Süddeutsche Zeitung

Geschichte:Als auf der Wiesn noch fremde Völker zur Schau gestellt wurden

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Mit dem Einfallsreichtum des einstigen "Groß-Schauunternehmers" Carl Gabriel können die Schausteller von heute nicht mithalten. Viele seiner Projekte wären heute undenkbar.

Von Franz Kotteder

Bei allem Respekt vor unseren zeitgenössischen Schaustellern und ihren Überkopffahrgeschäften, Boostern und Freifalltürmen, die alle paar Jahre neu aufgemotzt werden: Mit dem Einfallsreichtum eines Carl Gabriel können sie dann doch nicht mithalten. Eine Konkurrenz ist er freilich keine mehr für sie: Schließlich liegt er seit 1931 auf dem Ostfriedhof begraben. Vergessen haben sie ihn aber nicht, seine Nachfolger. Im Museumszelt auf der Oiden Wiesn widmet die "Historische Gesellschaft Bayerischer Schausteller" dem großen Ahnen gerade eine kleine Ausstellung.

Die ist natürlich minimalistisch im Vergleich zu dem, was Gabriel zu seinen Lebzeiten alles aufgeboten hat: Seine "Riesen-Völkerschau" im Jahr 1928 präsentierte zum Beispiel "ca. 200 Männer, Weiber, Kinder, Afrikaner, Chinesen, Japaner". Für seine Völkerschau "Wild Afrika" hatte er zwei Jahre zuvor bereits eine riesenhafte Fassade aufstellen lassen, dahinter fanden die Münchner Oktoberfestbesucher ein großes Karawanendorf auf 10 000 Quadratmetern vor.

Carl Gabriel dachte immer in größeren Dimensionen, und er ruhte sich offenbar nie auf seinen Erfolgen aus. Alle Jahre wieder musste er sich selbst übertreffen auf dem Oktoberfest, das war er sich schuldig. Und viele der nostalgischen Attraktionen, die heute den Reiz der Wiesn ausmachen, hat er erst dorthin gebracht.

Geboren wurde der Sohn eines Zirkusdirektors 1857 in Bernstein in der Neumark, das heute zu Polen gehört. Er machte eine Lehre als Mechaniker und Kunstschlosser und zog mit dem Zirkus durch die Lande. Nach der Heirat mit der Schaustellerstochter Margarethe Elisabeth Meisel zogen die beiden bald nach München, wo Gabriel 1892 erstmals auf dem Oktoberfest vertreten war, mit dem Wachsfigurenkabinett seines Vaters. Zusammen mit einem Geschäftspartner eröffnete er in der Neuhauser Straße das "Internationale Handelspanoptikum", wiederum ein Wachsfigurenkabinett. Ableger davon gründete er auch in Düsseldorf und Bochum.

Von nun an wurde Carl Gabriel zum einfallsreichsten und rührigsten Unterhaltungsunternehmer Münchens. 1901 holte er die Exotenshow "Das Beduinenlager" auf die Wiesn, ein paar Jahre später "Das Sudanesendorf", und noch 1930, kurz vor seinem Tod, "die aussterbenden Lippen-Negerinnen vom Stamme der Sara-Kaba" sowie eine "Polarschau". Das waren zeittypische Sensationen, die heute zurecht als hochgradig rassistisch gebrandmarkt würden.

In der Dachauer Straße eröffnete Gabriel das erste Kino Münchens

Aber Gabriel holte keineswegs nur fremde Völker zu Unterhaltungszwecken nach München. Schon seit 1894 war er regelmäßig mit bis zu fünf Schaugeschäften gleichzeitig auf dem Oktoberfest vertreten. Er präsentierte im selben Jahr die erste Hexenschaukel auf der Wiesn (heute gibt es zwei davon, eine auf der Oiden Wiesn), 1910 das Teufelsrad, 1930 ein Steilwand-Motodrom - und 1902 schon das Hippodrom als Festzelt mit Speisen und Getränken, gleichzeitig konnten die Gäste in einer Manege auf Pferden reiten, 25 Tiere standen dafür bereit.

Weil Gabriel sich auskannte mit der Schaulust seiner Zeitgenossen, wurde er schließlich auch noch zum Kinopionier. 1907 eröffnete er in der Dachauer Straße das erste Lichtspielhaus mit dem Namen "The American Bio.-Cie.", das heute noch als "Gabriel Filmtheater" existiert. 1910 gründete er die Museums-Lichtspiele am Gasteigufer. Von der Baufirma Heilmann und Littmann ließ er einen Kinopalast mit einer gigantischen Leinwand als ersten Stahlbetonbau der Stadt errichten; 1913 eröffneten seine Sendlinger-Tor-Lichtspiele mit dem Monumentalschinken "Die Herrin des Nils". Was da an Prominenz auflief, stellte damals jedes andere gesellschaftliche Ereignis in den Schatten. Gabriel hatte die alleinigen Vorführrechte für das zweistündige Epos zum Preis von 25 000 Goldmark erworben.

Gabriel starb im Februar 1931 mit 73 Jahren in München und wurde auf dem Ostfriedhof beigesetzt. Auf seinem Grabstein steht als Berufsbezeichnung "Groß-Schauunternehmer", was sein Wirken wohl tatsächlich recht zutreffend umschreibt.

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Quelle:
SZ vom 26.09.2018
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