Süddeutsche Zeitung

Schauplatz:Arbeitslager in der Nachbarschaft

Von Wolfgang Görl

Die leeren Räume, die kahlen Wände, der verwitterte Putz - die Baracke 5 des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers an der Ehrenbürgstraße in Neuaubing ist ein hässlicher Ort. Beklemmend aber wird er erst, wenn man weiß, was sich hier abgespielt hat. Etwa 1000 Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter waren in den letzten drei Kriegsjahren in dem Neuaubinger Lager eingesperrt. Die deutschen Invasoren hatten sie verschleppt, aus der Sowjetunion, aus Polen, Frankreich, Holland oder Jugoslawien. Täglich wurden die Gefangenen von bewaffneten Wachmännern ins etwa einen Kilometer entfernte Reichsbahn-Ausbesserungswerk getrieben, wo sie Lokomotiven, Waggons und Gleise reparieren mussten. Gewalt, Schikanen und Misshandlungen durch die Aufseher waren im Neuaubinger Lager alltäglich.

Etwa 13 Millionen Menschen hatte das "Deutsche Reich" versklavt, um sie als Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie, in der Landwirtschaft, bei den Stadtwerken oder in Privathaushalten einzusetzen. Allein in München gab es etwa 120 000 Zwangsarbeiter, ein Drittel von ihnen waren Frauen. Die Menschen wurden in oft primitiven Baracken und Unterkünften gefangen gehalten. Rund 400 Lager waren für sie in München errichtet worden. Niemand konnte sie übersehen.

Viele Münchner Unternehmen haben von diesem Sklavensystem profitiert. Dazu gehörten BMW und Krauss-Maffei ebenso wie Agfa, Metzeler, MTU oder die Süddeutsche Bremsen AG. Die meisten dieser Betriebe produzierten für das Militär, deshalb hatten sie eine herausragende Bedeutung für den Nazi-Staat. Als die deutschen Arbeiter in den Krieg ziehen mussten, ersetzte man sie durch Ausländer, die aus ihrer Heimat verschleppt wurden.

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Quelle:
SZ vom 27.04.2020
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