Süddeutsche Zeitung

Computerspiele:Raus aus dem Keller

Lesezeit: 3 min

Von Linus Freymark

Ein bisschen ist es wie beim Fußball: zwei Teams, massenhaft Zuschauer, Preisgelder in Millionenhöhe. Nur, dass die Mannschaften nicht aus elf, sondern meist aus sechs Spielern bestehen. Dass der Coach nicht an der Seitenlinie steht, sondern per Livestream zugeschaltet ist. Und dass die Spieler nicht auf dem Feld stehen, sondern vor dem Bildschirm sitzen.

Was für die einen bloßes Computerspielen ist, ist für die anderen eine Sportart: Professionell betriebenes Gaming hat in den vergangenen Jahren enorm an Beliebtheit gewonnen. Mittlerweile gibt es hauptberufliche Spieler und Coaches, die bei Turnieren in verschiedenen Spielen gegeneinander antreten - und weil E-Sport auch bei Sponsoren immer beliebter wird, spielen sie dabei um Millionensummen. Allein bei Events mit dem Klassiker Fortnite wurden im vergangenen Jahr 100 Millionen Dollar an Preisgeldern ausgeschüttet.

Und auch die Politik hat inzwischen ihr Interesse für die Gamingszene und den E-Sport entdeckt. Vergangene Woche kündigte die Bayerische Staatsregierung umfangreiche Förderungen an, unter anderem soll ein großes E-Sports-Event in Bayern stattfinden.

Auch in München ist eine beachtliche, für den Laien jedoch kaum sichtbare E-Sportszene herangewachsen. Mehrere Tausend E-Sportler gebe es hier in der Stadt, schätzt Gilles Tanson vom Verein Munich eSports. Der Verein hat sich aus einer Gruppe von Studierenden der TU München gegründet und möchte die Gamerszene in München miteinander vernetzen. Im Zwischennutzungsprojekt in der Infanteriestraße 14 haben sie dafür ein ganzes Stockwerk mit Konsolen, Bildschirmen und Leinwänden ausgestattet. Interessierte Gamer können dort einfach nur zocken oder sich mit der Kultur rund um die Spiele bekannt machen. Professionellere Spieler feilen gemeinsam an Taktiken oder studieren bestimmte Spielzüge ein. "Uns ist wichtig, dass die Leute hier zusammenkommen und sich kennenlernen können", sagt Gilles Tanson. "Man hört oft das Vorurteil, dass Gamer nur alleine im Keller vor dem Bildschirm sitzen. Aber das stimmt so nicht."

Tanson, 25, mag den Vergleich mit dem Fußball. Daran könne man gut zeigen, dass E-Sport mehr als bloßes Computerspielen ist, sagt er. Tanson hat vor fünf Jahren angefangen, den Ego-Shooter Overwatch zu spielen. Eine Zeit lang war er sogar im semiprofessionellen Bereich unterwegs, jeden Tag gab es eine Trainingssession gemeinsam mit seinen Teamkollegen: Eine Stunde aufwärmen, um die Mausbewegungen einzuüben und sich mit der Tastatur vertraut zu machen. Dann zwei Stunden Spiel, anschließend Taktikbesprechung und der Austausch mit dem Trainer, der wie ein Fußballcoach die Spielzüge seiner Mannschaft beobachtet und Tipps und Anweisungen gibt, selbst aber nicht in das Spiel eingreift. Tansons Mitspieler kamen aus Großbritannien, Finnland, Slowakei. Jeden Abend um 20 Uhr haben sie sich in London, Helsinki oder Bratislava vor ihre Computer gesetzt, kommuniziert haben sie über Headsets oder Livechats. Tanson hat dabei oft der persönliche Kontakt gefehlt.

Und er hat erlebt, dass durch den virtuellen Kontakt schneller Konflikte entstehen und schwieriger wieder auszuräumen sind. Während eines Turniers, bei dem er mit seinem Team mitgespielt hat, kam es vor dem Finale zu Streitigkeiten innerhalb seiner Mannschaft. Schnell flogen Beleidigungen, am Ende zerbrach die Mannschaft an diesem Streit. "Dabei hätten wir echt gewinnen können", sagt Tanson. Auch um so etwas zu vermeiden beziehungsweise um andere auf diese Gefahr aufmerksam zu machen, hat er das Projekt in Schwabing initiiert.

Weil die finanziellen Mittel des jungen Vereins Munich eSports knapp sind, waren Tanson und die anderen auf Spenden und ihr Verhandlungsgeschick angewiesen. Für die Sofas, Bildschirme und Konsolen im Gaming Room haben sie gerade einmal 30 Euro ausgegeben. Die anderen Räume sind einzelnen Spielen gewidmet, auf Plakaten und Zeichnungen an den Wänden werden etwa Klassiker wie League of Legends, Fortnite oder Counter Strike vorgestellt.

Die meisten der im E-Sport praktizierten Spiele sind Ego-Shooter oder Multiplayer-Online-Games wie League of Legends, Sportspiele wie das Fußballspiel Fifa oder das Basketballgame NBA2K sind kaum vertreten. Trotzdem ist das professionelle Gaming für Tanson definitiv eine Sportart, da man kontinuierlich trainiert, um sich zu verbessern. Zudem seien die Spiele mittlerweile immer komplexer, sich Strategien zu überlegen erfordere mentale Anstrengung - in etwa wie beim Schach.

Noch bis Ende Oktober können Interessierte von Mittwoch bis Sonntag jeweils von 17 Uhr an die Mitglieder des Vereins kennenlernen und sich über die E-Sports-Szene informieren. Jeden Mittwoch gibt es ein Turnier, bei dem die Teilnehmer gegeneinander im Spiel "Smash" antreten, der Gewinner erhält ein kleines Preisgeld, es gibt Kuchen und Getränke. Die Treffen sollen trotz des ambitionierten Anspruchs des Vereins locker bleiben, sagt Gilles Tanson. Wenn die Leute nicht gerade vor einem der Bildschirme sitzen, stehen sie bei Kuchen und Getränken zusammen und plaudern - Hauptgesprächsthema, natürlich: die Gamingszene.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2019
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