Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Im Zigarettenparadies München kann man das Rauchen nicht ignorieren

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Das Geschäft mit dem Tabak ist eine Mega-Industrie. Das wundert unseren Kolumnisten aus Nigeria - denn in seiner Heimat ist das Rauchen verpönt.

Kolumne von Olaleye Akintola

München ist besessen von Sauberkeit. Keine Müllhaufen in den Straßen, keiner, der seine Brotzeittüte arglos auf den Boden fallen lässt. Fast an jeder Ecke findet man Abfalleimer, manche sogar mit elektronischen Sensoren. Nie ist mir eine hygienischere Stadt begegnet. Und doch sind da diese winzigen Dinge, welche die Wege dieser Stadt massenhaft säumen. Bräunlich und grauslich, überall zu finden, an Bushaltestellen, in Parks, auf der Straße: Zigarettenstummel - etwas, das jeder als normal hinnimmt, worüber niemand spricht.

Abgasskandale sind das große deutsche Thema dieser Tage. Dabei gibt es auch andere Verschmutzer, bei denen mal wieder eine Nachfrage angebracht wäre. Man muss sich nur mal an einen Bahnsteig der S-Bahn hinstellen und nach unten schauen. Da liegen sie zu Hunderten und Tausenden, hoffnungslos am Ende ihrer Tage. Als mir die Mengen an ausgerauchten Glimmstängeln zum ersten Mal auffielen, kam mir der Gedanke, wie wenig ich zu diesem Phänomen beitrage. Vielleicht integriere ich mich zu wenig in diese Kultur des All-Überall-Rauchens? Es mag zwar schädlich für die Lunge sein, vielleicht aber ist die Zigarette die einzige Lösung, um diese monströse Winterkälte aus den Gliedern zu bekommen?

Zumal, was hat man hier schon zu verlieren? Bayern ist ein reiches Land, die Menschen haben Arbeit, um das teure Rauchvergnügen finanzieren zu können. Noch wichtiger: Jeder ist krankenversichert, hier gibt es mit die besten Doktoren. Die Schreckensbilder und Todeswarnungen auf den Päckchen scheinen hier niemanden ernsthaft zu interessieren.

Das Geschäft mit dem Tabak ist eine Mega-Industrie in meiner neuen Heimat. Ist ein Stadtviertel mal nicht mit einem Supermarkt oder einer Tankstelle gesegnet, hängt dort eine Selbstbedienungsmaschine an der Wand. Um sicher zu gehen, dass ein Raucher selbst dann keinen Nikotinentzug hinnehmen muss, wenn Schneeberge weitere Einkaufswege blockieren. In einem Zigarettenparadies wie München kann man das Rauchen nicht erfolgreich ignorieren. Im Prinzip sind die Münchner alle Mitraucher, wenn sich die Schwaden in der Stadt verteilen und dieses Luxusgut Frischluft in ein Stinkgemisch verwandeln. Man steht am Marienplatz, und plötzlich fängt es an zu qualmen, so sehr, dass der Gestank in der Kleidung hängen bleibt. Längst habe ich mich an diese Frage gewöhnt: "Hast du mal n' Feuer?" So oft wurde sie mir schon gestellt, dass ich mich manchmal frage, ob ich womöglich ein unsichtbares Schild für Raucher umhängen habe.

Dabei liegt mir das fern. Wo ich herkomme, ist Rauchen als schlimmes Laster verschrien. In Jugendtagen kam einst mein Bruder nach Rauch riechend heim - was sogleich einen Weinkrampf bei meiner Mutter auslöste. Kaum einer raucht dort draußen unter Leuten oder gibt die Neigung zur Kippe offen zu, nicht nur weil es auf öffentlichen Plätzen verboten ist. Stattdessen versuchen die Raucher, ihre Untugend zu verheimlichen. Sie rauchen daheim hinter verschlossenen Türen und verhangenen Fenstern. Oder in eigens dafür ausgelegten Lokalitäten.

Und in München? Dort hört die Raucherei hinter den Türen urplötzlich auf. Raucherkneipen sucht man hier vergeblich. Welch erstaunliche Kultur. Wo sich doch Bier am besten eignet, um die flambierte Lunge zu kühlen.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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Quelle:
SZ vom 18.01.2019
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