Süddeutsche Zeitung

Computerspiele aus Bayern:Das Erste seiner Art

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Die Regensburger Videospielfirma Cipsoft wurde beim Deutschen Computerspielpreis als Studio des Jahres ausgezeichnet. Auch der beste Prototyp stammt aus der Donaustadt.

Von Jürgen Moises, Regensburg

Auf nach Tibia! Das haben sich während Corona und vor allem in der Lockdown-Phase sehr viele gedacht. Denn während man zeitweise nirgends mehr hinfliegen und mancher nicht mal in den nächsten Park gehen konnte, war Tibia nur ein paar Mausklicks, Computer- oder Handytasten entfernt.

Dort, in Tibia, konnte man sich frei bewegen, Freunde treffen, mit ihnen reden und gemeinsam auf die Jagd nach Monstern gehen. Oder nach Nahrung und wertvollen Gegenständen suchen. Bis zu 100 000 Menschen gleichzeitig haben das in der Corona-Zeit getan. Das war ein Drittel mehr als vor der Pandemie. Wobei die Zahl der Besucher in Tibia inzwischen wieder abebbt.

Wo Tibia liegt? Nun, auf mehr als 70 Servern, die zu Cipsoft aus Regensburg gehören. Das ist eine Videospielfirma, die beim Deutschen Computerspielpreis 2022 als "Studio des Jahres" ausgezeichnet wurde. Das hat nicht nur, aber viel mit Tibia zu tun. Das gleichnamige Fantasy-Online-Rollenspiel war das erste Game, das die Firmengründer Stephan Börzsönyi, Guido Lübke, Ulrich Schlott und Stephan Vogler noch als Studenten an der Uni Regensburg produziert und 1997 herausgebracht haben.

Heute, 25 Jahre später, ist Tibia noch immer die zentrale Säule des mit fast 100 Mitarbeitern größten Entwickler-Studios in Ostbayern. Mehr als 200 Millionen Euro Umsatz hat die 2001 gegründete Firma seitdem mit Tibia gemacht. 2020, während Corona, wuchs der Jahresumsatz um zehn Millionen auf 25 Millionen Euro, und der Gewinn verdoppelte sich.

Dabei hat die rund eine halbe Millionen Spieler umfassende Community kaum zugenommen. Aber: "In den vergangenen zwei Jahren haben wir sehr viele alte Spieler zurückgewonnen", erklärt Benjamin Zuckerer, der Cipsoft seit vier Jahren zusammen mit Ulrich Schlott und Stephan Vogler als Geschäftsführer leitet. Die hätten gemerkt, "dass sie ihre Freunde vermissen, die sie real ja nicht treffen können", so der 41-Jährige am Telefon.

Das Besondere bei Tibia: Die Zahl der Spieler ist so gut wie unbegrenzt. Massively Multiplayer Online Role-Playing Games, kurz MMORPGs, nennt man solche Spiele, von denen Tibia eines der ersten in Deutschland und das erste mit Grafik anstatt nur mit Text war. Das bis heute erfolgreichste MMORPG World of Warcraft erschien 2005, EverQuest kam 1999 heraus.

Der Hauptmarkt von "Tibia" ist in Südamerika, in Polen und in Schweden

Als Cipsoft 2003 mit TibiaME eine Variante für Handys herausbrachte, war es das erste mobile Online-Rollenspiel überhaupt und bescherte Cipsoft einen Eintrag ins Guinness-Buch. "Das lief auf Handys noch mit monochromem Display", erzählt Zuckerer, der seit 15 Jahren im Unternehmen ist. "Das kann man sich gar nicht mehr vorstellen."

In Deutschland wurde Tibia übrigens nie groß gespielt. "Der Hauptmarkt von Tibia ist in Südamerika, vor allem in Brasilien, in Polen und Schweden." Die Erklärung? Nun, "das Spiel ist ja relativ alt". Speziell in Brasilien gäbe es hohe Importzölle, die den Kauf von Computern und Spielen teuer machen. Mit der Folge, dass viele Brasilianer alte Rechner und sich auf günstigere Online-Angebote gestürzt hätten.

Hinzukommt, dass in Brasilien eine "sehr elaborierte Internet-Café-Kultur entstanden" ist. "Und wenn da Leute unser Spiel gespielt haben, dann haben das andere gesehen. So ist das über Mundpropaganda gewachsen." Marketing? Das hätten sie damals nicht gemacht. Es sei "einfach zur richtigen Zeit die richtige Idee gewesen." Ganz vorne dran zu sein oder gar "das Erste seiner Art" zu machen, das hat Cipsoft auch mit Panzer League versucht, das 2018 herauskam. Wären sie etwas schneller gewesen, wäre es das erste Multiplayer Online Battle Arena Game, kurz MOBA, gewesen. So war es das erste MOBA mit Panzern.

Noch innovativer klingt das 2020 erschienene LiteBringer, wo man einen Kämpfer oder Zauberer durch den Kauf von virtuellen Gegenständen "aufleveln" kann. Der Clou: Das Ganze findet nicht auf einem lokalen Server, sondern auf der Litecoin-Blockchain statt. Über diese kann man nicht nur spielen, sondern auch anderen Spielern Gegenstände abkaufen, ohne dass man das Spiel verlässt oder eine dritte Partei benötigt. Eine elegante Lösung, aber: "Der Kryptomarkt ist ein superschneller Markt und dort ist sehr viel Spekulation drinnen." Und wohl weil der "Spekulationsaspekt" darin eher niedrig ist, hat sich LiteBringer nicht gut verkauft. Weshalb sie es genauso wie Panzer League nicht weiterentwickeln.

Stattdessen wollen sie sich auf ihre Spezialität, "lebendige Online-Spielwelten", konzentrieren. Also Games, wo Hunderte Nutzer gemeinsam etwas erleben können.

Dieser Gemeinschaftssinn prägt auch die Arbeit im Unternehmen, das seit Anfang an in Gründerhand ist. Es gibt keine unbezahlten Überstunden. Es gibt kostenlose Getränke, Obst und: eine Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmen, durch die sie allen in den letzten beiden Jahren jeweils ein komplettes Jahresgehalt zusätzlich ausschütten konnten. Auch das macht Cipsoft zum "Studio des Jahres". Und dazu passt, dass sie das Preisgeld von 50 000 Euro nicht behalten, sondern an die Ukraine-Flüchtlingshilfe spenden.

Donausaurus bringen in "Wiblu" Fantasy und bayerische Legenden zusammen

Mit 50 000 Euro ist auch der Computerspielpreis für den besten Prototypen dotiert, den mit Donausaurus ebenfalls ein Regensburger Team gewonnen hat. "Wiblu" heißt die Interactive Novel, welche Peter Bartonik, Chriss Walter und Ramona Raabe entwickeln. Die orginelle Fantasy-Story ist von bayerischen Wäldern und Legenden inspiriert.

Bartonik hat Musik in Würzburg studiert, führt in Regensburg einen PC-Laden und ist bei "Wiblu" für die Programmierung und Musik zuständig. Walter hat Industriedesign studiert, macht die von japanischer Tuschemalerei inspirierte Grafik. Raabe, die nach einem Film- und Literaturwissenschaft-Studium in Berlin nun freie Romanautorin ist, "veredelt" die Story.

Wiblu, an dem das Trio seit knapp zwei Jahren arbeitet und das sie im nächsten Jahr auf PC und im Idealfall auf der Switch-Konsole herausbringen wollen, steht hier beispielhaft für mehrere ambitionierte, kleinere Projekte, die aktuell um Cipsoft als dem einzigen großen Game-Studio herum in Regensburg entstehen. Tatsächlich ist Benjamin Zuckerer für Donausaurus auch eine Art "Mentor", wie man von Peter Bartonik am Telefon erfährt. Ansonsten nennt er GameDev Regensburg als wichtige Anlaufstelle, eine Meet-up-Gruppe für junge Entwickler, die neben dem monatlichen Stammtisch auch Vorträge oder Workshops organisiert.

Informatiker, Grafiker, Audio-Leute und Texter zusammenzubringen, das sei im Wesentlichen hier das Ziel. Was zeigt: Der Gemeinschaftsgeist, er prägt die gesamte, im Moment noch recht überschaubare Regensburger Games-Szene. Und mal sehen: Vielleicht bringt er noch ein paar weitere Preisträger hervor.

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