Süddeutsche Zeitung

Agentur für Arbeit in München:Eine Milliarde Euro für Kurzarbeit

Lesezeit: 3 min

Ein Jahr ist vergangen seit dem ersten Lockdown. Wie hat sich das auf den Jobmarkt ausgewirkt? Eine Bilanz.

Von Catherine Hoffmann

Anfang 2020 diskutierte man in Deutschland noch über die hohen Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit (BA). 26 Milliarden Euro hatte die Behörde aus Beiträgen der Arbeitgeber und Beschäftigten angespart. Viel Geld für schlechte Zeiten. Zu viel, fanden nicht nur Haushaltspolitiker der FDP, sondern auch der Bundesarbeitsminister. Dann kam die Corona-Pandemie und mit ihr ein nie dagewesener Rekordstand an Kurzarbeitern.

Auch in München stieg deren Zahl mit Beginn des ersten Lockdowns im März 2020 innerhalb kürzester Zeit auf ein historisches Niveau. Im Februar hatten noch 40 Betriebe Kurzarbeit beantragt, im April waren es schon 16 615. Die bittere Bilanz für 2020: Insgesamt zeigten in München 27 318 Unternehmen für 373 511 Mitarbeiter Kurzarbeit an - das sind mehr als 30 Prozent aller Münchner Arbeitnehmer. Um die Flut der Anträge schnell zu bearbeiten, stockte die Arbeitsagentur ihr Personal binnen weniger Wochen von 30 auf 300 Mitarbeiter auf. "Wir haben das Haus auf den Kopf gestellt und auch samstags gearbeitet", berichtet Wilfried Hüntelmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit München.

Für Menschen, die plötzlich nichts mehr zu tun haben, bedeutet Kurzarbeit, dass sie zunächst 60 Prozent des Nettolohns bekommen. Angesichts des Ausmaßes der Krise und der hohen Reserven hat die Bundesregierung dann beschlossen: nach drei Monaten Bezug steigt das Kurzarbeitergeld auf 70 Prozent, nach sechs Monaten auf 80 Prozent. Die Zahlen gelten für Beschäftigte, die keine Kinder haben.

"Mit dem höheren Kurzarbeitergeld wollten wir gerade Leute aus Branchen unterstützen, in denen nicht so viel verdient wird", sagt Hüntelmann. "In der Gastronomie zum Beispiel sind die Gehälter nicht üppig und ohne Arbeit fehlt das Trinkgeld." Auch in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 war Kurzarbeit der rettende Anker. Damals brauchten vor allem Automobilindustrie und Maschinenbau Beistand. Heute treffen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie vor allem Hotels, Gastronomie, Teile des Einzelhandels, Veranstalter und Messebetreiber, den Tourismus und sehr viele Betriebe, die von diesen Branchen abhängen, wie zum Beispiel die Taxifahrer.

Auch wenn es paradox erscheint: Hüntelmann ist froh, dass so viele Unternehmen Kurzarbeit in Anspruch nehmen. "Es zeigt, dass die Arbeitgeber an ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern festhalten und auch die Zeit nach Corona im Blick haben", sagt der Agentur-Chef. "Dieses Instrument rettet Jobs und bewahrt die Betriebe in Zukunft vor einem Fachkräftemangel." Die Kosten für die Kurzarbeit sind enorm. Die Ausgaben für Kurzarbeitergeld betrugen in München im vergangenen Jahr rund eine Milliarde Euro.

Das Geld ist gut investiert. Gäbe es das Instrument nicht, wären die Arbeitslosenzahlen längst in die Höhe geschnellt. Auch mit dieser Hilfe sind sie 2020 im Jahresdurchschnitt um mehr als 40 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosenquote kletterte von 3,6 Prozent im Januar auf 4,5 Prozent im Dezember. Im Januar dieses Jahres erreichte sie saisonal bedingt 5,0 Prozent.

Derzeit gibt es für 53 917 Menschen keine bezahlte Arbeit. "Die hohen Zahlen machen uns Sorgen", sagt Hüntelmann. "Wir wollen den Menschen unbedingt neue Jobs vermitteln." Die Leute sollten die Zeit zur Qualifizierung nutzen, denn Bildung stärke die Chancen auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig. Nur so könnten die Arbeitssuchenden Schritt halten mit der Digitalisierung und dem Strukturwandel am Münchner Arbeitsmarkt, der durch die Corona-Krise sehr befeuert werde. "Wir tun immer so, als könnten alle Menschen Computer und Tablet effektiv nutzen, das stimmt aber nicht", sagt Hüntelmann. "Ohne diese Kompetenz kommt man im Berufsleben nicht mehr aus." Und da reiche es eben nicht, Whatsapp zu beherrschen.

Auch die Agentur selbst ist im Corona-Jahr digitaler geworden. Für alle, die Hüntelmann seine "Kunden" nennt, gibt es die App "BA-Mobil", mit der Arbeitssuchende auf dem Laufenden bleiben, wo gerade ihr Antrag steckt oder ob es neue Stellenangebote gibt. Auch Kurzarbeitergeld kann man in München inzwischen digital beantragen. "Bahnbrechend" nennt der Agentur-Chef die Entdeckung von "Selfie-Ident". Wer seine Stelle verlor, musste bislang persönlich in der Kapuzinerstraße erscheinen und seinen Personalausweis mitbringen. Da 2020 die Arbeitsagentur aber Corona-bedingt zeitweise für Besucher geschlossen war, brauchte man einen digitalen Weg für die Anmeldung. Mit dem Selfie-Ident-Verfahren kann man sich jetzt ganz einfach online identifizieren.

Auch die große Ausbildungsbörse wurde in diesem Jahr ins Internet verlegt. Am vergangenen Freitag konnten Jugendliche dort mit 70 Unternehmen aus Stadt und Landkreis Kontakt aufnehmen. Mehr als 5000 Ausbildungsplätze sind derzeit frei, hinzu kommen duale Studiengänge. Während Hoteliers, Gastronomen und Veranstalter deutlich weniger Lehrstellen anbieten, sucht beispielsweise die Bahn händeringend Auszubildende.

Auch jenseits der Ausbildungsplätze wirkt sich die Pandemie auf den Münchner Stellenmarkt aus. 2020 sank die Zahl der offenen Stellen um mehr als 30 Prozent. Der Trend dauert im neuen Jahr an. Derzeit gibt es nur 7257 offene Stellen. Besonders deutlich ist der Rückgang zum Beispiel in der Zeitarbeit, im Gastgewerbe oder im Handel. IT-Unternehmen, der Online- und Lebensmittelhandel suchen dagegen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ebenso Krankenhäuser und Altenheime.

Wie schnell sich der Arbeitsmarkt erholen wird, hängt davon ab, wie lange die Einschränkungen zur Pandemiebekämpfung aufrechterhalten werden müssen. "Als im vergangenen Sommer der Lockdown aufgehoben wurde, war die Gastronomie schnell raus aus der Kurzarbeit", sagt Hüntelmann und erinnert daran, dass derzeit - trotz Krise - 80 Prozent der Beschäftigten nicht in Kurzarbeit stecken, sondern ganz normal arbeiten.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2021
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