Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Der Winter, der keiner war

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München erlebt den zweitwärmsten Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Welche Folgen die milden Temperaturen und der Schneemangel für die Natur haben.

Von Thomas Anlauf

Das war kein Winter": Uwe Zimmermann vom Deutschen Wetterdienst (DWD) ist als Wissenschaftler normalerweise sehr zurückhaltend mit Kommentaren. Doch das, was das Wetter in den vergangenen drei Monaten München beschert hat, kann Zimmermann nicht als kalte Jahreszeit identifizieren. Die Sonne schien von Dezember bis Ende Februar "deutlich zu viel", dazu war es zu warm, aber durch den turbulenten Februar auch außergewöhnlich windig und nass. So geht dieser Winter als zweitwärmster nach 2007 in die Statistik ein. Die Sonne schien von Dezember bis Februar nur im Jahr 2008 und 1990 etwas häufiger.

Die extrem milde Witterung hat natürlich Auswirkungen auf die Natur. So wurde in München bereits Ende Januar der Gesang der Goldammer gehört. "Dass sie schon zu dieser Zeit singt, ist ungewöhnlich", sagt die Vogelexpertin Sophia Engel vom Landesbund für Vogelschutz in München. Üblicherweise beginnen die kleinen Vögel mit der Brut frühestens Mitte April, doch der Gesang sei ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie mitten im sogenannten Hochwinter schon auf Partnersuche war. Die Frühlingsgefühle der kleinen Goldammer sind bei den Temperaturen, die der Wetterdienst an seiner Station an der Helene-Weber-Allee nahe dem Leonrodplatz gemessen hat, wenig überraschend: So war es im Dezember um 3,3 Grad, im Januar um 3,7 und im Februar sogar um 5,3 Grad zu warm im Vergleich zum langjährigen Monatsmittel.

Nicht nur die Goldammer ist deshalb schon länger zu hören, "auch die Meisen und Buchfinken zwitschern seit Wochen", sagt Sophia Engel. Sie hat beobachtet, dass viele Vögel in den vergangenen Jahren versuchten, hier zu überwintern. "Das ist eigentlich eine geschickte Strategie, sie haben so im Frühjahr beste Startmöglichkeiten", sagt Engel. Einerseits sei der Vogelzug über die Alpen "ein relativ gefährliches Unterfangen" und zudem sehr kräftezehrend. Andererseits kann den Rückkehrern passieren, dass sie keine Brutpartner oder auch keine Bruthöhlen finden, weil die schon von den Hiergebliebenen besetzt sind. Für einige Vogelarten, die den Winter in Afrika verbringen, wird der Klimawandel mit immer milderen Temperaturen auch zu einem existenziellen Problem: Der Trauerschnäpper beispielsweise kehrt zwar mittlerweile zwei bis drei Wochen früher als noch vor vier Jahrzehnten aus dem Winterquartier in Afrika zurück. Allerdings entwickeln sich Raupen, die als Hauptnahrung für den Trauerschnäpper-Nachwuchs dienen, noch früher, sodass die Vögel eigentlich zu spät dran sind.

Die Vögel, die im Winter hiergeblieben sind, hatten in diesem Jahr relativ wenig Probleme bei der Nahrungssuche. Der Boden war selten richtig gefroren: Normalerweise gibt es in einem Münchner Winter durchschnittlich knapp 60 Frosttage, an denen die Temperaturen unter null Grad fallen. In diesem Winter waren es lediglich 39 Tage, also knapp 21 kalte Tage weniger als im langjährigen Mittel.

Besonders auffällig war in diesem Jahr der Schneemangel. Nur an zwei Tagen, nämlich am 1. Dezember und am 26. Februar, fielen ein paar Flocken. Normal wären allerdings nicht zwei Tage mit Schnee, sondern 42 Tage. Im Vorjahr hingegen war München Anfang Februar fast im Tiefschnee versunken.

Für Uwe Zimmermann vom Münchner Klimabüro des DWD ist der meteorologische Winter, der am 29. Februar zu Ende ging, aber nicht nur wegen des Schneemangels und der vielen sonnigen Tagen bemerkenswert. Denn das Wetter war ansonsten durchaus turbulent. Nach den zu trockenen Monaten Dezember und Januar schüttete es im Februar in München so viel, dass es statistisch gesehen auch für den gesamten März reichen würde, um noch im langjährigen Durchschnitt zu bleiben. Den Wäldern rund um München "hat das unglaublich gut getan", sagt Martin Hänsel vom Bund Naturschutz in München.

Allerdings habe der milde Winter auch viele Insekten begünstigt, darunter den Borkenkäfer. Dessen Entwicklung müsse nun in den kommenden Wochen genau beobachtet werden, damit nicht eine Plage wie im vergangenen Jahr auf die Münchner Forste zukommt. Auch den Obstbäumen droht Gefahr: Da sie nun deutlich früher zu blühen und auszutreiben beginnen, könnten viele Bäume bei späten Frostnächten noch erfrieren. Problematisch ist es auch für die Igel in der Stadt: Viele seien schon Mitte Februar aufgewacht, das sei ein Monat zu früh im Jahr. "Das tut denen nicht gut", sagt Naturschützer Hänsel. Denn nun seien sie zwar wach, allerdings finden sie als nachtaktive Jäger in den kühlen Abendstunden noch kaum Insekten.

Zudem hat der im Februar häufig starke Wind viele Laubhaufen unter den Büschen verblasen und die Igel ihrer Winterquartiere beraubt. So fegte Sturm "Sabine" am 10. Februar mit Windstärke zwölf durch München. Aber auch an zahlreichen anderen Tagen im Februar war es stürmisch: An fünf weiteren Tagen blies es mit zehn Beaufort, an sieben Tagen stürmte es mit Windstärke acht bis neun. Windig bleibt es auch in den kommenden Tagen, und zum Frühlingsstart wird es etwas winterlicher.

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SZ vom 03.03.2020
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