Süddeutsche Zeitung

Politik in München:Warum die Grünen zur OB-Stichwahl keine Wahlempfehlung geben

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Von Heiner Effern, München

Alles ist neu in der Münchner Stadtpolitik, die Kommunalwahl hat das jahrzehntelang eingespielte Machtgefüge im Stadtrat gesprengt. SPD und CSU haben sich sechs Jahre lang in einem Bündnis gemeinsam klein geschrumpft, die Grünen stellen erstmals die stärkste Fraktion. Doch was macht eigentlich der neue Primus, außer die ganze Stadt mit Danke-Plakaten zu überziehen?

Präferenzen für einen Koalitionspartner? Nichts zu hören. Eine Empfehlung vor der Stichwahl zwischen Dieter Reiter (SPD) und Kristina Frank (CSU)? Es wird "von Seiten der Grünen keine Wahlempfehlung an die Münchner geben", hieß es schon zwei Tage nach dem ersten Wahlgang. Das gilt nach wie vor. Die Wähler seien mündig genug, selbst ihre Entscheidung zu treffen, sagt Grünen-Stadtchefin Gülseren Demirel.

Damit verhält sich ihre Partei komplett anders als vor der letzten Stichwahl 2014, als sie sich auf einer Stadtversammlung zum SPD-Kandidaten Reiter bekannte. "Das war aber auch eine ganz andere Situation", sagt Demirel. Die Grünen befanden sich damals seit 24 Jahren in einer Koalition mit der SPD, im Wahlkampf hatten sie bereits für eine Fortsetzung des Bündnisses geworben. Das Stadtratsergebnis hätte dies zugelassen, wenn noch eine oder mehrere kleine Parteien mit aufgenommen worden wären.

Danach sah es aus: Reiter hielt eine Rede in der Stadtversammlung der Grünen, in der er dem langjährigen Partner eine "Zusammenarbeit auf Augenhöhe" versprach. "Rot-Grün ist die Zukunft und nicht Schwarz-Rot", sagte Reiter unter Beifall. Möglicherweise glaubte er damals selbst daran. Vor allem aber kämpfte er darum, gegen den starken Herausforderer Josef Schmid (CSU) überhaupt zu gewinnen. Das gelang schließlich, doch die Zukunft wurde genau so, wie Reiter es nicht versprochen hatte: Schwarz-Rot löste Rot-Grün ab.

Das kam bei den Grünen denkbar schlecht an, doch die Emotionen von damals meint die Stadtvorsitzende Demirel nicht, wenn sie von einer anderen Situation spricht. Sie denkt an die politische Konstellation. Die Grünen kommen diesmal aus der Opposition, aus der sie sechs Jahre lang das Bündnis aus CSU und SPD erlebt, kontrolliert und kritisiert haben.

Die Kandidaten dieser Parteien stehen nun zur Wahl. Mit deren beiden Fraktionen könnten die Grünen mit der Rosa Liste von der Zahl der Mandate her künftig eine Stadtregierung bilden. SPD und CSU haben alleine keine Mehrheit mehr. Die Wähler haben den Grünen eindeutig den Auftrag mitgegeben, ihre Politik möglichst stark durchzusetzen.

Das wissen und wollen die Grünen. Dafür werden sie sich nach der Stichwahl vom kommenden Dienstag an einen Partner suchen. "Wir sind die stärkste Kraft, wir werden auf die anderen zugehen", sagt Demirel. Aber eben erst dann, wenn klar ist, wer Oberbürgermeister sein wird. Mit einer Mehrheit gegen Reiter oder Frank zu regieren, würde extrem mühsames politisches Ringen bei vielen Entscheidungen bedeuten.

Gleichwohl haben die Grünen in ihrer Mitteilung nach der Kommunalwahl eine Art Wahlempfehlung versteckt. Dominik Krause, der Stadtchef-Kollege von Demirel, stellte die wichtigsten Themen der Grünen nochmals heraus: Klima- und Umweltschutz, eine Verkehrswende mit Fokus auf den öffentlichen Nahverkehr und das Rad sowie eine weltoffene und bunte Stadtgesellschaft. "Diese Themen werden auch in Zukunft Richtschnur unserer Politik im Stadtrat sein", erklärte er.

Die Grünen haben nach dem Anti-Rad-Wahlkampf der CSU offenbar keine größeren Zweifel, dass ihre Anhänger und Sympathisanten diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstehen. Den Beschluss, sich nicht auf eine Person festzulegen, habe nicht der Vorstand alleine gefasst, betont Demirel. Die Ortsvorsitzenden seien eingebunden gewesen.

Die Situation unterscheidet sich noch in einem weiteren Punkt von 2014: Diesmal geht Dieter Reiter als haushoher Favorit in die Stichwahl. Er wirbt gar nicht um eine Wahlempfehlung. Das sei "ausschließlich eine Entscheidung der Grünen", sagt er. Seine Konkurrentin Kristina Frank von der CSU begrüßt, dass sich die Grünen nicht vorab, wie von manchen erwartet, auf Reiter festgelegt haben. "In diesen schwierigen Zeiten sind wir alle gut beraten, im Wahlkampf nicht zu polarisieren", erklärt sie. "Es geht darum, im Miteinander München gut für die Zukunft aufzustellen."

ÖDP-Spitzenkandidat Tobias Ruff, dessen Partei bei der Stadtratswahl viertstärkste Kraft wurde, verzichtet ebenfalls auf eine Empfehlung. Er sieht vor der Stichwahl vor allem die beiden Kandidaten demokratisch in der Pflicht: "Die sollen um unsere Wähler kämpfen."

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SZ vom 26.03.2020
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