Süddeutsche Zeitung

Nachhaltige Mode:Kleidertausch gegen Konsumwahn

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Wer Geld sparen und Ressourcen schonen will, kann seine Garderobe bei einer Kleidertauschparty aufbessern statt im Laden einzukaufen. Möglichkeiten, Klamotten ein längeres Leben zu schenken, gibt es viele in München.

Von Franziska Gerlach

Nehmen wir Christine Rathert, die gerade eine Jacke im College-Stil aus einem Haufen zieht. Als ein Beispiel von vielen, die an diesem Abend aus Gründen der Nachhaltigkeit zur Kleidertauschparty gekommen sind. "Man macht hier witzige Funde. Und man wird seine alten Sachen los", sagt die 46-Jährige. "Upcycle your Style" heißt die Veranstaltung von Green City, zu der die Münchner Umweltorganisation ins Eine-Welt-Haus eingeladen hat.

Hier wechseln Klamotten nicht nur kostenlos den Besitzer, man kann diese auch gleich upcyceln. So heißt das, wenn alte Stoffe durch die Hände eines Kreativen zu einer neuen, idealerweise schöneren Daseinsform gelangen. "Wir wollen Bildung vermitteln. Und den Leuten Alltagswissen mitgeben, das sie auch zu Hause anwenden können", sagt Christina Pirner, die Leiterin des Projekts. An vier Nähmaschinen können die Münchnerinnen - die Frauen sind eindeutig in der Überzahl - lernen, wie man Secondhand-Mode repariert, kürzt oder aufwertet.

Secondhand-Mode? Upcycling? Kleidertausch? All diese Begriffe stehen als Gegenentwurf zu den Umweltsünden der Fast-Fashion-Industrie und dem Konsumwahn, dem man insbesondere in dieser Woche, da der Black Friday mit Rabatten lockt, schwer entkommen kann. "Jährlich sortieren Haushalte in Deutschland mehr als 1,5 Milliarden Textilien aus - dies sind pro Person mehr als zwölf Kleidungsstücke", schreibt der Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM) auf seiner Internetseite. Das klingt nach einem gewaltigen Haufen Stoff, der da regelmäßig abgestoßen wird.

Die gute Nachricht: Man kann in München von der "Cashmere Clinic" des Labels Allude bis hin zu den Angeboten der Caritas einiges tun, um seiner Kleidung ein längeres Leben zu bescheren. In der Oberländerstraße etwa hat sich Barbara Heinze auf die Reparatur von Outdoor-Kleidung spezialisiert, ausgediente Modelle upcycelt sie zu Geldbörsen oder Taschen. Eine Institution ist der Upcycling-Laden "Polyform" (immer samstags) in der Baaderstraße. Auch das Münchner Label "Space for a Name" beweist, wie stylisch Upcycling-Mode sein kann. Und im Upcycling-Atelier "Bellevue Couture", hervorgegangen aus der Nähwerkstatt der Sozialgenossenschaft "Bellevue di Monaco", fertigen Flüchtlingsfrauen Accessoires aus den Mustern von Möbelstoffen, die sonst edle Sessel überziehen (Pop-up-Sale am 27.11. im Café Bellevue die Monaco in der Müllerstraße 6). Projektleiterin Kissi Baumann bescheinigt dem Thema ein wachsendes Interesse: "Und ich hoffe, die Welle wird noch größer."

Green City veranstaltet seit 13 Jahren Kleidertauschpartys

Upcycling boomt, und auch der Kleidertausch ist zurück. Vielleicht erfährt diese kostenfreie Methode, die Garderobe zu erneuern, in Zeiten von Inflation und Energiekrise noch einmal eine andere Bedeutung. In den vergangenen Jahren hat das Tauschen von Kleidung in München bereits etliche Zustandsformen erlebt - vom kleinen privaten Kreis bis hin zur Eventreihe "Swap in the City", zu der sich 2012 neben einem Privatsender und einer Frauenzeitschrift auch ein Kosmetikkonzern als Veranstalter eingeklinkt hatte. Man tauschte, weil es Happening war. Weil es gerade alle taten. Weil es so hübsche Goodie-Bags gab. Dass durch das Tauschen Kleidung im Kreislauf gehalten werden kann, spielte bei diesen Events eine eher untergeordnete Rolle.

Green City veranstaltet seit 13 Jahren Kleidertauschpartys. Pro Veranstaltung wechseln bis zu 900 Kilo gebrauchte Kleidung den Besitzer. Durch nur zwei getauschte anstatt neu gekaufte Kleidungsstücke könne jeder Teilnehmer 30 Kilogramm CO₂ einsparen, erklärt Projektleiterin Pirner. Die Maßnahmen gegen das Coronavirus hatten den Tauschpartys eine Zwangspause auferlegt. Doch wenn man sich die Menge der Leute anschaut, die sich im Eine-Welt-Haus um die Tische drängen oder konzentriert die Kleiderstangen durchforsten, konnte das der Motivation offenbar nichts anhaben.

Im Gegenteil: "Durch Pandemie und Energiekrise hat sich das Mindset verändert. Man merkt plötzlich, dass man gar nicht mehr so viel Neues braucht", sagt Janet Reichardt, die unter dem Namen "Frollein Wundertüte" Stil- und Farbberatungen anbietet. Im Oktober hat sie im Salon F, dem Coworking Space für Frauen an der Sonnenstraße, einen Kleidertausch begleitet. Zehn bis 15 Teile hatte jede der 20 Frauen zum Tausch mitgebracht. Sie lachten, ratschten, tauschten. Und freuten sich, als sie später auf Instagram ein Foto entdeckten, auf dem eine andere jene Bluse trug, die zuvor im eigenen Schrank versauerte.

"Am Kleidertausch ist das Spannende das Zirkuläre, dafür interessieren sich immer mehr Leute", sagt Stephanie Müller. Die Münchner Textilkünstlerin upcycelte schon als Schülerin. Als Dozentin an der Kunstuniversität Linz hat sie sich mit der Ausbeutung durch die Modeindustrie befasst, bei den Tauschpartys im Aubinger Kulturzentrum Ubo 9 setzt sich Müller dann gerne mal an die Nähmaschine, um anderen Tricks und Kniffe zu verraten.

Im Eine-Welt-Haus muss Mirjam die Stimme heben, um gegen die Beats vom DJ-Pult anzukommen. Sie hat bereits eine Trainingsjacke, einen kurzen Blazer und einen Pulli in Häkeloptik ergattert. "Coole Sachen haben die hier", sagt die 16-Jährige. Ein paar Meter weiter halten sich zwei augenscheinlich modebewusste Frauen abwechselnd eine Jeansjacke vor den Oberkörper. Offenbar ist eine Fachsimpelei darüber im Gange, wem das Teil denn nun besser steht. Doch man sieht auch eine ältere Dame, die eine lädierte Einkaufstasche hinter sich herzieht. Oder den Mann mit der abgetragenen Jacke, der sich nicht so recht zuzugreifen traut.

Auch die Kleiderkammern und Gebrauchtwarenläden der Caritas verzeichnen eine hohe Nachfrage und eine hohe Spendenbereitschaft. Und dann gibt es noch den neuen "Fashion Truck", im Oktober hatte der mit gespendeter Kleidung bestückte Bus seinen ersten Einsatz in einer Flüchtlingsunterkunft in Unterhaching. "Die Leute sollen nicht das Gefühl haben, sie holen ihre Sachen aus einem Karton heraus, sondern aus einem bunten Laden", sagt Rey Incienzo. Der Modedesigner hatte die Idee und leitet bei der Caritas das Projekt. Im Februar eröffnet als Ergänzung zum Bus ein inklusiver Laden mit Atelier, in dem gespendete Kleidung upgecycelt werden soll. So bald wie möglich will Incienzo mit seiner rollenden Boutique auch die Frauen- oder Männerwohnheime der Stadt anfahren.

Dass die Preise steigen, beschäftigt viele Münchner. Das Gebot zum Sparen - plötzlich ist es in aller Munde. Auch die Secondhand-Läden hätten die Preise erhöhen müssen, berichtet Textilkünstlerin Müller. "Da ist der Kleidertausch eine kleine Enklave." Ein Ort, an dem man sich nicht dafür schämen müsse, arm zu sein. "Meinen Kunden geht es nicht primär ums Geld, sondern um die Wertschätzung", sagt Gundi Kalmer, die in der Baaderstraße seit 18 Jahren den Upcycling-Laden "Polyform" führt. Die klopften sich nicht auf die Schulter, weil sie nachhaltig einkauften, sondern fänden es tatsächlich schade, gut erhaltene Dinge wegzuwerfen. Deshalb bringen sie zum Beispiel den alten Spitzenstoff der Oma, damit Kalmer damit einen Jeansrock zu einem Lieblingsteil aufwerten kann. Sie sagt: "Da hängen ja auch Emotionen dran."

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