Swing in München:Elegant durchdrehen

Erst die Knie, dann die Köpfe: Der Lindy Hop bringt alles in Bewegung - und hat eine bewegte Geschichte

Von Franziska Gerlach

Herrje, wie machen die das? Wie schaffen es Erich und Bettina Beschorner, 52 und 56 Jahre alt, nach knapp vier Stunden Workshop die Schritte nicht nur sicher zu setzen, sondern den Tanz auch noch mit Drehungen um die eigene Achse zu versehen, mit Jumps und Kicks, und bei all dem noch locker in den Hüften zu bleiben. So beschwingt, wie das Ehepaar es an diesem Samstagnachmittag im "Lindy Hop"-Workshop im "Vintage Club" an der Sonnenstraße gelernt hat.

Erich Beschorner tätschelt seiner Frau die Wange. Eine Geste, die sagt: Wir vollführen vielleicht nicht so wilde Sprünge und Hebefiguren wie die Tänzer damals im legendären Savoy Ballroom in Harlem, dem New Yorker Tanz-Club der Swing-Ära schlechthin. Ist aber trotzdem ziemlich toll, mit dir zu tanzen. Und ein paar coole Figuren haben wir jetzt ja auch drauf. "Es wird, es wird", sagt Bettina Beschorner aus Grafing stolz. So langsam lasse aber doch die Konzentration nach.

Swing in München: Wer in die Technik investiert, kann später umso besser improvisieren.

Wer in die Technik investiert, kann später umso besser improvisieren.

(Foto: Robert Haas)

Beim "Lindy Hop" dagegen kann von Ermüdungserscheinungen nicht die Rede sein. Und das ist doch erstaunlich für einen Tanz, der mehr als 90 Jahre auf dem Buckel hat. Um ihn zu lernen, ist Kescha Platonow sogar eigens aus Bregenz nach München gefahren. Wie es ihm gefalle? "Sehr gut", sagt der 47-jährige Österreicher. Und auch sonst sind die Teilnehmer des Workshops offenbar angetan von dem Tanz. "Die Spielereien mit den Füßen machen richtig Spaß", sagt zum Beispiel André Erdmann, 41 Jahre alt. "Die Musik bringt total gute Laune!", findet Meike Schmid, 29 Jahre alt. "Super, ich find's einfach super", sagt wiederum eine Mittzwanzigerin mit hochgezwirbelten Haaren. Ein schneller Schluck Wasser am Rand der Tanzfläche, schon ist die junge Frau im luftigen Kleid wieder weg, zurück zum Big-Band-Sound aus den Boxen und den Tanzlehrern Marcus Koch und Bärbl Kaufer. Diese machen gerade mit müheloser Eleganz vor, wie sich die Damen unter dem Arm des Herren durchdrehen. "Einfach die Hand hoch halten. Nicht ziehen, nicht schieben, nicht drücken", erklärt Koch.

Swing in München: Tanzen seit 30 Jahren miteinander: Die Lehrer Marcus Koch und Bärbl Kaufer in ihrem "Vintage Club" der Münchner Tanzschule World of Swing.

Tanzen seit 30 Jahren miteinander: Die Lehrer Marcus Koch und Bärbl Kaufer in ihrem "Vintage Club" der Münchner Tanzschule World of Swing.

(Foto: Robert Haas)

Weniger ist eben oftmals mehr, und am besten funktioniert das Ganze sowieso, wenn man den Kopf ausschaltet. Der Lindy Hop gilt als der Großvater der Swing-Tänze. Seinen Namen soll er der Tatsache verdanken, dass er sich ungefähr zur selben Zeit aus dem Charleston entwickelte, als der US-amerikanische Pilot Charles Lindbergh im Mai 1927 unter großer Beachtung der Medien - "Lindbergh hops the Atlantic", titelten die Zeitungen - von New York nach Paris flog. Der fliegende Wechsel, der im Workshop dadurch zustande kommt, dass man alle paar Minuten mit einem anderen Herrn tanzt, hat damit freilich nichts zu tun. Allerdings lernt man so nicht nur auf einen Schlag viele neue Leute kennen, sondern kommt als Anfängerin auch zu einer Reihe von Tanzpartnern, bei denen man im Fall des Falles spicken kann. Auf Dauer ist der Blick nach unten aber keine Lösung. Beim Autofahren schaue man ja auch nicht auf die Füße, erklärt Bärbl Kaufer. Sonst würde man vermutlich einen Unfall bauen.

Kaufer und Koch, das sind Lehrer, wie man sie gerne in der Schule gehabt hätte. Mit Sinn für Humor, aber nicht lasch. Solche, die eingreifen, ehe sich ein Fehler einschleicht. Ist ja schließlich eine Menge Neues: Die Workshopteilnehmer lernen an diesem Nachmittag verschiedene Variationen von Kicks, beim Tanz den Platz zu wechseln und den nach den irischen Jig-Tänzern benannten "Jig Walk"; sie kreisen kokett mit dem Allerwertesten, schütteln die Schultern und demonstrieren zwischendrin souverän, dass sogenannte "Jumps" nicht nur lässig aussehen, sondern dazu dienen, eine "Neutralposition" einzunehmen, aus der sich das Paar neu entscheiden kann, mit welchem Fuß es weitertanzt. Ach, und dann ist da natürlich noch die klassische Figur der Dreißigerjahre, bei der das Paar einen Ausfallschritt macht, und den Kopf wie ein Huhn nach vorne schiebt. "Peck, Peck, Peck."

Swing in München: Der Trainer Rasmus Homquist zeigt die ersten Grundschritte.

Der Trainer Rasmus Homquist zeigt die ersten Grundschritte.

(Foto: Robert Haas)

Seit annähernd 30 Jahren tanzen Koch und Kaufer miteinander. Sie sind mehrmalige Welt-, Deutsche und US-Meister - und außerdem das geschäftig schlagende Herz der Swing-Tanz-Szene, und zwar weit über die Grenzen Münchens hinaus. In ihrem "Vintage Club" an der Sonnenstraße unterrichten sie nicht nur Lindy Hop, Balboa, Boogie Woogie oder den flotten Shag, bei dem viel gesprungen wird. Sie veranstalten auch regelmäßig Tanzpartys und am kommenden Samstag auch einen Tag der offenen Tür. Eine Besonderheit der Swing-Tänze sei die Varianz im Tempo. "Wer powern will, kann powern. Wer's gemächlich will, tanzt langsam", erklärt Koch. Er steht an der Bar seiner Tanzschule, kurz vor Beginn des Workshops, vor ihm glänzt unter einer Discokugel das Parkett, das für so viele hier die Welt bedeutet.

Hinter Koch, direkt am Eingang, begrüßt die Besucher eine auf Pappe aufgezogene Fotografie jenen Mannes, ohne den die Geschichte des Vintage Clubs nicht erzählt werden kann. Hosenträger, weißes Hemd, ein offenes Lachen: Geboren 1914 in Florida, sollte Frankie Manning zu einem der bedeutendsten Vertreter des Lindy Hop werden. Noch heute zeugen Filme wie "In der Hölle ist der Teufel los!" aus dem Jahr 1941 von Mannings einfallsreichem, coolen Stil: Mit seiner Partnerin integrierte er gewagte Akrobatikelemente in den Tanz. Und es war Manning, der auf die Idee kam, statt aufrecht mit nach vorne gebeugtem Oberkörper zu tanzen. 1991 lernten Koch und Kaufer auf einem Turnier Tänzer aus Schweden kennen und über diese bei einem Besuch in Schweden wiederum Frankie Manning persönlich, weil der damals dort unterrichtete. Im darauffolgenden Jahr luden sie ihn nach München ein. "So ist der Lindy Hop wieder nach Deutschland gekommen."

Flotte Sohle

Der nächste Tag der offenen Tür findet im "Vintage Club" an diesem Samstag, 1. Februar, von 15 bis 18.30 Uhr statt, Sonnenstraße 12b (Rückgebäude) in München. In kostenlosen Workshops können Interessierte dann jeweils eine halbe Stunde lang die Basiselemente der Tänze Lindy Hop, Shag, Balboa und des Charleston der Zwanzigerjahre kennen lernen.

Am Abend kann das Gelernte bei einer Tanzparty ausprobiert werden, von 20 bis 0.30 Uhr legen DJs auf zwei Tanzflächen Swing und Boogie auf. Der Eintritt beträgt sieben Euro. Wer vor 20.30 Uhr kommt, bezahlt zwei Euro weniger. Eine weitere Gelegenheit zum Tanzen gibt es am Samstag, 8. Februar: Bei der Juke-Box-Party wählt man selbst die Lieder aus, zu denen man gerne tanzen möchte. Weitere Informationen unter www.worldofswing.de frg

Wieder: Denn nach dem Zweiten Weltkrieg, als US-Soldaten an der Isar stationiert waren, da wurde getanzt ohne Ende, und München mit seinen zahlreichen Clubs war eine regelrechte Hochburg. Wer seine Freundin nicht an einen GI verlieren wollte, der tat wohl gut daran, sich mit dem Swing vertraut zu machen. Im Workshop nähern sich die Leute dem Tanz an diesem Nachmittag, in dem sie zunächst ein wenig in den Knien wippen. Locker machen, bloß nicht verkrampfen, das ist wichtig. Überhaupt: Kontrolle, eine streng vorgegebene Abfolge der Schritte - diese Worte passen so gar nicht zum Lindy Hop und der Lebensfreude, die von ihm ausgeht. Geübt werden will der aber schon. Wer in die Technik investiert, kann später nämlich umso besser improvisieren. Das sei im Prinzip wie bei einer Sprache. "Ihr müsst die Vokabeln lernen - die Sätze könnt ihr dann selbst bilden", sagt Koch. Gerade diese Freiheiten gefielen ihm, sagt ein 32-jähriger Münchner, der den Workshop auf der Suche nach einem neuen Hobby besucht. Er habe früher Breakdance gemacht, doch dafür sei er inzwischen zu alt. Insofern komme ihm der Lindy Hop mit seinen vielen Möglichkeiten gerade recht.

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