Süddeutsche Zeitung

Kino:Wenn der Perlacher Forst aussieht wie Sibirien

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Am Donnerstag beginnt die Berlinale. Mit dabei sind auch Filme aus Bayern, einer davon sogar im Hauptwettbewerb: "Siberia" wurde in und um München gedreht.

Von Josef Grübl

Jetzt beginnen wieder die närrischen Tage, doch mit Alaaf, Helau oder tanzenden Marktweibern haben sie nichts zu tun. Zumindest in Berlin, dort lockt man mit Karneval kaum jemanden hinter dem Ofen hervor. Mit Stars, Sternchen und dem einen oder anderen verirrten Funkenmariechen schon eher: Am Donnerstag starten die 70. Internationalen Filmfestspiele Berlin, es werden schräge Vögel über den Potsdamer Platz geistern - mit dem närrischen Treiben im Rest der Republik haben sie nichts zu tun.

Bei der Pressekonferenz im Januar verriet der neue künstlerische Leiter Carlo Chatrian, was die Berlinale-Gäste erwartet: "Wir haben zwar ein paar Komödien im Programm, die meisten Filme sind aber doch eher düster." Das waren sie in der Amtszeit seines li-la-launebärigen Vorgängers Dieter Kosslick auch, bei so einer bedeutenden Kulturveranstaltung werden eben eher ernstere Themen verhandelt.

Um den Hauptpreis der Berlinale, den Goldenen Bären, konkurrieren 18 Filme, über einen davon freut man sich in Bayern besonders: Abel Ferraras Spielfilm "Siberia" ist eine deutsch-italienisch-mexikanische Koproduktion mit Hollywoodstar Willem Dafoe in der Hauptrolle. Dieser spielt einen vom Leben gebeutelten Mann, der seine inneren Dämonen in der sibirischen Tundra bekämpfen will. Philipp Kreuzer, dessen Produktionsfirma Maze Pictures nahe des Münchner Goetheplatzes residiert, freut sich über die Einladung in den Berlinale-Wettbewerb: "Das ist einfach die Königskategorie." Er hat gute Verbindungen nach Italien, produzierte schon mehrere Male mit italienischen Kollegen Filme. So kam auch der Kontakt mit dem in Rom lebenden Regisseur zustande.

Die Zusammenarbeit mit dem Amerikaner Ferrara, der in "Bad Lieutenant" oder "Welcome To New York" regelmäßig die Abgründe alter weißer Männer auslotet, sei gut gewesen, betont er. "Es war sicher nicht immer ganz konfliktfrei", so Kreuzer, "das wichtigste ist aber, dass er immer genau wusste, welchen Film er machen will." Der Film heißt zwar "Siberia", in Sibirien gedreht wurde aber nicht. Da die Fördergelder aus Bayern und Südtirol kamen, wurde ebendort gefilmt: Die Außenaufnahmen entstanden in den Südtiroler Bergen, die Innenaufnahmen in den Studios der Bavaria Film in Geiselgasteig. Die Schlussszene sei übrigens im Perlacher Forst entstanden, erzählt der Produzent: "Dort sieht es aus wie in Sibirien."

Noch weiter in Richtung Osten geht es in Uisenma Borchus zweitem Film "Schwarze Milch", der bei der Berlinale in der Sektion Panorama läuft. Die HFF-Absolventin ist gebürtige Mongolin, dort hat sie auch den Nachfolgefilm ihres Debüts "Schau mich nicht so an" gedreht. Es ist die Geschichte zweier Schwestern (eine davon spielt die Regisseurin selbst), die in verschiedenen Welten und Kulturen leben, sich nach Jahren der Trennung aber in der Wüste wiedersehen.

Eine Geschichte aus der Mongolei erzählt auch die an der HFF München ausgebildete Regisseurin Byambasuren Davaa. 2005 wurde ihr Film "Die Geschichte vom weinenden Kamel" für den Oscar nominiert, ihr neuer Film ist ebenfalls dokumentarisch. Es geht um einen 11-jährigen Nomadenjungen, der nach dem Tod des Vaters seinen Platz in der Gemeinschaft finden muss: "Die Adern der Welt" läuft in der auf ein junges Publikum ausgerichteten Sektion "Generation Kplus".

Eine Familiengeschichte erzählt auch Janna Ji Wonders in ihrem Debütfilm "Walchensee Forever": Die Regisseurin wurde im Januar beim Bayerischen Filmpreis bereits für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet, seine Weltpremiere feiert dieser aber in der Berlinale-Reihe "Perspektive Deutsches Kino".

Ebenfalls in dieser Sektion zu sehen sind die Dokumentarfilme zweier weiterer HFF-Absolventen: In "Automotive" porträtiert Jonas Heldt zwei sehr unterschiedliche Frauen - die eine sortiert in Ingolstadt Autoteile, die andere ist Headhunterin und sucht nach Fachkräften zur Automatisierung in der Logistik. In "Out of Place" zeigt Friederike Güssefeld drei deutsche Jugendliche, die im Rahmen eines pädagogischen Projekts nach Rumänien geschickt wurden.

Das vermutlich ungewöhnlichste Regie-Duo der Berlinale präsentiert seinen Film in der neuen Sektion Encounters: Der 88-jährige Münchner Autorenfilmer Alexander Kluge hat sich gemeinsam mit dem 46 Jahre alten philippinischen Avantgarde-Regisseur Khavn den Orpheus-Mythos vorgenommen. Sie vertauschen die Geschlechter, aus Orpheus wird Orphea, aus Eurydike wird Eurydiko, es geht um die Afterlife-Forschung im Silicon Valley und Migrationsbewegungen in Europa. Ihr Film heißt "Orphea", die Titelheldin wird gespielt von der Berliner Extremschauspielerin Lilith Stangenberg.

Und dann wäre da noch ein Film, der 1970 für den wohl größten Skandal der Berlinale-Geschichte sorgte: Zum 50-Jährigen zeigt das Festival Michael Verhoevens Spielfilm "o.k." noch einmal. Verhoeven verlegte den Vietnamkrieg in den Bayerischen Wald, der amerikanische Jurypräsident George Stevens fand das antiamerikanisch und verlangte, den Film aus dem Wettbewerb zu nehmen. Es wurde diskutiert und gestritten, die Berlinale vorzeitig abgebrochen. Zumindest das ist im Festivaljahr 2020 nicht zu erwarten.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2020
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