Süddeutsche Zeitung

DJ-Kultur in München:Hertz-Kammern in Gefahr

Lesezeit: 4 min

Der Bundestag hat Clubs vor mehr als einem Jahr als Kulturorte anerkannt, passiert ist seitdem nicht viel. Die Lage für Techno-Tempel wie das Harry Klein in München bleibt ernst.

Von Michael Zirnstein

Neben dem Plakat mit den Namen der 2622 Künstler, die das Harry Klein seit 17 Jahren bespielt haben, und einem mit der Mahnung, dass hier "kein Platz für Sexismus, Rassismus, Homophobie, Transphobie und Gewalt sei", hängt im goldenen Gang zur Club-Tür auch ein Poster mit der "Weissagung der Hedonist.Innen". Angelehnt an den Planetenretter-Spruch des Cree-Volkes heißt es: "Erst wenn der letzte Club geschlossen, das letzte Festival abgesagt und die letzte illegale Party aufgelöst ist, werdet Ihr feststellen, dass man zum Klimpern von Geld nicht tanzen kann." Das fasst die prekäre Lage der DJ-Kultur ziemlich gut zusammen, insbesondere die des Harry Klein.

Die Tage des Münchner Vorzeige-Clubs im Elektro-Fach sind gezählt. Und das schon seit einer ganzen Weile: Das Haus an der Sonnenstraße wurde verkauft, mitsamt dem hintendrin im Keller, im Parterre und im ersten Stock eingerichteten, geräuschdämmend auf einem sündteuren Federmechanismus gelagerten Techno-Kasten. Es soll abgerissen werden, ein Hotel neu gebaut werden, die Betreiber des Harry Klein erhielten die Kündigung. Vor etwa drei Jahren gab es bis zur Klärung des Baurechts noch mal zwei Jahre Verlängerung, dann noch mal drei Monate, noch mal drei, noch mal sechs und nun überraschend noch einmal drei, im April 2023 soll dann endgültig "besenrein" übergeben werden.

Peter Fleming und Peter Süß wirken in ihrem Büro-Backstage-Kabuff im Keller nicht sonderlich frustriert; sie hatten lange genug Zeit, sich mit dem Ende abzufinden. "Jeder Tag mehr ist ein Gewinn", sagen die Geschäftsführer, Künstler hatten sie vorsorglich angefragt. Dennoch sind sie besorgt. Weniger um die eigene Zukunft, als vielmehr um die DJ-Club-Kultur an sich, die sie mit aufgebaut haben: "Techno ist jetzt Pop-Kultur, kein großes Festival kommt ohne DJs aus." Sie tun etwas für die ganze Gesellschaft, sagen sie, kooperieren mit der Hypo-Kunsthalle wie mit Klassik- und Jazzmusikern, machen Nachwuchsarbeit, und geben mit sozialen Aktionen und queerem, gendergerechtem Programm ein Vorbild für die Szene.

"Auf unsere Weise machen wir die Welt ein bisschen besser. Wir dürfen machen, was wir seit unserer Jugend lieben", sagt Fleming. Nur leider lieben nicht alle Menschen Techno-, Elektro- und Bass-Musik, viele halten sie für ein Lärm- oder Drogenproblem, eine zwielichtige Subkultur, einen "Itzz-itzz-itzz"-Witz. "Wir mögen nicht systemrelevant sein", sagt Peter Süß, "aber wir sind lebensrelevant". Wo sonst sollten junge und junggebliebene Menschen feiern, tanzen, sich gehen lassen, ihre Liebe finden und ausleben?

Auf der Straße? Dorthin wichen viele Partygänger aus, als die Clubs während der Pandemie schließen mussten. Ein riesiges Müll- und Lärm-Ärgernis für viele Anwohner, das immerhin Stadtpolitiker und -Verwalter die Notwendigkeit von geordneten Indoor- und Outdoor-Feierflächen erkennen ließ. In der Club-Hauptstadt Berlin mit seiner Clubcommission als einflussreicher Lobby-Vertretung war man freilich noch weiter. So dass sogar das von der Linken-Bundestagsabgeordneten Caren Lay ("Stoppt das Clubsterben") auf den Weg gebrachte "Parlamentarische Forum Clubkultur" 2021 einen epochalen Entschließungsantrag im Bauausschuss erwirkte: Mit diesem erkannten Mitglieder aller demokratischen Fraktionen die bisher Spielhallen und Bordellen gleichgestellten Musikclubs und Livespielstätten baurechtlich als "Anlagen für kulturelle Zwecke" an und brachten die Anliegen der Clubs überhaupt auf die politische Agenda.

Die Bundesregierung erhielt damit den Auftrag, das Baurecht anzupassen und im Bundesimmissionsschutzgesetz die "Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm", das schärfste Schwert der Feier-Feinde, clubfreundlicher zu gestalten. Die Regierung nahm das sogar in den Koalitionsvertrag auf. Konkret passiert ist laut Lay aber noch nichts: "Es gibt im Hintergrund wohl ein großes Gezerre um diese für Clubs wichtigen Reformen", sagt die Linken-Politikerin. Sie fordert, dass der parlamentarische Auftrag endlich umgesetzt wird, damit "Clubkultur und Open-Airs in den Städten stattfinden können, statt in ihrer Existenz bedroht zu werden."

Erst mal sei die Anerkennung etwas Ideelles, sagen Süß und Fleming. Es helfe auch im Gespräch mit Behörden, wobei man ihnen im Münchner Kulturreferat ohnehin zuhöre. Aber anders wäre das beim Argumentieren etwa im Baureferat, da fehlt eben die gesetzliche Grundlage. "In einem reinen Wohngebiet dürfte zum Beispiel überhaupt kein Club betrieben werden derzeit", sagt Fleming. Es geht auch um Bestandschutz: Wer bezahlt die Schallisolierung, wenn jemand plötzlich ein Wohnhaus neben einen Club baut? Und um Kündigungsschutz. "Unser Investor hätte zumindest mit uns reden müssen, der hätte ja vielleicht das Harry Klein aufs Dach des Hotels setzen können."

"Nachtökonomie ist doch ein Standortvorteil, auch ein Grund, warum Google und Microsoft sich für München entscheiden."

Das trifft die meisten "künstlerisch aktiven" Clubs der Stadt. Bahnwärter Thiel und Blitz sind nur zur Zwischennutzung untergebracht, viele sondieren die enge, teure Stadt nach freien Räumen, wo sie ihre Kultur ohne strenge Vorgaben entwickeln können. Dafür fordern Süß und Fleming von der Stadt mehr Unterstützung, auch bei der Ermutigung Kultur-freundlicher Investoren. Generell sei die Pop-Kultur fördertechnisch unterentwickelt.

"Nachtökonomie ist doch ein Standortvorteil, auch ein Grund, warum Google und Microsoft sich für München entscheiden." Von der Stadt gibt es nur einen Zuschuss für das einen Monat lange Festival "Mary Klein" mit ausschließlich Frauen am DJ-Pult, dazu kommt ab und an Preisgeld von der Bundesinitiative Musik (die Kollegen von der Roten Sonne haben heute sogar den Hauptpreis und 50 000 Euro als Club des Jahres gewonnen), die Corona-Neustart-Hilfe des Freistaates läuft zum Jahresende aus.

Die Harry-Klein-Macher geben nicht auf, sie suchen weiter nach einem Ort, der dann wohl nicht Harry Klein heißen wird. Ab März sind sie einer von vier Betreibern des gigantischen Zwischennutzungsprojektes im alten Gasteig, aber dort wollen sie sich nicht mit einem eigenen Club einnisten und höchsten einzelne Veranstaltungen planen. Immerhin: Bei der Suche sind sie auf das Traditionslokal Moro an der Müllerstraße gestoßen. Das werden sie bald zusammen mit anderen Nachtaktiven als "queeres urbayerisches Wirtshaus" zu neuer Blüte treiben. "Mit Herz", beteuern sie, "denn nur so kann Kultur funktionieren, nicht als Investitionsobjekt."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5717137
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.