Süddeutsche Zeitung

Prozess:Löwen-Fans verklagen Deutschland

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Von Ekkehard Müller-Jentsch

Durfte die Bundespolizei in einem voll besetzten Eisenbahnwaggon große Mengen Pfefferspray versprühen? Vier Fans des TSV 1860 München haben die Bundesrepublik Deutschland verklagt. Sie sind der Ansicht, dass Maßnahmen der Polizei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig waren. Das Verwaltungsgericht München hörte am Mittwoch mehrere Zeugen und trennte dann einen Teil des Verfahrens ab - der Prozess wird demnächst fortgesetzt.

Rauch zog am 16. Februar 2014 durch den Audi Sportpark in Ingolstadt, während des Zweitligaspiels der Heimmannschaft gegen die Münchner Löwen. Mit den rund 4900 Fans des TSV 1860 war laut Polizei auch eine Gruppe von etwa 100 "Problempersonen" angereist, weshalb die Partie als Risikospiel eingestuft wurde.

"Randale" am Bahnhof Petershausen

Schon bei der Ankunft des Zuges aus München am Hauptbahnhof Ingolstadt brannte die Gruppe Feuerwerkskörper ab. Während des Transports zum Stadion beschädigten einige Personen Scheiben von den Shuttlebussen. Im Gästeblock des Stadions zündeten sie dann mindestens fünf Rauchtöpfe, drei bengalische Fackeln und einen Knallkörper. Als in der zweiten Spielhälfte Feuerzeuge und kleine Schnapsflaschen auf das Spielfeld geworfen wurden, stand das Spiel kurz vor dem Abbruch. Schließlich wurde die Begegnung nach einer zweiten Spielunterbrechung zu Ende geführt: Die Löwen unterlagen 0:2.

Bundespolizisten begleiteten die Fans auf der Zugfahrt nach München. Um 22.30 Uhr meldeten sie telefonisch "Randale" am Bahnhof Petershausen, die Stimmung im Zug sei aggressiv - sie forderten Unterstützung an. Einheiten des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord, der Bayerischen Bereitschaftspolizei und des Polizeipräsidiums München wurden zur Unterstützung geschickt. Während einer Kontrolle im Waggon war es laut Polizei zu einem Angriff durch einige Fahrgäste gekommen, weshalb die Bundespolizei gegen mehrere Angreifer Pfefferspray einsetzte.

Nachher listete die Polizei für den Spieltag etliche Fälle von Sachbeschädigung auf, siebenmal versuchte gefährliche Körperverletzungen durch Pyrotechnik, Vergehen nach dem Sprengstoffgesetz, ein Betäubungsmitteldelikt, drei Beleidigungen unter anderem gegen Polizisten, drei Körperverletzungen.

Am 25. Februar ging beim Präsidium München eine Strafanzeige gegen Polizisten ein wegen des Einsatzes von Pfefferspray im Zug. Da sich die Vorwürfe ausschließlich gegen Beamte der Bundespolizei richten, wurde die Anzeige an die Bundespolizeidirektion München weitergeleitet. Es kam sogar zu einer Landtagsanfrage der Grünen Katharina Schulze: "Wie bewertet die Staatsregierung die Maßnahme der Polizeieinsatzkräfte, in einen "voll besetzten Waggon große Mengen Pfefferspray zu sprühen".

Augenverletzungen und Hämatome

Das Innenministerium lehnte eine Antwort jedoch ab: "An der Maßnahme waren keine bayerischen Einsatzkräfte beteiligt - daher ist eine Bewertung der Maßnahme nicht möglich." Die Einsatzleitung habe bei der Bundespolizei gelegen, Münchner Beamte seien lediglich zur Unterstützung eingesetzt worden.

Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts ließ sich nun die Vorkommnisse im Zug von zwei Klägern schildern, die beiden anderen waren nicht erschienen. Der Mann und die Frau, die in der Verhandlung einen ruhigen und besonnenen Eindruck vermittelten, sahen die Schuld an der Eskalation eher auf Seiten der Beamten: "Die haben provoziert - es ist mit Ansage passiert." Die Leute im Zug seien ruhig gewesen.

Hochgeschaukelt habe sich alles an einem rauchenden Fan, der abgeführt worden sei. Beamte hätten schließlich wahllos Reizstoff in die Gänge gesprüht. Beide hätten neben Augen- und Atemwegsverletzungen auch Hämatome durch Schläge mit Polizeistöcken erlitten. Die Vorsitzende Richterin verwies dagegen auf Videos aus dem Zug, die keineswegs ein angeblich so friedliches Bild zeigen. Aggressives Verhalten der Fan schilderten nachmittags auch Polizisten als Zeugen.

Teile der vier Klagen, in denen es um die Identitätsfeststellung am Münchner Bahnhof geht, wird das Verwaltungsgericht ans Amtsgericht verweisen. Der Prozess dauert an.

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Quelle:
SZ vom 11.08.2016
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