch die Benennung einer neu entdeckten Art Ausdruck verlieh. Oscar Scheibel hieß der Mann, und sehr viel mehr weiß man nicht über ihn. Er war Ingenieur, und aus dem Umstand, dass er als "Zivilingenieur" firmierte, könnte man ableiten, dass er seinen Beruf in Österreicher gelernt hat, denn nur dort ist diese Bezeichnung üblich. Er lebte ja auch in Zagreb, also im Gebiet der ehemaligen Doppelmonarchie.

Ein Käfer, der - augenlos, aber mit plumpen Penis - in dunklen Höhlen lebt

1937 - Hitler ist seit vier Jahren Reichskanzler - beschrieb Scheibel in den in Berlin erscheinenden "Entomologischen Blättern" eine neue Käferart aus der Familie der Laufkäfer. Diese räuberischen Tiere heißen so, weil sie sehr flink auf ihren sechs Beinen unterwegs sind, um ihre Beute zu fangen, die sie dann mit ihren kräftigen Kieferzangen töten. Sie verdauen extern, das heißt, sie spucken Magensäure auf das tote Beutetier und schlürfen es dann ein. Scheibels neuer Käfer war ein Anophthalmus, ein Augenloser, eine Gattung, die ausschließlich in dunklen Höhlen und Spalten lebt und deshalb im Laufe der Evolution die Sehfähigkeit verloren hat. Auch ihre Flügel sind verkümmert; sie vertragen weder Wärme noch Sonnenlicht. "Rötlichbraun, 5-5,5 Millimeter lang, Beine lang und schlank", beschreibt Scheibel seine Entdeckung.

Was den Käfer allerdings als neue Art kennzeichnet, ist sein männliches Geschlechtsorgan. "Penis sehr kräftig, plump, zur Spitze plötzlich verengt, diese etwas aufgebogen." Käferpenisse haben einen Innensack, dieser, schreibt Scheibel, sei bei der neuen Art "höchst auffällig durch seine unsymmetrische Bildung". Er schließt seine Beschreibung mit dem Satz: "Dem Herrn Reichskanzler Adolf Hitler als Ausdruck meiner Verehrung zugeeignet." Er nennt die neue Art: Anophthalmus hitleri.

Dass Hitler sich für die Zuneigung bedankt hat, ist nicht belegt

Man könnte auf den Gedanken kommen, da habe sich ein ironiebegabter Nazigegner eine besonders subtile Art der Regimekritik ausgedacht: Der Führer als Namenspatron für einen braunen, blinden, räuberischen Käfer mit auffällig plumpem Penis? Aber Oscar Scheibel war zweifellos völlig frei von solchen subversiven Gedanken. Nirgends, außer im letzten Satz, verlässt seine Beschreibung den streng wissenschaftlichen Duktus. Hitler soll sich, heißt in einigen Berichten, schriftlich für die Zueignung bedankt haben, aber das ist nicht belegt.

Es stimmt auch nicht, dass die wenigen slowenischen Höhlen, in denen Anophthalmus hitleri vorkommt, unentwegt von käfersammelnden Neonazis heimgesucht werden. Es ist für den Laien auch sehr schwierig, den hitleri von ähnlichen Arten, wie dem Anophthalmus schaumi-knirschi zu unterschieden. Das ganze Tier ist ja nur einen halben Zentimeter groß. Da ist der Penis, wenn auch plump, doch sehr, sehr klein.

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SZ vom 02.01.2016
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