Süddeutsche Zeitung

Würmtal:Westumfahrung: Sie kommt, kommt nicht, kommt...

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Teile von Planegg, Martinsried und Gräfelfing ersticken am Verkehr. Seit Jahrzehnten wird über eine Umfahrung debattiert, doch nichts geht voran. Nun steht selbst die "Mini-Lösung" auf dem Prüfstand.

Von Rainer Rutz, Planegg

Peter von Schall-Riaucour ist bekannt für seine oft unkonventionellen Wortbeiträge im Gemeinderat von Planegg. Er ist parteifrei, aber der völlig zerstrittenen FDP-Fraktion zugehörig. Vor zwei Wochen war es wieder einmal so weit: Von Schall meldete sich beim Thema "Baurecht Fraunhofer Straße 1 - Anbindung an die künftige Westumfahrung Martinsrieds" zu Wort. Eine Debatte darüber sei "nicht mehr nötig", sagte er, denn: "Für mich ist die Westumfahrung gestorben."

Das Wort "künftig" müsse man durch "möglich" ersetzen. Als ob sie nur auf das Stichwort gewartet hatten, schlossen sich weitere Gemeinderäte an, auch Bürgermeister Hermann Nafziger (CSU) erklärte, er sehe "überhaupt keine Planung, keinen einzigen Meter" einer Umgehungsstraße. Da war es also wieder: Das allumfassende Trauma-Thema der Planegger und Martinsrieder Kommunalpolitiker - seit mehr als 50 Jahren.

In den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wurde in den Würmtalgemeinden heftig über eine "Würmtal-Tangente" gestritten. Sie sollte die Staatsstraße 2063 vom südlichen Pasing hinter der Lochhamer Heitmeier-Siedlung am westlichen Martinsried entlang bis zur Münchner Straße versetzen. Beim Bau der Lindauer Autobahn wurde die nur angedachte Tangente gleich mit eingebunden - gut zu sehen an einer eigenen Unterführung nahe der Heitmeier-Siedlung.

Die 2063 gehört zu den frequentiertesten Staatsstraßen in Bayern, bestens prädestiniert für Dauer-Stau, dem die Gemeinden innerorts hilflos mit weitgehend sinnfreien Tempo-30-Schildern begegnen. Über die Jahrzehnte hinweg sind die Diskussionen weitergegangen, als einziger schaffte es der frühere Planegger Bürgermeister Alfred Pfeiffer (SPD), eine später nach ihm benannte verkürzte Trasse entlang den Garagen an der Röntgenstraße in Martinsried planungsreif zu entwerfen.

Diese "Pfeiffertrasse" wurde mit den Jahren zu Tode geredet - trotz tatkräftiger Unterstützung des Straßenbauamts München, das sogar eine Tieferlegung und womöglich eine Deckelung der rund einen Kilometer langen Strecke an Martinsried entlang finanziert hätte. Die Münchner Behörde gab Ende der 90er Jahre entnervt auf. Viele Martinsrieder, glaubt man der "Bürgerinitiative Martinsried-Planegg" um die frühere CSU-Frau Barbara Gutmann, fürchteten, dass die neue Staatsstraße 2063 Teil einer Südumgehung Münchens, also einer Autobahn, werden könnte. Diese Angst hat auch immer wieder zu einer Mehrheit im Gemeinderat gegen eine Umgehung geführt - obwohl es niemals eine echte Abstimmung unter den arg unter dem Durchgangsverkehr leidenden Bürgern von Martinsried und Planegg gegeben hat.

Das soll jetzt nachgeholt werden, wenn es nach etlichen Martinsrieder Bürgern geht, die die offenbar neue Entwicklung im Gemeinderat mit Entsetzen und Empörung verfolgen. Denn sie hatten sich schon arrangiert mit der Mini-Lösung, die nach 50 Jahren Diskussion nun übrig geblieben zu sein scheint: der "Gewerbetrasse" - die Umfahrung der Fraunhofer Straße - und der dazu gehörigen Umfahrung West - südlich der Fraunhofer Straße an der Röntgenstraße. Dieses halbherzige Konstrukt könnte im besten Fall dazu beitragen, die völlig überlastete neue Ortsmitte von Martinsried mit ihren beiden Mini-Kreisverkehren etwas zu entlasten.

Der frühere Bürgermeister Heinrich Hofmann (SPD) hatte den Bürgern Hoffnung gemacht, dass die Grundstückserwerbungen "in absehbarer Zeit" erfolgreich abgeschlossen werden. Er brachte sogar Enteignungsverfahren ins Gespräch. 2018 genehmigte der Gemeinderat die Vorplanung, Monate später führte Hofmann Gespräche mit Grundstückbesitzern, ein neues Teilgutachten wurde erstellt.

Im Juli 2019 entschied sich der Gemeinderat nach Protesten von Bürgern, den grünen Wall zwischen Fraunhofer- und Röntgenstraße zu erhalten - und seitdem hat sich offenbar nur wenig bis gar nichts getan. Nafziger verweist auf fehlende Grundstücke, die eine genaue Trassenplanung verhinderten: "Es gibt nur Planskizzen", sagte er der SZ, "keine belastbare Planung mit einer Kostenberechnung." Von Schall-Riaucour spricht von Fehlinformationen des Gemeinderats: "Die Verfügbarkeit der Grundstücke zum Straßenbau wurde uns damals unter Bürgermeister Hofmann anders dargestellt, als sie tatsächlich ist."

Schall schlägt nun eine umfassende Bürgerbefragung vor. Ähnlich argumentiert Florian Zeller von den Freien Wählern, die immer für eine Umfahrung aufgeschlossen waren: "Martinsried müsste jetzt wirklich aufstehen, wenn man die Westumfahrung wirklich will." Für die Grünen sagt Bürgermeisterin Judith Grimme, man sei "getäuscht worden": "Nicht zwei, sondern zehn Grundstücke fehlen noch." Es fehle an Transparenz. Felix Kempf (SPD) will das Vorhaben angesichts der unsicheren Etatlage "hintanstellen." Michael Book CSU) sagt, in seiner Fraktion gebe es "verschiedene Standpunkte". Welche das sind, sagt er nicht.

In Martinsried hat sich eine Bürgerinitiative gebildet, die nun Druck machen will. Bettina Kempkes, Dieter Nussbächer, Sabine Albrecht und Evelyn Wolff verweisen darauf, viele Bürger hätten sich vor Jahrzehnten hier Wohnungen oder Häuser gekauft oder gemietet, weil sie davon ausgegangen seien, dass eine Umgehung gebaut wird. Heute ersticke man am Verkehr. "Dabei sollte die neue Verkehrsmitte ein shared-space-Modell werden", erinnert sich Wolff - fußgängerfreundlich mit höchstens Tempo 20 und ohne Lkw.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2021
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