Süddeutsche Zeitung

Mehr Toiletten in der Stadt:Fünf Millionen Euro für Münchens 00-Offensive

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Die Stadt baut eifrig öffentliche Toiletten und lässt dafür Millionen fließen. Warum das dringend nötig, aber gar nicht so einfach ist.

Von René Hofmann

Dieter Reiter (SPD) ist es ernst mit der Sache. "Mein Ziel ist und bleibt, die Anzahl der öffentlichen Toilettenanlagen in München konsequent und deutlich zu erhöhen": So zitiert die Rathaus-Umschau den Münchner Oberbürgermeister.

Seit 2020 wurden bereits zwölf neue Toiletten realisiert, 2023 ist der Bau von vier weiteren geplant. Gerade fertig geworden ist eine am Walchenseeplatz in Giesing und eine Am Graben in Perlach. In den ersten Wochen des neuen Jahres wird das Wasser auch in neuen Klosetts im Taxispark in Neuhausen-Nymphenburg und im Nußbaumpark in der Ludwigsvorstadt rauschen. Allerörtchen "barrierefrei und familienfreundlich", wie sich Baureferentin Jeanne-Marie Ehbauer freut.

Ziemlich viel Geklingel für ein paar Klos, mag sich da mancher denken. Aber der Vorgang ist nicht zu unterschätzen, wie ein Blick nach Berlin lehrt. Dort wurde vor einigen Wochen am Kottbusser Tor im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine Toilette in Betrieb genommen, die schnell für viel Aufsehen sorgte. "Bääm, da ist das Ding": So feierte Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) das Häuschen auf Twitter - und erntete umgehend einen, nun ja, Shitstorm.

Ob fünf Jahre Vorlauf für ein derartiges Provisorium nicht ein bisschen lange sind? Das musste sie sich fragen lassen. Ob an einem derart von Kriminalität geprägten Ort nicht vielleicht andere Dinge wichtiger seien als ein Missoir, also ein Hockurinal? Und ob sich die gut 55 000 Euro, die das Bezirksamt für die Errichtung und künftig jährlich für die Reinigung und Wartung vorgesehen hat, nicht vielleicht klüger investieren ließen? Alles drängende Fragen.

Wie aber geht nun München das heikle Thema an? Nicht überstürzt, so viel lässt sich gesichert sagen. 2015 hob der Stadtrat das Thema "Neuerrichtung von Toiletten in Grünanlagen" auf die Agenda. Damit sich kein Viertel benachteiligt fühlen konnte, wurde ein Kriterienkatalog entwickelt, anhand dessen die gut 420 größeren Grünflächen im Stadtgebiet bewertet wurden.

Wie viele Menschen wohnen rundum, wie viele Kinder gibt es in der Gegend, wie groß sind die Spielplätze? Die "objektivierte Bedarfsermittlung", so der Fachterminus, ergab: Es fehlen zwei Toiletten - im Weißenseepark und im Maßmannpark. Diese wurden gebaut. Das Gefühl der Unterversorgung aber blieb.

2019 wurde der Stadtrat daraufhin wieder aktiv und blätterte noch einmal im Kriterienkatalog. Der Kniff: Die notwendige Mindestanzahl an Kindern und Einwohnern im Einzugsgebiet wurde halbiert, die erforderliche Spielplatzgröße in kleinen Grünflächen sogar gedrittelt. Und schwupp fehlten München ganz objektiv ermittelt 25 öffentliche Toilettenanlagen - und die 00-Offensive konnte starten. Das heißt, noch nicht unmittelbar.

Erst mussten noch die Anmerkungen der Gleichstellungsstelle für Frauen, des Seniorenbeirats, des Behindertenbeirats und des Facharbeitskreises Mobilität im Behindertenbeirat eingearbeitet werden. Es galt, den Ausstattungsstandard zu definieren, wobei am Ende die "vollautomatische Unisex-Toilette, behindertengerecht nach DIN 18040-1" das Rennen machte (Norm Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude).

Außerdem galt es zu eruieren, wo jenseits von Grünanlagen noch Bedarf besteht. In Stadtteilzentren, in denen Menschen vor allem Einkäufe erledigen, gelten für die objektivierte Bedarfsermittlung nämlich andere Kriterien. Dort wurde eine Entfernung zur nächsten Toilette von fünf Minuten als zumutbar definiert, wobei für die weitere Analyse die Gehgeschwindigkeit für die Bemessung von Lichtzeichenanlagen mit 1,50 Metern pro Sekunde zugrunde gelegt wurde. Der Bedarf an neuen Klos wuchs damit auf insgesamt 29.

Um die Planungen für diese voranzutreiben, gewährte der Stadtrat vier VZÄ, was Vollzeitäquivalente bedeutet und eigentlich Stellen meint. Zudem eine Finanzierungspauschale in Höhe von fünf Millionen Euro. Auf die einzelne Toilette umgerechnet sind das gut 170 000 Euro. Vorsicht also mit Spott Richtung Berlin! Wobei sich die Summe reduzieren kann, weil für einzelne Anlagen Geld von der Regierung von Oberbayern aus den Städtebaufördermitteln fließen kann und die Ausgaben auch relativ zu sehen sind.

Vor jedem Spatenstich müssen schließlich "nachbar-, natur- und denkmalschutzrechtliche Belange" abgeklärt werden, an einigen Stellen zudem eventuell auch urheberrechtliche mit den Landschaftsarchitekten der Grünanlagen, in die Toiletten hineingepflanzt werden sollen. Und anschließend muss nach Kampfmitteln und anderen Altlasten gesucht werden. Es ist also viel zu tun.

Bis 2026 soll der Kraftakt an allen ausgeguckten Standorten gelingen. Betrieben werden soll jede Toilette etwa 20 Jahre lang. "Dies entspricht der üblichen Lebensdauer der am Markt derzeit üblichen Anlagen", heißt es im Beschluss des Bauausschusses. Nach den 20 Jahren ist dann der vollständige Rückbau vorgesehen.

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