Süddeutsche Zeitung

Bildungspolitik:Lehrer für berufliche Schulen dringend gesucht

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Von Jakob Wetzel

Maximilian Weiß hat eine Taktik. Der 30-Jährige steht an einem Freitag am Stand des Münchner Bildungsreferats auf der Messe "Einstieg München" im MOC in Freimann. "Mach Schule zu Deinem Beruf!", ist hinter ihm auf einem Banner zu lesen. Und vor sich, auf einem Tresen, hat er rote Kugelschreiber aufgereiht. "Wer einen davon haben will, kann gerne einen haben", sagt Weiß. "Aber erst muss er mir zuhören."

Weiß hat es nicht leicht. Im Auftrag der Stadt wirbt er für ein Studium zum Berufsschullehrer, denn von diesen gibt es viel zu wenige in München. Doch kaum eine der Schülerinnen und kaum einer der Schüler, die er anspricht, wissen, wovon Weiß da eigentlich erzählt. "Lehramt für berufliche Schulen, ist das was anderes als normales Lehramt?", fragt eine Schülerin. "Berufsschule, da unterrichtet man Hauptschüler, also das ist doch Hauptschule, oder?", will ein anderer wissen. Wenig später scharen sich gleich fünf Elftklässler um den Stand. Weiß erklärt ihnen, wie sie Berufsschullehrer zum Beispiel mit dem Hauptfach Bautechnik werden könnten, in dem Fach ist der Mangel besonders groß. Die Arbeit sei spannend, und es gebe sehr gute Aussichten, verbeamtet zu werden, sagt Weiß. Die Gymnasiasten hören zu, mehrere nicken. Doch später, nachdem sie ein paar Schritte weitergegangen sind, schütteln sie die Köpfe. Nur einer sagt, er könne sich grundsätzlich vorstellen, Lehrer zu werden. "Aber eher Gymnasium", sagt er. "Ich glaube, ich fände es mit jüngeren Schülern lustiger." Und ein Mitschüler winkt gleich ab. "Lehrer wäre für mich gar nichts", sagt er. "Ich wollte wirklich nur den Kugelschreiber."

Am Stand hat sich Maximilian Weiß derweil bereits den nächsten Schüler vorgeknöpft. Er versucht sein Glück, denn die Stadt München sucht händeringend nach Lehrerinnen und Lehrern für ihre beruflichen Schulen. Etwa 2200 Lehrkräfte sind hier derzeit tätig, unterrichten also an Berufs-, Wirtschafts- oder Berufsfachschulen, an Fachschulen oder Fachakademien sowie an Fach- oder Berufsoberschulen; das Spektrum ist breit. Knapp die Hälfte der Lehrer aber ist 50 Jahre alt oder älter. 900 Lehrerinnen und Lehrer werden laut Bildungsreferat binnen der nächsten 15 Jahre in den Ruhestand gehen. Die Lage sei "beängstigend", sagte Stadtschulrätin Beatrix Zurek (SPD) bereits im vergangenen Jahr. Denn die Stadt hat Mühe, genügend Bewerber zu finden.

Es werde "zunehmend schwieriger, die schulische Versorgung zu gewährleisten", heißt es deshalb in einem Antrag, den Beatrix Burkhardt, die bildungspolitische Sprecherin der Rathaus-CSU, bereits im April gestellt hat. An diesem Mittwoch will der Bildungsausschuss darüber beraten, wie er dem Mangel entgegenwirken kann. Burkhardt fordert in ihrem Antrag ein städtisches "Trainee-Programm" für Quereinsteiger.

Mit dem Werben um Quereinsteiger hat die Stadt allerdings schlechte Erfahrungen gemacht. Von einem Quereinstieg ist die Rede, wenn zum Beispiel ein Bautechniker oder Informatiker mit Master oder Uni-Diplom zum Lehrer umschult. Für Fächer, in denen großer Lehrermangel herrscht, hat der Freistaat sogenannte Sondermaßnahmen eingerichtet. Fachleute können dann unter bestimmten Voraussetzungen gleich ins Referendariat eintreten und später sogar verbeamtet werden. Andere Quereinsteiger würden dagegen erst einmal befristet beschäftigt, sagt Thomas Eisenkolb, der bei der Stadt für die Einstellung von Lehrern zuständig ist. Und um erst einmal zu schnuppern, hätten die Experten die Möglichkeit, vorab befristet als Teilzeit-Lehrer anzuheuern, sagt er.

Die Stadt hat von 2016 an mit einer eigenen Kampagne um Quereinsteiger geworben, um dem Lehrermangel entgegenzutreten. Das sei aber nicht zielführend gewesen, heißt es aus dem Bildungsreferat. Es hätten sich zwar 150 Interessierte beworben, von diesen habe die Stadt aber kaum jemanden angestellt. Viele seien zu gering qualifiziert gewesen. Andere würden sich selbst überschätzen, sagt Brigitte Gerum, die sich im Bildungsreferat um das Personal der beruflichen Schulen kümmert. "Einige unterschätzen die nötigen pädagogischen Kenntnisse." Zudem sei der Arbeitsmarkt für Berufsschulen schwierig. Wer zum Beispiel zum Lehrer für Gesundheit und Pflege umschulen wolle, müsse eigentlich Arzt sein. Aber für Ärzte sei der Wechsel ins Lehramt selten attraktiv. Ähnlich sei es bei Informatikern. In der freien Wirtschaft würden diese einfach besser bezahlt als im öffentlichen Dienst. Und den eigenen Lehrern einfach mehr Geld bezahlen, könne die Stadt nicht, sagt Eisenkolb. Sie sei an den Tarifvertrag gebunden. Auch eine München-Zulage könne sie nicht am Freistaat vorbei beschließen.

Und so hat die Stadt umgesteuert: weg von Quereinsteigern, hin zu Schülerinnen und Schülern - und zu einem neuen Problem, nämlich dem, dass den Beruf des Berufsschullehrers kaum einer kenne, heißt es aus dem Bildungsreferat. Woher auch: Die meisten Abiturienten hätten nie eine Berufsschule von innen gesehen. Wenn sie sich fürs Lehramt interessierten, dächten sie erst ans Gymnasium. Und so verlassen so viele frisch ausgebildete Gymnasiallehrer die Universitäten, dass sie auch mit besten Noten oft nur auf einer Warteliste landen, während die Stadt an ihren beruflichen Schulen nicht alle offenen Stellen besetzen kann. Zuletzt war die Rede von 32 unbesetzten Stellen. Für das Schuljahr 2020/21, heißt es vom Bildungsreferat, brauche man 90 bis 100 neue Lehrkräfte.

Die Stadt will deshalb den Beruf bekannter machen - und hofft, dass die Absolventen dann am Ende ihren Weg an eine städtische Schule finden. Freilich: Bis aus einem Abiturienten ein Lehrer geworden ist, vergehen mit Studium und Referendariat mindestens sieben Jahre. "Wir sind aber zuversichtlich, dass es mit der Lehrergewinnung rechtzeitig klappt", sagt Gerum. Um den Beruf bekannter zu machen, würde das Bildungsreferat auch gerne an Schulen gehen, aber die würden sich nur schwer öffnen, sagt Tobias Schneider, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit im Bildungsreferat. Deshalb geht er eben auf Bildungsmessen, so wie Maximilian Weiß.

Zurück zu "Einstieg München": Dort hat Weiß an jenem Freitag zwei weitere Schüler in ein Gespräch verwickelt. "Lehrer an beruflichen Schulen, sagt euch das was?", fragt er. Und er zählt seine Argumente auf. Berufsschullehrer bekämen dasselbe Gehalt wie Gymnasiallehrer, sagt er. Sie hätten auch dieselben Ferien, anders als die Berufsschüler. Speziell bei der Stadt seien auch die Aufstiegschancen gut. Und schon während des Studiums könne man als Aushilfslehrer Praxis sammeln und Geld verdienen.

Studenten im Klassenzimmer: Deswegen hat im Juli eine Realschule in Schwaben Aufsehen erregt. Dort unterrichteten zwei junge Männer, die selber gerade erst Abitur gemacht hatten; die Schulleitung berief sich auf den Lehrermangel. In München würden aber lediglich Studenten eingestellt, die schon mindestens einen Bachelor-Abschluss, also pädagogische Grundlagen erworben hätten, sagt Brigitte Gerum. Im laufenden Schuljahr sind laut Bildungsreferat vier Studenten in beruflichen Schulen der Stadt im Einsatz.

Ob die Werbung etwas bringt? Auf Messen sei das Interesse schon spürbar, versichert Schneider. Der Renner seien besonders die Fächer Ernährung und Hauswirtschaft sowie Gesundheits- und Pflegewissenschaft, sagt sein Kollege Weiß. Ob einer der von ihnen angesprochenen Jugendlichen später wirklich Lehramt Berufsschule studieren wird, wissen sie nicht. Immatrikulieren müssten sich die Abiturienten dazu an der Technischen Universität. Diese teilt mit, es gebe durchaus eine steigende Tendenz. Von 2012 bis 2017 habe es stets zwischen 150 und 180 Erstsemester gegeben, sagt ein Sprecher. Jetzt liege die Zahl bei etwa 220. Die TU bietet seit drei Jahren auch einen integrierten Master-Studiengang an, der sich an Quereinsteiger vornehmlich aus der Metall- oder aus der Elektro- und Informationstechnik richtet. Hier können die Studenten Master und Referendariat parallel absolvieren, das spart Zeit. Die ersten 21 Absolventen seien gerade fertig geworden, heißt es von der TU. 59 Studenten sind derzeit eingeschrieben.

Am Stand von Maximilian Weiß steht inzwischen Jenny Lang. Die 16-Jährige ist gezielt hierher gekommen: 2021 mache sie Abitur, und sie interessiere sich für die Fächer Sozialpädagogik und Englisch, sagt sie. Über den Beruf habe sie sich schon vorab informiert. "Ich wusste schon viel. Aber dass man dasselbe verdient wie am Gymnasium, das wusste ich zum Beispiel nicht", sagt sie. Jetzt schwanke sie zwischen Lehramt Berufsschule und Gymnasium. Dann geht sie weiter zu einem anderen Stand. "Im Anschluss bitte unbedingt bei der Landeshauptstadt München bewerben!", ruft Weiß ihr hinterher.

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Quelle:
SZ vom 02.12.2019
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