Süddeutsche Zeitung

Demo gegen "Unterbindungsgewahrsam":Klimaschützer protestieren gegen Präventionshaft von Gleichgesinnten

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Weil sie sich am Stachus festgeklebt haben, sitzen zahlreiche Aktivisten für 30 Tage in Präventivhaft. Hunderte protestieren deshalb am Sonntag gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz. Selbst Erzbischof Reinhard Marx unterstützt sie dabei.

Von Bernd Kastner

Die Demonstration führt direkt nach Stadelheim, zur Justizvollzugsanstalt. Vor deren Tore, wohlgemerkt, nicht ins Gefängnis, was dieser Tage durchaus erwähnenswert ist. Sitzen doch hinter den Mauern seit Anfang November 13 Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Verurteilt wegen einer Straftat sind sie nicht, sie befinden sich für 30 Tage in "Vorbeugegewahrsam". De facto ist es Präventivhaft. Sie haben sich am Stachus auf der Straße festgeklebt und so den Autoverkehr blockiert. Es war eine von vielen Aktionen, mit denen die "Letzte Generation" wesentlich wirkungsvollere Politik gegen die Klimazerstörung fordert.

Nirgendwo geht der Staat so rigoros gegen die "Klimakleber" vor wie in Bayern, das hiesige Polizeiaufgabengesetz (PAG) erlaubt es. Auf Antrag der Polizei kann ein Gericht einen Monat Gewahrsam verhängen und ihn sogar um weitere 30 Tage verlängern. Gegen diese Sanktionen protestieren Menschen aus der Ökoszene und Anti-Kapitalismus-Bewegung, knapp 1000 dürften es sein, die am Sonntagnachmittag demonstrieren.

Die Organisatoren nehmen eine "massive Verschärfung" der staatlichen Reaktion auf Klimaproteste wahr. "Während jene hinter Gittern sitzen, die sich für den Schutz unserer Lebensgrundlagen einsetzen, zerstören Staat und Konzerne weiterhin ohne jegliche Strafe unseren Planeten", heißt es in dem Protestaufruf, den mehr als 50 Gruppen, vor allem aus München und Augsburg, gezeichnet haben, darunter Fridays for Future, Bund Naturschutz und die Linkspartei. Die bayerische Polizei habe in den vergangenen Wochen bereits 33 Aktivisten in Präventivhaft genommen, wie das Innenministerium mitteilte, etwa die Hälfte davon habe sich am Freitag noch in Haft befunden.

In der Reaktion der Polizei sehen die Organisatoren der Demo eine "Zuspitzung der Kriminalisierung": Der Staat wolle die Proteste eindämmen und "das Weiter-so im System" schützen. "Es geht uns hier nicht darum, einzelne Aktionsformen zu begrüßen oder abzulehnen", heißt es im Aufruf. "Sondern um etwas Größeres: unsere Freiheit, für eine bessere Welt zu kämpfen. Wenn wir jetzt schweigen, werden Maßnahmen wie die 30-Tage-Haft ohne Gerichtsverfahren zum Regelfall und staatliche Akteur:innen können unliebsame Stimmen leichter unterdrücken."

Die Staatsregierung verteidigt den Vorbeugegewahrsam gegen Klimaaktivisten. "Präventivmaßnahmen sind notwendig, um Straftaten, die angekündigt werden, die offenkundig kurz bevorstehen, zu verhindern", sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) vergangene Woche. "Eine wehrhafte Demokratie lässt sich halt auch nicht auf der Nase herumtanzen." Vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof und vor dem Bundesverfassungsgericht sind mehrere Klagen gegen das PAG anhängig.

Präventivhaft sei ein "Zeichen politischer Schwäche"

Unangemessen und undemokratisch nennt Jan Renner vom Bündnis "NoPAG" die Präventivhaft. Diese sei ein "Zeichen politischer Schwäche". Viele im Protestzug tragen Schilder mit sich: "Energiekonzerne enteignen", steht auf einem, oder: "Klimaschutz = Friedenspolitik". Oder: "Söder in Präventivhaft wegen Untätigkeit im Klimaschutz."

Rückendeckung bekommen die Klimaschützer von der katholischen Kirche. Münchens Erzbischof Reinhard Marx hat sich zwar bisher nicht auf der Straße festgeklebt, aber doch hat er bei der Jugendwallfahrt zu Ehren des Bistumspatrons Korbinian Unterstützung formuliert. Er habe Verständnis dafür, dass junge Menschen den Rahmen des Möglichen "sehr weit ausschöpfen", um "sichtbar zu machen, dass wir an einem Wendepunkt stehen". Man brauche "Impulse des Engagements", "auch wenn es manchmal laut ist und die Erwachsenen nervt - das dürft ihr, das müsst ihr vielleicht sogar". Er sei überzeugt: "Wo sollte es sonst herkommen, wenn nicht die Jugendlichen es tun, diese Erinnerung daran: Denkt doch an den ganzen Planeten!"

An die Zukunft dieses Planeten denken die Demonstrierenden auf dem Weg nach Stadelheim, Menschen jeden Alters. Der Liedermacher Konstantin Wecker hat ein Grußwort geschickt. "Die Regeln müssen sich ändern", hat er notiert, um dann seine Solidarität mit den Gefangenen verlesen zu lassen: "Power durch die Mauern." Vor diesen Mauern angekommen ruft die Menge: "Klimaschützen ist kein Verbrechen!"

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