Süddeutsche Zeitung

Verkehr in München:Lücken im Radnetz

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Grün steht für Sicherheit, Rot für Probleme: Die Initiative MunichWays hat Münchner Radstrecken kategorisiert. Jetzt sollen die Radler selbst die Karte mit ihrem Detailwissen ergänzen.

Von Andrea Schlaier, Schwanthalerhöhe

Der zwölfjährige Enkel und die dazugehörige 80 Jahre alte Großmutter können im Grunde entspannt an der Gollierstraße entlangradeln, ohne dass sich dort einer groß um ihre Sicherheit sorgen müsste. Ganz anders sieht es auf dem kurzen, wahnsinnig engen Stück stadteinwärts zwischen Holzapfelstraße und Hackerbrücke aus. Hier müssen sie entlang der Landsberger Straße zwischen Fußgängerstreifen auf der einen Seite und Schlangen aus Bierlastern und Autos auf der anderen sehr entschieden durchstechen, um nicht unfreiwillig Kontakt aufzunehmen. Dieser Status quo ist unter anderem auf einer Karte verzeichnet, die etliche Radbeziehungen in der Schwanthalerhöhe aufführt und ihrer Qualität entsprechend kategorisiert. Auf dieser Basis sollen nun sowohl der Bezirksausschuss (BA), aber mehr noch die Bewohner des Viertels, analog und digital helfen, das Verzeichnis zu komplettieren und Verbesserungen zu generieren.

Das neue Instrument firmiert unter dem sperrigen Titel "BA-Radl-Vorrang-Karte-to-go" und soll von der Schwanthalerhöhe aus in einem Stadtteil nach dem andern umgesetzt werden. Auf dass die Qualität des Münchner Radnetzes von denen verbessert wird, die es wissen müssen, weil sie dort oft unterwegs sind. Wolfgang Gebhard hat das Prinzip jetzt dem Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe als erstem Stadtviertelgremium vorgestellt.

Gebhard, im Brotberuf Kommunikationsdesigner mit Büro im Westend, ist Mitglied der Initiative MunichWays, die sich, koordiniert von Thomas Häusler, ehrenamtlich als Seitenarm des Vereins Green City lange schon für eine Verbesserung des städtischen Fuß- und Radwegenetzes einsetzt. Über Jahre hinweg, erzählt Gebhard, haben die dort engagierten Bürger eine Karte angelegt über Radstrecken in München, die "sehr gut, so lala oder gar nicht befahrbar sind". Sie wurden nach Farben kategorisiert: Grün steht für eine gemütliche und komfortable Bike-Spur, der Radweg ist hier breit und sicher, der Untergrund gut. So gut, sagt Gebhard, "dass die Frage, ob du hier deinen zwölfjährigen Sohn oder deine 80-jährige Oma fahren lassen würdest, mit einem Ja beantworten kannst". Gelb markiert sind verbesserungswürdige Zonen durchschnittlicher Güte, Rot steht für Stress, der Radweg ist schmal, nicht komfortabel und nicht sicher. Schwarz schließlich ist reserviert für die Lücke im Netz, statt einer Bike-Trasse steht nur eine stark befahrene Straße zur Verfügung. Dieses zusammengefügte Mosaik dient nun als Fundament für die gerade vorgestellte "BA-Radl-Vorrang-Karte-to-go".

MunichWays möchte, sagt Gebhard, die Mitglieder der Bezirksausschüsse bei ihrer Arbeit unterstützen und die Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels mit Beispielen anregen, selbst aktiv zu werden. Der private wie der politische Bereich sollen miteinander verzahnt werden. Gebhard hat zusammen mit seinem MunichWays-Mitstreiter Edgar Martinez eine interaktive Karte samt Flyer entworfen. Auf der einen Seite ist ein Straßenplan der Schwanthalerhöhe samt grünen, gelben, roten und schwarzen Wegen eingezeichnet. Darunter gibt's fein säuberlich sortiert Raum für Anmerkungen, wo Ist- und Soll-Zustand ebenfalls nach Farben klassifiziert unter Nennung des Straßennamens vermerkt werden können.

Auf der Rückseite findet sich als Anregung ein Tableau aus Fotos "guter Beispiele", aus München wie aus anderen Städten. Das geht von wurzelfreien Trassen, modernen Fahrradgaragen, skandinavischen Abstützhilfen zum Anfahren bis hin zu Brücken für den Fuß- und Fahrradverkehr.

Die Ideen aus dem Viertel lassen sich dann analog an die Aktivisten schicken oder über die Homepage der Initiative, www.munichways.com, ausfüllen, in der sich unter dem Button BA-Werkzeugkoffer auch Anleitungen finden, wie die Vorschläge in Anträge an Bezirksausschüsse gegossen werden können. Die Expertise von Leuten aus der Nachbarschaft, sagt Gebhard, "ist ein Schatz, der gehoben werden muss". Und weil man von der direkten Teilnahme, die in den Stadtviertelgremien praktiziert werde, viel halte, wende man sich nun an diese.

Die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit, wenn man sich das parteiübergreifend positive Feedback in der Schwanthalerhöhe betrachtet. "Eine tolle Sache", die "niederschwellige Einbindung" der Leute vor Ort, konstatierte Severin Beilner (ÖDP) als frisch gekürter Fahrrad- und Mobilitätsbeauftragter. Derzeit würden bereits Verbesserungsvorschläge gesammelt, im Unterausschuss Umwelt und Verkehr sollen sie dann gebündelt beraten werden. BA-Vorsitzende Sibylle Stöhr (Grüne) spricht davon, im Anschluss mit ihrem Gremium "so eine Karte finanziell zu unterstützen, sodass sie bei Herrn Gebhard im Büro abgeholt oder im Viertel verteilt werden kann". Voraussichtlich in der Juni-Sitzung berät das Gremium darüber.

Wann die MunichWays-Aktivisten weitere Viertel ansteuern, hängt noch von den Zeitressourcen der Ehrenamtlichen ab. In der Maxvorstadt haben sie aber schon mal 50 selbsterklärende Flyer unters Radvolk gebracht, Beispiele von Enkel und Großmutter inklusive.

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Quelle:
SZ vom 03.06.2020
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