Süddeutsche Zeitung

Prozess in München:Schüchterne Sprengmeister

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Sie jagten offenbar Geldautomaten in die Luft, gehörten zu einer international agierenden Bande und ließen sich auch von SEK-Kugeln nicht stoppen: Vor Gericht aber geben sich die sechs Angeklagten arglos.

Von Susi Wimmer, München

Diese Mischung war wirklich hochexplosiv: Eine international agierende Bande, bestens strukturiert mit ausgefeilter Logistik, die zwei Geldautomaten in Ottobrunn und Grünwald in die Luft sprengt, eine halbe Million Euro ergaunert und selbst dann weitermacht, als Mitglieder in Germering in den Kugelhagel des SEKs geraten und festgenommen werden. Sieht man die sechs Angeklagten, darunter eine Frau, auf der Anklagebank vor dem Landgericht München I sitzen, so klingen ihre Taten noch unglaublicher: Unscheinbare Gestalten, Mitte zwanzig, die sich schüchtern geben und angeblich nicht so recht wussten, in was sie da verwickelt waren.

Tatsächlich dürften die Angeklagten zwei großen Familien-Clans angehören, alle niederländisch-marrokanischer Abstammung, die sich auf die Sprengung von Geldautomaten spezialisiert haben. Die rund 400 Angehörigen sollen in den vergangenen sechs, sieben Jahren gut 300 Geldautomaten geknackt haben, sagt Rechtsanwalt Roland Autenrieth, einer der Verteidiger. Aktuell läuft in Düsseldorf ein Prozess gegen sechs weitere Mitglieder der Bande. In den Niederlanden sowie in Norddeutschland, wo die Bande schon aktiv gewesen sein soll, hätten die Banken bereits mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen reagiert. Daraufhin bewegte sich die Gruppe gen Süden.

Im April 2018 explodierte bei der Deutschen Bank an der Ottobrunner Naupliaallee ein Bankomat, die Täter erbeuteten 350 000 Euro. Eine Nacht später krachte es in der Grünwalder Filiale des Instituts, hier packte die Bande 173 000 Euro ein. In den Nächten auf den 1. und 2. Mai versuchten sich die Automatensprenger vergeblich bei einer Filiale der Deutschen Bank in München und der Commerzbank in Ottobrunn.

Im Vorfeld wurden laut Staatsanwaltschaft alle Aufgaben arbeitsteilig vergeben. Oruc G. beispielsweise sollte von den Niederlanden nach Frankfurt fahren, dort Autos anmieten auf seinen Namen und sie an die deutsch-niederländische Grenze stellen. Was genau mit den Autos passieren sollte, habe er nicht gewusst. Er habe es halt für 500 Euro gemacht, behauptet er vor Gericht. "Und nachgefragt haben sie auch nicht", fragt Richter Franz Zimmer immer wieder scharf. Der Angeklagte schüttelt den Kopf. Andere Bandenmitglieder sollten nach geeigneten Banken suchen, diese observieren und erkunden, wann die Automaten befüllt werden. Wieder andere mieteten unter falschen Namen Unterkünfte über Airbnb etwa in Poing und Gilching.

Teilweise wurden auch Motorroller angemietet, die nach der Tat als wendiges Fluchtmittel dienten. Gasflaschen, Zündvorrichtungen und Hebelwerkzeuge wurde in Bunkerfahrzeugen deponiert. Die "Sprenger", so der Vorwurf, hebelten dann das Bedientableau des Automaten nach vorne weg, leiteten ein Gasgemisch in den Automaten und drückten den Knopf für die Fernzündung. Allerdings reichte manchmal die Gasmenge nicht aus, oder die Zündung funktionierte nicht.

Im Oktober 2018 hatte die Bande die Sparda Bank in Germering im Visier. Doch beim Ausbaldowern fielen die Gauner auf, denn als sie am 17. Oktober zuschlugen, wartete schon das SEK. Marwan K. versuchte, mit dem Auto zu entkommen, krachte gegen etliche Einsatzfahrzeuge, hielt auf SEK-Beamte zu, die insgesamt 30 Schuss abgaben. Ein Beamter wurde mit den Beinen zwischen zwei aufeinanderknallende Autos eingeklemmt. Nach einem Steckschuss in die linke Schulter konnte der 28-Jährige festgenommen werden. Der Rest der Gruppe machte munter weiter, versuchte sich in Starnberg an der Deutschen Bank, scheiterte aber an speziellen Sprengmatten, die im Bankomat verbaut waren.

Der Prozess ist noch bis Mitte September terminiert, am Nachmittag dauerten die Einlassungen der Angeklagten noch an. Oruc G. erklärte, es tue ihm leid: "Ich möchte mich bei Deutschland entschuldigen."

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Quelle:
SZ vom 16.07.2020
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