Süddeutsche Zeitung

Festival:Wenn die Stadt zum Ballroom wird

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Nach zwei Jahren Pause kehrt das "Rock that Swing-Festival" zurück. Tausende Fans von Lindy Hop, Balboa, Boogie Woogie und Rock 'n' Roll reisen zu Workshops an und stürmen wieder das Münchner Tanz-Parkett.

Von Jutta Czeguhn

Jeder, wirklich jeder auf diesen Fotos hat ein Lächeln im Gesicht, die Menschen glühen, strahlen hinreißend von innen heraus. Man kann sich durch hunderte Aufnahmen der Bildergalerie auf der Website des " Rock that Swing-Festivals" klicken. Die Energie dieser Tanzabende Ende Februar 2020 überträgt sich selbst nach drei Jahren noch aus digitalen Pixeln. Dann aber steigen beim Betrachten auch bittere Gedanken auf, denn über diese heitere Ausgelassenheit schiebt sich die Zukunft wie eine dunkle Wolke. Wer aus der internationalen Gästeschar, die da auf den Bildern so leidenschaftlich dicht an dicht das Leben feiert, konnte ahnen, was nur wenige Wochen später kommen sollte: Krankheit, Lockdowns, Kontakt- und Reiseverbote. Alle Welt auf Dis-Tanz.

Man trifft Marcus Koch und seine Partnerin Bärbl Kaufer in ihrem "Vintage Club". Das Parkett, auf dem die Schritte von Charleston, Lindy Hop, Shag oder Boogie Woogie Schleifspuren hinterlassen haben, wirkt ähnlich erschöpft wie die beiden Tänzer und Choreografen. Nur noch ein paar Tage sind es zum Rock that Swing-Festival 2023.

Nach drei Jahren Pause reisen sie nun wieder an aus aller Welt, 3500 Tänzerinnen und Tänzer, Trainer, Performer, Bands werden erwartet. Vom 16. bis 20. Februar können sie in Workshops, vom Anfänger- bis zum Turniertanz-Level, schwitzen und abends dann unter anderem in den Ballsälen des Deutschen Theaters zur Musik der Swing- und Rock'n' Roll-Ära schwofen. 2020, erinnert sich Koch, hätten es die Teilnehmer aus Italien gerade noch über die Alpen geschafft, "bevor sie die Grenzen dicht gemacht haben. Wäre das zwei Wochen früher passiert, wären wir heute nicht mehr hier." Eine Absage des Festivals damals hätte für die beiden die Pleite bedeutet. So aber ging es irgendwie weiter, während der Lockdowns mit digitalen Kursangeboten, beziehungsweise dann auch wieder analog.

Seit elf Jahren betreiben Bärbl Kaufer und Marcus Koch ihr Studio im dritten Stock eines Rückgebäudes an der Sonnenstraße, gleich neben den City-Kinos. Seit mehr als 30 Jahren tanzen sie miteinander, sind mehrfache nationale und internationale Boogie-Woogie- und Swing-Champions und haben einen Weltmeister- und drei Vizeweltmeistertitel. Der Vintage Club ist nun aber zur Homebase dieser Weitgereisten geworden, die auch etliche Jahre in den Ballrooms der USA unterwegs waren. Dem Mutterland jener Tänze, für die sie so brennen und die sie sich vor allem in den Staaten, aber nicht nur dort, quasi feldforschungsmäßig erschlossen haben . Frankie Manning etwa, den Godfather des Lindy Hop, haben sie noch als Lehrer erlebt. Nun hängt sein Schwarz-Weiß-Foto zusammen mit denen anderer Legenden im Foyer ihres Studios. Eine beeindruckende Hall of Fame.

Einige dieser Hausgötter waren in den vergangenen 16 Jahren, die es das Rock that Swing-Festival nun schon gibt, auch in München zu Gast. Norma Miller etwa, die "Königin des Lindy Hop", oder zuletzt 2020 Jean Veloz, die die Festivalbesucher in ihren Kursen bezauberte. Fast einhundert Jahre gelebte Tanzgeschichte. Nun trauern Koch und Kaufer um ihre Freundin, die der Star vieler Musicals der Vierzigerjahre war, sie starb vor wenigen Wochen im Alter von 98. Hochbetagt sind auch die Tänzerinnen, die heuer als Ehrengäste dabei sein werden. Sugar Sullivan, 92, und Barbara Billups, 84, tanzten schon im Savoy Ballroom, dem legendären Tanztempel in Harlem und einst einzigem Ort der USA, wo Schwarze wie sie gemeinsam mit Weißen feiern und tanzen konnten. Die beiden Ladys sind mit Cab Calloways Hi-Di-Ho Orchester, Duke Ellington und Count Basie aufgetreten - Namen, bei denen Swingfans vor Ehrfurcht die Knie schlottern.

In Amerika, wo sie den energiegeladenen Lindy Hop einst nach Flugpionier Charles Lindberg benannten (Lindy hopped over the ocean), haben Bärbl Kaufer und Marcus Koch viel gelernt. Vor allem auch, dass dort, anders als zu Hause in München, Genregrenzen keine Rolle spielen. "Hierzulande sagen die Leute, ich bin ein Lindy-Tänzer, ich bin ein Boogie-Woogie-, ein Rock 'n' Roll-Tänzer. Die Swinger fühlen sich more sophisticated als die Fifties-Fans, für die wiederum ist Swing Dudelei. Für uns aber war das alles immer gleichwertig", sagt Koch. Die beiden sehen sich als so etwas wie Pioniere, und ihr Festival spannt bewusst den Bogen von den Zwanzigern bis in die Fünfziger. Was es, zumindest auf europäischen Boden, einmalig macht.

Über die Jahre, erzählt Bärbl Kaufer, sei das Festival stetig gewachsen, "noch einen Abend, noch eine Klasse, noch eine Band" habe man dazu gepackt. Mehr als 80 der weltbesten Trainerinnen und Trainer, ergänzt Marcus Koch, würden heuer anreisen und in 350 Kursstunden beim sogenannten Dance Camp alles unterrichten: Lindy Hop, Balboa, Boogie Woogie, Shag, Rockabilly Jive, Blues, Burlesque, Authentic Jazz, Charleston. Was sie nur irgend kriegen konnten an Räumen haben die beiden für die Workshops angemietet, insgesamt 23 Studios. Dann ist da natürlich das Deutsche Theater, wo traditionell der Rock that Swing (18. Februar) und der Jamboree Ball (19. Februar) steigen, und das Künstlerhaus am Lenbachplatz, Schauplatz entfesselter Festival-Abende. Koch schwärmt vom Line-up der Live-Bands und DJs, denn ohne die Musik würde niemand auch nur einen Triple Step machen. Gäste sind diesmal etwa die 17-köpfige NP Big Band aus Italien, der britische Crooner Si Cranstoun, die Swing Shouters aus Frankreich oder als Vertreter der München Szene Chris Aron & his Croakers oder die Swing Lyons.

Nach zwei Jahren Festival-Pause scheint die Szene regelrecht ausgehungert zu sein. Laut Koch und Kaufer war die Nachfrage für das Dance Camp und die Abendveranstaltungen enorm, so dass Fans, die bislang leer ausgegangen sind, allenfalls noch auf Restkarten hoffen können, doch die Wartelisten sind lang. Wer sich allerdings schon mal fürs Festival 2024 oder einen der vielen Kurse einkleiden möchte, die der Vintage Club und andere Münchner Studios anbieten (etwa: www.swingandthecity.com oder www.vintagedancestudio.de), kommt zum Vintage Markt während des Festivals (im CVJM, Landwehrstraße 13, Fr. von 18.30-22 Uhr, Sa. und So. von 9-20.30 Uhr). Dort gibt es neben Souvenirs auch Tanzschuhe sowie passende Retro-Outfits. Denn stylish zum Swingball zu erscheinen, ist heute um ein Vielfaches leichter als noch vor Jahrzehnten, als Marcus Koch den Tanz und die Musik der Ära für sich entdeckte. Damals, erzählt er, sei er vor seinem ersten Turnier tagelang verzweifelt in München herumgelaufen, auf der Suche nach einer Hose mit weiten Beinen. Schließlich sei er beim Herrenausstatter "Stierblut" an der Sendlinger Straße fündig geworden. Die geräumige Bundfaltenhose, Modell "Boogie", sei dann zum Look der Szene geworden. "Aus heutiger Sicht waren das regelrechte Säcke", sagt er und lacht.

Rock that Swing Festival, 16.-20. Februar, Vintage Club (Sonnenstraße 12b), Deutsches Theater, Künstlerhaus am Lenbachplatz und andere Orte, Infos unter rockthatswing.com , auf dem YouTube-Kanal des Festivals oder unter www.worldofswing.de

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