Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Der Schrecken der Arena

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Im Kolosseum in Rom kämpften einst auch kleine Hunde, eine Frühform des Dackels. Archäologen wundern sich. Aber aus Münchner Sicht ist das kein Wunder.

Von Jakob Wetzel

Das Leben ist ein Kampf, und ganz besonders gilt das, wenn man einen Dackel hat. Wobei diese Formulierung womöglich verkehrt ist, denn nicht immer sind die Besitzverhältnisse exakt geklärt. Oder besser gesagt: die Machtverhältnisse, also die Frage, wer sich hier eigentlich wen hält, der Mensch den Hund oder der Dackel den Münchner. Und so tobt in Münchens Grünanlagen der Kampf, tagein, tagaus. Hier der Mensch, bewaffnet mit Leine, Hundepfeife und Leckerli. Seine Strategie: erst rufen, dann trillern, schließlich mit einem Würstl winken. Dort der Hund, ausgestattet mit vier kurzen Beinen und einem Trotzkopf. Seine Taktik: taub stellen. Zumindest so lange, bis das Würstl endlich winkt.

Was in Afrika der Löwe ist, in Asien der Tiger, in Nordeuropa der Bär und im Ozean der Haifisch, das ist in München zweifellos der Dackel. Und das, halten Sie sich fest, wussten bereits die alten Römer. Was schon deshalb bemerkenswert ist, weil es München zu Zeiten des römischen Imperiums noch gar nicht gab - und den Dackel als Hunderasse auch nicht. Trotzdem haben Wissenschaftler im Untergrund des Kolosseums in Rom Knochen ausgegraben, die sie als Überreste einer Art von Proto-Dackel identifiziert haben, nennen wir ihn Waldi.

Und nun rätseln sie: Was machte dieses wehrlose Hündchen nur zwischen Löwen, Bären und Gladiatoren, also bis an die Zähne bewaffneten Berufsschlägern? Waren sie Staffage für "venationes", also Tierhatzen? Wurden mit ihnen Jagdszenen nachgestellt? Oder sollten die Hündchen akrobatische Tricks vorführen?

Akrobatik? Dackelkenner können über diese Idee nur lächeln. Doch wer einmal gesehen hat, wie mühelos eine Zamperl-Meute einen Schäferhund in die Flucht schlägt, der weiß: Ein Dackel ist klein. Aber wehrlos? Nein. Und dabei liegt seine wahre Stärke gar nicht in seinem Körper, sondern in der Psychologie. Was im Kolosseum also wirklich geschehen ist?

Man muss sich hineinversetzen in jene Zeit und in dieses Amphitheater. 50 000 Römer sitzen, nein stehen dort auf den Rängen, sie sind gekommen, um den Kampf zweier Giganten zu sehen, und nun rufen sie und feuern wahlweise den Waldi an oder seinen Herausforderer, nennen wir ihn Monacus. Wird er den Hund bezwingen, auch ohne Wurst? Die Zuschauer lärmen und schreien, und deshalb bekommen sie kaum mit, wie sich der Kampf zuspitzt, wie der Mann immer verzweifelter mit seiner Hundepfeife trillert und schimpft, grantelt und lockt: Her kommst! Da her! Kommst jetzt her! Oder ned?! Doch der Hund denkt nur: Spinnst jetzt!

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