Süddeutsche Zeitung

Ramersdorf:"Das ist ein Musterbeispiel, wie Stadtplanung nicht funktionieren sollte"

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Seit Jahrzehnten gibt es keinen Bebauungsplan für das sogenannte Erdbeerfeld in Ramersdorf. Ein Eck nach dem anderen werde "abgeknabbert", schimpfen Lokalpolitiker.

Von Patrik Stäbler

Im Jahr 1988 gab es noch zwei deutsche Staaten, auf der Wiesn kostete eine Mass 6,60 Mark, der Fußballmeister hieß Werder Bremen, und in München fasste der Stadtrat einen Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan 1638, der ein Areal in Ramersdorf östlich der Ottobrunner Straße betrifft - das sogenannte Erdbeerfeld.

Seither hat sich die Welt in vielerlei Hinsicht gewandelt, auf der im Sommer landwirtschaftlich genutzten Fläche hingegen ging aus planerischer Sicht kaum etwas vorwärts. So gibt es bis heute keinen rechtskräftigen Bebauungsplan für das Erdbeerfeld - ein Missstand, für den sich Stadt und Grundstückseigentümer gegenseitig verantwortlich machen.

Das Fehlen eines Leitbilds hat freilich nicht dazu geführt, dass das Gelände unbebaut geblieben wäre. "Vom 1638er-Gebiet wird ein Eck nach dem anderen abgeknabbert", ärgert sich Wolfgang Thalmeir (CSU) vom Bezirksausschuss (BA) Ramersdorf-Perlach mit Blick auf diverse abgeschlossene, laufende und geplante Bauvorhaben. Da diese in Ermangelung eines Bebauungsplans nach Paragraf 34 des Baugesetzbuchs bewertet werden, fehle eine übergeordnete Planung, kritisiert Thalmeir. Die Folge: Bauherren reizen ihr Baurecht maximal aus. Dazu gibt es weder eine vernünftige Verkehrs- und Grünplanung für das Gebiet, noch wird die notwendige Infrastruktur berücksichtigt - etwa Schulen, Kitas und Geschäfte.

Der BA hat sich daher wiederholt - meist aber vergeblich - gegen Bauvorhaben auf dem Erdbeerfeld ausgesprochen, das im Osten vom Wolf-Huber-Weg, im Norden vom Diakon-Kerolt-Weg und im Süden von der Gleißnerstraße begrenzt wird. Ablehnend äußerte sich das Gremium kürzlich auch zu einer Voranfrage für die Errichtung einer Wohnanlage auf dem Grundstück in der Ottobrunner Straße 3, wo aktuell etwa 120 Bäume stehen. Ein Teil dieses wertvollen Bestands würde einer Bebauung zum Opfer fallen, begründeten die Lokalpolitiker ihre Kritik. Zudem erachteten sie die Pläne als überdimensioniert.

Der Grundstücksbesitzer hat nun jedoch in der Sitzung der BA-Arbeitsgruppe Bauvorhaben und Stadtplanung betont, dass er die in der Voranfrage beschriebene Wohnanlage gar nicht bauen wolle. Vielmehr gehe es ihm "nur um die Abfrage von vorhandenem Baurecht", sagte Bernhard Gerstenkorn, geschäftsführender Inhaber des nahen Gartencenters Seebauer. Zur Finanzierung von dessen Erweiterung wolle er einen Großteil des Grundstücks in der Ottobrunner Straße 3 verkaufen. Aktuell befinde er sich in Verhandlungen mit der Stadt, sagte Gerstenkorn. "Deshalb geht es mir darum einzuschätzen, was dort nachher möglich sein wird."

Sollte es zu dem Verkauf kommen, wäre die Stadt zweitgrößter Grundstückseigner auf dem Gebiet des Bebauungsplans 1638. Dadurch würden sich die Chancen erhöhen, dass mit der Planung dort etwas vorangeht. Aus diesem Grund hat sich der BA explizit für einen Ankauf ausgesprochen. Zugleich wiederholte das Gremium seine Forderung nach einer Veränderungssperre für das Gebiet. Damit wolle man Druck auf die Stadt ausüben, erklärt Thalmeir. Denn nach Ablauf der bis zu vierjährigen Veränderungssperre könnten die Grundstückbesitzer Entschädigungsansprüche anmelden - sofern die Planung weiter auf der Stelle tritt.

Eine Veränderungssperre - aber nur für den Teilbereich Ottobrunner Straße 3 - hat auch die Stadtratsfraktion von ÖDP/München Liste gefordert. Um die dortigen Bäume zu schützen, sollten diese zudem als Naturdenkmal ausgewiesen werden, heißt es in ihrem Antrag. Mit diesem wird sich der Stadtplanungsausschuss in seiner Sitzung am 9. Februar beschäftigen.

Dann wird es auch um einen Antrag aus der Bürgerversammlung gehen, der - analog zum Bestreben des BA - eine Veränderungssperre für das Baugebiet Erdbeerfeld fordert. Die Erfolgsaussichten schätzt Wolfgang Thalmeir aber als gering ein. "Ich fürchte, wir werden dieses Gebiet komplett verlieren - und zwar ohne jegliche Planung", prognostiziert er. "Das ist ein Musterbeispiel, wie Stadtplanung nicht funktionieren sollte."

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