Süddeutsche Zeitung

Olympia '72:Ritterturniere als Vorläufer von Olympia

Lesezeit: 3 min

"Turniere", die kleine Studioausstellung im Bayerischen Nationalmuseum, wirft ein Schlaglicht auf die Ritterspiele als Vorläufer olympischer Wettkämpfe.

Von Jutta Czeguhn

Zweikämpfe führt man bis zum bittersten Ende, selbst bis zum Verlust aller Gliedmaßen, und dann kann man sich immer noch auf Unentschieden einigen. Von legendär britischem Sportsgeist ist diese Szene in der Ritterfilm-Persiflage "Monty Python and the Holy Grail" ("Die Ritter der Kokosnuss", 1975), einem wunderbaren Blödsinn, in dem historisch wohl rein gar nichts stimmt, der aber durch die fröhliche Brille der Satire scharfsinnig den Punkt trifft: Die Welt der Ritter, sie fasziniert bis heute.

Im Bayerischen Nationalmuseum ist jetzt eine Studioausstellung zu sehen, die mit Exponaten aus der eigenen Sammlung eine spannende Linie zieht vom Turniergeschehen des 15. und 16. Jahrhunderts zu den sportlichen Großereignissen der Neuzeit. Für die "Game of Thrones"-Generation mag dieser Beitrag der Mediävistik zum Jubiläumsjahr Olympische Spiele in München 72 womöglich etwas zu akademisch daherkommen. Immerhin aber sieht man auf Monitoren, wie die Mitglieder der französischen Stunttruppe "Cavalcade" spektakulär von schnaubenden Rössern in den Arenastaub krachen. Das Kaltenberger Ritterturnier ist Mitsponsor der Ausstellung.

Das Livespektakel kann heuer nach zwei Jahren Corona-Pause (Start 15. Juli) wieder stattfinden. Luitpold Prinz von Bayern hatte das Turnier 1980 anlässlich der 800-Jahr-Feier des Hauses Wittelsbach auf seinem Schlossgelände ins Leben gerufen, und reinszeniert damit Historie, ebenso wie dies regelmäßig bei Feierlichkeiten zur Landshuter Hochzeit geschieht. "Tatsächlich besitzen die historischen Wettkämpfe des Adels und das sportliche Großereignis der Moderne trotz aller unbestreitbaren Unterschiede eine bemerkenswerte Reihe von Gemeinsamkeiten", schreibt im Ausstellungskatalog Frank Matthias Kammel, Generaldirektor des Bayerischen Nationalmuseums.

Und er macht erstaunliche Parallelen aus: Sowohl bei den Schaukämpfen vor fünf Jahrhunderten als auch bei Olympia vor fünf Jahrzehnten ging es um körperliche Kraft, Technik und Beweglichkeit, um Repräsentation der Macht, sei es von Adelsgeschlechtern oder Nationen. Schon damals gab es Spielregeln und Schiedsrichter, Kampfplätze, johlende Mengen, unermessliche Kosten, wehende Banner, aufwendiges Dekor, das laut Kammel durchaus im ästhetischen Gesamtkonzept Otl Aichers für München '72 zitiert ist. Zudem waren die Spiele, damals wie heute natürlich ein Heiratsmarkt - Stichwort Silvia Sommerlath.

Stechreiter in seidener Unterwäsche

Zumindest im Mittelalter spielten Frauen, abgesehen davon, dass sie Siegerkränze verteilten, keine Rolle. Ein Männerding. Und schon die Knaben sollten in die Welt des edlen Kräftemessens hineinwachsen, wie ein Exponat zeigt. Ein Spielzeug sei der kleine Stechreiter aus dem Hause der Nürnberger Patrizierfamilie Holzschuher (Mitte 16. Jahrhundert) wohl gewesen, sagt Raphael Beuing. Er ist Kurator der Ausstellung und im Museum für die Waffensammlung zuständig. Röntgenaufnahmen, die im Zuge der Vorbereitung der Schau aufgenommen wurden, enthüllten Erstaunliches.

Der Minireiter, der seidene Unterhosen unter der geschlitzten Hosen aus gelbem Leder trägt, ist bis in die Drahtfingerspitzen verstellbar. Und dass man den Pferden im Kampf leinene Blendkappen überstülpte, weiß man laut Beuing überhaupt erst durch diese in der Museumswelt wohl einmalige Figur: "Ein bisher vollkommen unbekannter Teil des Pferdeharnischs, der dem Ross beim Gestech die Sicht nehmen und es davor bewahren sollte, vor dem gegnerischen Tier zu scheuen".

Wimmelbild von der Fürstenhochzeit

Von großem Detailreichtum sind in der Schau auch die Bildexponate, frühe Wimmelbilder, die viele Geschichten erzählen. Exakt datieren lässt sich etwa das Geschehen, das der Künstler Jost Ammann mit Bravour und Humor festgehalten hat: Es zeigt ein Gesellenstechen auf dem Nürnberger Hauptmarkt am 3. März 1561, das von jungen adeligen oder patrizischen Standesgenossen ausgetragen wird. Eine neugierige Menge rangelt um die besten Plätze, man entdeckt Richter mit pelzverbrämten Mänteln, Podeste, über die sich die Ritter in ihren schweren Harnischen, unterstützt von Knappen, auf die Pferde wuchten.

Viel los ist auch auf einem anderen Gemälde: Eine der größten von Turnieren begleiteten Festlichkeiten der Renaissance im süddeutschen Raum war die Hochzeit von Herzog Wilhelm V. von Bayern mit Renata von Lothringen im Jahr 1568 in München, die in dichter Folge mit Gastmahlen, Tänzen, Gottesdiensten und allen möglichen Turnierformen gefeiert wurde. Auch hier war mit dem Maler Nikolaus Solis ein Könner zur Stelle, der diese Sause für die Nachwelt dokumentiert hat.

Neben den Exponaten aus der Waffensammlung des Nationalmuseums dürften Kampfsport-Interessierte vor allem an den großen, querformatigen Fechtbüchern von Joachim Meyer Gefallen finden, die aufgrund der Empfindlichkeit der Aquarelle sonst in den Tresoren des Museums lagern.

Aufgelegt 1570 in Straßburg und 1600 in Augsburg, zeigen sie, fast wie Anleitungen, die Kampfkunst aus einer neuen Perspektive - denn in der Kunst des Fechtens trainierten und wetteiferten nicht länger nur junge Aristokraten, sondern auch Mitglieder der städtischen Miliz, Soldaten, Studenten oder Handwerker. Und in der Schau scheint dies wohl die größte Annäherung an den Sport von heute.

Turnier, Wettkampf und Spiel, Bayerisches Nationalmuseum, Prinzregentenstraße 3, bis 6. November 2022, www.bayerisches-nationalmuseum.de

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