Süddeutsche Zeitung

Zigaretten:Rauchen ist so gern gesehen, wie einem Fremden ins Bier zu spucken

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Selbst das Entsorgen der Kippe ist im sauberen München peinlich. Wer nicht von seinem Laster kann, dem bleibt nur noch eins übrig: verleugnen.

Kolumne von Andreas Schubert

Es lässt sich nicht mehr leugnen: Rauchen ist dermaßen von vorgestern, dass man sich fast blöd vorkommt, wenn man sich auf der Straße eine ansteckt. Alleine schon das Entsorgen der Kippe ist im sauberen München peinlich: Wer sie auf den Boden wirft, wird inzwischen so böse angeschaut, als habe sein Hund ein größeres Geschäft verrichtet. Öffentliche Aschenbecher gibt es aber nicht, also lässt man es am besten bleiben. Auch Biergärten sind längst nicht mehr sicher.

Sich etwa am Viktualienmarkt einfach wo dazuzusetzen und zu qualmen, ist in etwa so gerne gesehen, wie einem Fremden ins Bier zu spucken. Zwar werden in der einen oder anderen Giesinger Kneipe noch zu später Stunde Aschenbecher auf die Theke gestellt; manche Leute dort erinnern aber an die Fotos, die sie seit einiger Zeit auf die Zigarettenschachteln drucken - Abschreckung live. Also wird zu Hause nur noch auf dem Balkon geraucht, sofern die Nachbarn nicht daheim sind, man will ja nicht der Asi der Hausgemeinschaft sein.

Auf Partys hingegen sind Raucher gern gesehen. Wer kurz vor die Tür geht, hat immer ein paar Leutchen im Schlepptau, die er zwar noch nie zuvor gesehen hat, die aber auf einmal total anhänglich sind: "Mensch, eigentlich hab ich aufgehört, aber jetzt hätte ich voll Bock auf ne Kippe, haste eine für mich?" Klingt voll gesellig, ist es aber nicht. Denn die neuen Kurzbekanntschaften drücken ihre Schnorrbeute nach zwei, drei Zügen wieder aus ("Bin ich echt nicht mehr gewohnt") und gehen rein. Und nach zwei, drei Raucherpausen ist die Schachtel auch schon leer geschnorrt.

Rauchern, die nicht von ihrem Laster lassen können, bleibt so nichts anderes übrig, als sich in Gesellschaft als Nichtraucher auszugeben. Blöd nur, dass sie dann keine Ausrede mehr haben, um sich von einer langweiligen Runde abzusondern. Denn mitten im Gespräch vorzugeben, dringend frische Luft schnappen zu müssen, kommt recht unhöflich rüber. Die Zigarettensucht wird einem da schon eher nachgesehen. Wer so dumm, krank und pleite ist, dem kann man doch nicht ernsthaft böse sein.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2017
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