Süddeutsche Zeitung

Klinikum Bogenhausen:Ende eines Modellversuchs

Lesezeit: 3 min

Vor 30 Jahren startete im Klinikum Bogenhausen ein bundesweit einzigartiges Projekt: Hirngeschädigte Patienten sollten auch für die langwierige Reha-Behandlung dort bleiben. Jetzt wollen die Kassen das nicht mehr bezahlen.

Von Stephan Handel

Wenn der Laptop runterfällt - dann wird ihn sein Besitzer zur Reparatur bringen, dort werden dann eventuell defekte Teile ausgetauscht, Schrauben nachgezogen, Leitungen überprüft, in der Hoffnung, dass der Computer dann wieder funktioniert. Was aber, wenn alle Fehler behoben sind, kein Schaden mehr feststellbar ist, sich der Rechner aber trotzdem nicht so benimmt, wie er soll?

Das menschliche Gehirn mit einem Computer zu vergleichen, das ist eine gängige, aber nicht ganz zutreffende Praxis. Das zeigt sich dann, wenn das Gehirn geschädigt wurde - wenn der Mensch, dem es gehört, zum Beispiel bei einem Autounfall mit der Stirn auf das Lenkrad prallte, oder wenn nicht mehr genügend Blut in den Kopf strömt, also ein Schlaganfall. Die organischen Folgen einer solchen Verletzung oder Erkrankung können sehr gut behandelt werden.

Brave Familienväter werden zu gewalttätigen Trinkern

Dennoch bleiben oftmals Schäden zurück: Die Patienten können nicht mehr sprechen, Arme oder Beine sind gelähmt, der Sehsinn funktioniert nicht mehr richtig. In manchen Fällen verändert sich sogar die Persönlichkeit: Brave Familienväter werden zu gewalttätigen Trinkern, eher stille, schüchterne Menschen bekommen plötzlich das Plappermaul nicht mehr zu.

Die Behandlung solcher Krankheitsbilder ist schwierig, langwierig und äußerst individuell - neben den Ärzten unterschiedlichster Fachrichtungen können Logopäden daran beteiligt sein, Ergotherapeuten, Krankengymnasten und viele andere. Im Jahr 1984 startete am Klinikum Bogenhausen ein Modellprojekt, das nicht nur all diese Fachrichtungen unter einen Hut bringen sollte, sondern auch die verschiedenen Phasen von Intensiv-Therapie, Früh- und Langzeitreha, alles in einem Haus. Nach 30 Jahren aber steht die Klinik für Neuropsychologie nun vor dem Ende.

Angeblichen Sparwut in der Geschäftsführung

"Die Mitarbeiter sind ängstlich und skeptisch", sagt Georg Goldenberg. "Sie arbeiten momentan in völliger Ungewissheit." Goldenberg ist der Chefarzt der Klinik, das Schicksal der Einrichtung hängt, ob er will oder nicht, an seiner Person: Zum 31. Januar des kommenden Jahres geht Goldenberg in den Ruhestand, bis dahin wird der Betrieb weiterlaufen wie bisher.

Dann aber, so teilt die Städtische Klinikum GmbH (StKM) mit, werde die Neuropsychologie "auf Basis des vom Stadtrat beschlossenen Sanierungsgutachtens für das Städtische Klinikum im Neurologischen Zentrum des Klinikums Bogenhausen in reduziertem Umfang integriert bestehen bleiben". Goldenbergs Chefarzt-Stelle wird nicht neu besetzt.

Falsch wäre es nun aber, die Schließung der Klinik nur der angeblichen Sparwut in der StKM-Geschäftsführung anzulasten, wie sie Vertreter lokaler Interessen etwa in Harlaching oder in Schwabing am Werk sehen. Die Wirklichkeit ist etwas komplizierter. Denn die Einbettung von Reha-Maßnahmen in ein Akutkrankenhaus erforderte schon bei der Gründung der Klinik einen Spagat der Kostenträger, also in erster Linie der Krankenkassen: In den Gebühren-Modellen ist das eigentlich nicht vorgesehen. Vollends unübersichtlich wurde die Lage, als im Jahr 2003 das System der sogenannten "diagnosis related groups" eingeführt wurde, kurz DRG.

Seitdem wurden - verkürzt gesagt - für alle Behandlungen im Krankenhaus Richtwerte eingeführt, vor allem, was die Dauer des Aufenthalts betrifft. Das funktioniert einigermaßen gut bei standardisierten Geschichten: Bei einer Blinddarm-Operation wissen die Ärzte sehr gut, wie lange es dauert, bis der Patient wieder fit ist.

Aber bei höchst individuellen Krankheitsbildern, wie sie in der Bogenhausener Neuropsychologie behandelt werden? Im vergangenen Jahr haben die Kassen die Reißleine gezogen und angekündigt, dass sie die Reha in der Akutklinik nicht mehr bezahlen wollen - auch unter Hinweis auf die Gesetzeslage; Rehabilitationen werden für gewöhnlich von den Berufsgenossenschaften oder der Rentenversicherung finanziert.

Nicht alle werden weiterbeschäftigt

Bei den Mitarbeitern in Bogenhausen stößt diese Haltung auf Unverständnis - und auch bei ihrem Chef: "Wir sind die Mutter aller neuropsychologischen Therapie-Einrichtungen in Deutschland", sagt Georg Goldenberg in seinem weichen Österreichisch, und: "Wir haben alles schon gesehen, was es an ausgerissenen Sachen gibt." Damit meint er: In Bogenhausen ist Kompetenz versammelt wie kaum woanders. Goldenberg: "Niedergelassene Ärzte kennen das alles gar nicht, was wir hier täglich sehen."

Richtig ist, dass die Bogenhausener Neuro-Spezialisten ihre Patienten aufwendiger und intensiver versorgen, als das in manchen - meistens privat getragenen - Reha-Einrichtungen der Fall ist. Genau das aber macht die StKM-Geschäftsführung skeptisch. Neben dem offiziellen Statement - "auf Basis des Sanierungsgutachtens in reduziertem Umfang bestehen bleiben" - ist von dort unter der Hand zu hören, dass die Bogenhausener bislang nicht bewiesen haben, dass ihre Methode zu besseren Ergebnissen bei den Patienten führt. "Das Prinzip ,Viel hilft viel' ist in der Medizin nicht unbedingt richtig", sagt jemand aus der Geschäftsführung. "Außerdem: Toller Modellversuch, der in 30 Jahren in ganz Deutschland nicht einen Nachahmer gefunden hat."

Komplizierter als ein abgestürzter Laptop

Mehr als 50 Menschen arbeiten derzeit noch in der Klinik; klar ist, dass nicht alle weiterbeschäftigt werden. Zeitverträge werden, wie in der gesamten StKM, schon jetzt kaum noch verlängert, und wie oft in gefährdeten Unternehmen gilt auch hier: "Wer kann, sucht sich was anderes", so ein Arzt. "Bis zum Herbst geht's noch mit den Dienstplänen, dann wird's eng."

Wenn Georg Goldenberg in den Ruhestand tritt, wird die Klinik für Neuropsychologie Geschichte sein, nur mehr eine Abteilung in der Neurologie des Klinikums Bogenhausens - das Ende eines 30 Jahre währenden Versuchs, Menschen zu helfen, mit einem beschädigten Gehirn zurecht zu kommen. Das ist in jeder Hinsicht komplizierter als ein abgestürzter Laptop.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2096385
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.08.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.