Süddeutsche Zeitung

Bauernprotest:5500 Traktoren auf den Straßen Münchens

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Die Polizei zählt viel mehr Fahrzeuge, als der Bauernverband erwartet hatte. Mindestens 8000 Menschen nehmen an der Kundgebung teil. Am Odeonsplatz beklagt der bayerische Bauernverbandspräsident eine "Orgie von Einschnitten in zwei Jahren Ampel".

Von Joachim Mölter und Johann Osel

Die vom Bayerischen Bauernverband (BBV) initiierte Aktionswoche gegen die geplanten Subventionskürzungen der Bunderegierung hat am Montag in München ohne größere Zwischenfälle begonnen - obwohl zur Auftaktveranstaltung auf dem Odeonsplatz weit mehr kamen als die angemeldeten 5000 Teilnehmer mit 1000 Traktoren. Nach Angaben der Polizei versammelten sich auf dem Platz und der dahinterliegenden Ludwigstraße insgesamt 8000 Menschen; von Vertretern des veranstaltenden Bauernverbandes wurden auf der Rednerbühne 10 000 genannt. Die Zahl der in die Landeshauptstadt gefahrenen Trecker und Schlepper bewegte sich zwischen 7000 (so BBV-Präsident Günther Felßner) und 5500 (Polizei).

Seit den frühen Morgenstunden waren die Traktoren sternförmig von den Sammelstellen aus dem Umland in die Stadt hineingerollt. Wegen der Kälte dick eingehüllt starteten unter anderem in Taufkirchen die Landwirte mit ihren Fahrzeugen. Auch aus den angrenzenden Landkreisen Dachau, Fürstenfeldbruck, Erding und Bad Tölz machte sich viele Landwirte auf den Weg in die Münchner Innenstadt. Sogar aus Rosenheim, Landshut und Aichach kamen Kolonnen angefahren und sorgten schon auf den Bundesstraßen für Verkehrsbeeinträchtigungen. Doch nicht alle zog es nach München: Auf der B304 östlich der Landeshauptstadt ging es zeitweilig zwischen Haar und Ebersberg nur mit Stopp & Go weiter, weil Hunderte Bauern zur Protestfahrt nach Wasserburg und Rosenheim starteten.

In München reichte die Reihe der abgestellten Fahrzeuge dann vom Odeonsplatz in Richtung Norden über die ganze Ludwigstraße und weiter in die Leopoldstraße bis zur Münchner Freiheit. Dort parkten nach Angaben von Polizeisprecher Andreas Franken etwa 1500 landwirtschaftliche Fahrzeuge, weitere 800 waren zur Theresienwiese gelotst worden. Die übrigen standen auf dem Mittleren Ring, wo sie eine Fahrspur beanspruchten. "Es gab aber keine Behinderungen, die über das erwartbare Maß hinausgingen", resümierte Franken, der darüber hinaus den Versammlungsteilnehmern "für ihr kooperatives Verhalten" dankte.

Bauernverbandspräsident Günther Felßner hatte auf dem Odeonsplatz eigens betont, dass Bauern "keine Chaoten oder Klimakleber" seien: Man stehe auf dem Boden der demokratischen Grundordnung. Doch als Felßner den Grünen-Bundestagsabgeordneten Karl Bär als Gastredner ankündigt und um einen fairen Dialog bittet, wird der Politiker trotzdem ausgebuht und ausgepfiffen. Und vorsichtshalber nach seinem Auftritt unter Polizeischutz weggebracht.

Insgesamt blieb es aber weitgehend friedlich. Vor dem König-Ludwig-Denkmal hatten Jungbauern bereits am Morgen einen kleinen Grill und Bierbänke aufgebaut und die ersten Flaschen geöffnet. Bei minus fünf Grad tranken sich einige Versammlungsteilnehmer schon vor 10 Uhr warm. Von Zwischenfällen oder gar Straftaten konnte Polizeisprecher Franken nach ersten Erkenntnissen nicht berichten. Seine Behörde war mit insgesamt 400 Beamten und Beamtinnen im Einsatz, die meisten waren mit dem Regeln des Verkehrs beschäftigt. Dazu kamen noch einmal mehrere hundert Ordner des Veranstalters, die ebenfalls für einen reibungslosen Verlauf sorgten.

Auch andere Branchen solidarisierten sich mit den Landwirten. Zwischen den Traktoren standen Fahrzeuge von Speditionen. Während der Kundgebung gab es unter anderem Solidaritätsadressen vom Hotel- und Gaststättenverband, Bäckern, Metzgern oder Fuhrunternehmen.

Unter die Kundgebungsteilnehmer hatten sich freilich auch Querdenker, Russland-Freunde und Vertreter rechter Gruppierungen wie "Der 3. Weg" oder die "Identitäre Bewegung" gemischt, die offenkundig versuchten, den Bauernprotest für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Gesichtet wurden dabei Symbole wie die schwarz-weiß-rote Reichsflagge. Ganz vorne dabei war auch ein Team des österreichischen Fernsehsenders "Auf1"-TV, der der Querdenker-Szene nahesteht: Der Wagen parkte vor dem Haus Ludwigstraße 1, quasi direkt am Odeonsplatz. Nicht weit davon entfernt war ein Transporter geparkt, aus dessen Laderaum eine an einem Galgen hängende Ampel baumelte.

Ebenfalls in der Nähe parkte ein weiterer Lkw mit einer aufmontierten Plakatwand, auf der aufgerufen wurde: "Energiepreis runter! Remigration sofort! Genderwahn stoppen" - alles Forderungen, die nichts mit den Anliegen der Bauern zu tun haben. Denen geht es in erster Linie um den Erhalt der Subventionen von Agrardiesel und die Beibehaltung der Befreiung von der Kfz-Steuer für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge. Dazu hatten sie auf die Motorhauben ihrer Traktoren Plakate montiert mit Slogans wie "Ampel zerstört den Mittelstand. Rücktritt jetzt" oder "Bauerntod bringt Menschennot". Einer hatte eine Warnsirene anmontiert, die er bisweilen aufheulen ließ.

Fremdenfeindliche Schilder, auf denen Forderungen standen wie "Stoppt die illegale Migration! Kriminelle Asylanten raus!", waren nach dem Ende des Bauernprotests noch bei einer anderen Kundgebung zu sehen: Einige hundert Meter entfernt hatte die Landtagsfraktion der AfD auf dem Max-Joseph-Platz zu einer Demonstration aufgerufen, bei der viele ähnlich lautende und ähnlich gestaltete Plakate hochgehalten wurden. Ein wenig mehr als hundert Unterstützer hatten sich innerhalb einer Absperrung zusammengefunden, drei Dutzend Gegendemonstranten hielten außerhalb des umzäunten Areals ihre Transparente dagegen.

Falls die AfD-Politiker gehofft hatten, vom Bauernprotest zu profitieren, waren sie wohl enttäuscht. Nach dem Ende der Kundgebung waren zwar Hunderte Demonstrierende in Richtung Innenstadt gegangen. Aber die hatte es wohl eher zum Aufwärmen in die zahlreichen Gaststätten um den Dom herum gezogen.

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