Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Rülpsen, bis der Sprudler streikt

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In der Heimat unserer Autorin gibt es nur normales Mineralwasser, also stilles Wasser - Wasser eben. In München musste sie Neues wagen.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Ich erinnere mich noch gut an meinen vielleicht größten kulturellen Fehler. Es war ein heißer Sommertag in München und ich erwartete den Besuch einer Freundin - eine Eingeborene, wohl bemerkt. Als sie zur Tür hereinkam, bot ich ihr in meiner generösen Naivität ein Glas Leitungswasser an. Man sah ihr die Hitze an den Schweißperlen an. Umso überraschter und etwas beleidigt war ich, als sie nicht einen Schluck davon nahm.

Die Liebe der Münchner zu ihrem Sprudel ist unaufhaltsam. Liebevoll sprechen sie von "Mineralwasser", dabei wäre der Begriff Rülpswasser deutlich präziser. Ich konnte lange nur die Nachteile sehen. Etwa, dass man im Restaurant viel Geld dafür zahlen darf. Weil es kein komplementäres Glas Wasser gibt. Wer in Münchens Lokalen nach Leitungswasser fragt, handelt sich vom Kellner einen bösen Blick ein.

Wo ich herkomme, haben wir nur normales Mineralwasser, also stilles Wasser - Wasser eben. Hier in München begegnen einem wenige, die es mit den stillen Wassern halten. Sprudelwasser ist wie Teil einer Kultur. Warum das so ist, kann jedoch kaum einer erklären. Einige sagten mir, dass es an der Menge an Mineralien liegt. Andere sagen, dass es einfach besser schmeckt.

Schon seltsam: Ständig sehe ich Familien, die riesige Sprudel-Six-Packs von den Supermärkten der Stadt hinauf in ihre Wohnungen schleppen. Man könnte denken, dass das Münchner Leitungswasser nicht trinkbar ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Gegenteil. Vielleicht ist es ein bisschen sehr kalkhaltig, aber sonst? Deutschland hat mit das beste und sauberste Leitungswasser der Welt. Und dennoch erkennen viele nur Mineralwasser in Flaschen als "echtes" Trinkwasser an.

Es gibt natürlich Variationen. Mild, medium, stark - manche Hersteller werben gar mit "Heilsprudelwasser". Nachdem ich nun mehr als sieben Jahre hier gelebt habe, denke ich, dass die Liebe zu Kohlensäure langsam zu mir durchsprudelt. Da es bei dieser Liebe jedoch mehr um den Geschmack als um die Mineralien geht, habe ich mir einen Wassersprudler für zu Hause besorgt. Anfangs reichte eine Flasche für zwei, drei Monate, mittlerweile stehe ich spätestens nach vier Wochen wieder im Laden und tausche eine leere gegen eine volle.

Meine Schwester aus Uganda, die mich kürzlich besuchte, erklärte mich und meine Affinität zur Sprudelei für verrückt. Ich wollte sie mit einem Dinosaurier-Rülpser vom Gegenteil überzeugen, entschied mich dann aber für einen defensiveren Umgang mit dem Thema. Meine Schwester wirkte zufrieden, als ich ihr endlich ein Glas Leitungswasser anbot.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2020
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