Süddeutsche Zeitung

Verkehrspolitik:Gemeinsam gegen den Kollaps

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Der Landkreis steigt auf Betreiben der betroffenen Städte und Gemeinden in eine interkommunale Verkehrsplanung für den Münchner Norden ein. Auch die Landeshauptstadt ist mit im Boot.

Von Martin Mühlfenzl, Ismaning

Beispielhaft für die Misere im Münchner Norden, sagte Ismanings Bürgermeister Alexander Greulich, sei die Flughafen-S-Bahn: "Auf der S 8 haben wir einen Takt wie zu Zeiten der Olympischen Spiele 1972. Da fährt die S-Bahn alle 20 Minuten", schimpfte Greulich im Ausschuss für Bauen und Schulen. "Und das zu einem Flughafen mit mehr als 40 Millionen Passagieren." Niemanden dürfe es wundern, dass so viele über den Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr nicht einmal nachdenken. Und die Folge lasse sich jeden Tag im Münchner Norden beobachten: "Verstopfte Straßen - genervte Autofahrer."

Überörtliche Lösungen sind gefragt

Der Landkreis will sich des Problems jetzt auf einer sehr viel breiteren Ebene annehmen. Daher sprach sich der Bauausschuss des Kreistags einstimmig für die Beteiligung des Landkreises an der Erarbeitung eines interkommunalen Verkehrskonzeptes aus, für das Greulich zuvor vehement geworben hatte. Darin sollen Lösungen für die fünf Nordkommunen Ismaning, Unter- und Oberschleißheim, Garching und Unterföhring sowie die angrenzenden Stadtviertel und Teile der Landkreise Dachau und Freising erarbeiten werden. "Verkehrskonzept Raum München Nord" nennt sich das Projekt, das geografisch bis zu den Kreisstädten Freising und Dachau reicht und auf der sogenannten Dachauer Erklärung von 2015 gründet.

Die finanzielle Beteiligung des Landkreises in Höhe von 75 000 Euro für das Gutachten fällt in eine Zeit, die geprägt ist von großen Verkehrsprojekten und auch Visionen. Der Bau der zweiten Stammstrecke, die mitten in der Landeshauptstadt Milliarden verschlingen wird und deren Nutzen von vielen Kommunalpolitikern im Umland in Zweifel gezogen wird. Der Plan der Landräte, die S-Bahnen weit in die Peripherie hinaus zu verlängern. Und das Perspektivpapier zum öffentlichen Personennahverkehr, das der Kreis München selbst hat erstellen lassen und in dem zahlreiche Tangentialverbindungen in Form einer Tram oder auch von U-Bahnen aufgelistet werden, die mit etwas Fantasie sogar an einen Ringschluss erinnern.

Dass speziell der urbane Norden unter dem "Verkehrsinfarkt" leidet, machte Alexander Greulich im Bauausschuss deutlich. "Es ist ein gehöriger Leidensdruck, dem wir in der Region ausgesetzt sind", sagte Greulich. "Es braucht eine großräumige Lösung aller Beteiligten über Gemeinde- und Landkreisgrenzen hinweg, um etwas zu bewegen." Und jede Kommune müsse sich ihrer Verantwortung bewusst sein: "Wir in Ismaning produzieren durch unser Wachstum natürlich auch viel Verkehr. Das ist beispielhaft für die Region."

Dass auch die Landeshauptstadt beim Verkehrskonzept mit im Boot ist, sei wichtig, sagte Landrat Christoph Göbel (CSU) und verwies auf ein Projekt, das gerade den nördlichen Landkreis weiter belasten könnte: Das neue Stadtviertel für bis zu 30 000 Menschen zwischen Unterföhring, Englschalking und Aschheim. Dieses könnte, da das Verkehrssystem der Landeshauptstadt ein solches Bevölkerungswachstum nicht verkraften wird, über die Kreisstraße M 3 von Aschheim aus bis zum Föhringer Ring bei Unterföhring erschlossen werden.

"München muss sich beteiligen", sagt der Landrat

"Der Landkreis und die nördliche Region dürfen nicht einseitig belastet werden", sagte Göbel. "Die Stadt muss sich aktiv an großräumigen Planungen, die ihr Gebiet einschließen, beteiligen." Denn der Druck ist schon enorm: Hier wohnen auf engstem Raum in fünf Kommunen weit mehr als 90 000 Einwohner - das sind nahezu 30 Prozent der Landkreis-Bevölkerung.

Greulich verdeutlichte, wie sehr überörtliche Lösungen erforderlich seien, um aus der Staufalle heraus zu kommen: "Wenn wir die B 471 in Ismaning ausbauen, wie es ja vom Bund vorgesehen ist, haben wir den nächsten Flaschenhals in Aschheim." Drei Faktoren sollen im Zusammenspiel der drei Landkreise und der Landeshauptstadt beleuchtet werden: Die Siedlungslandschaft, natürlich die Mobilität sowie der Freiraum samt Naturschutz und Erholungsflächen. Auf engstem Raum fließt der Verkehr von Freising und Dachau aus über die fünf Landkreiskommunen Richtung Stadt - und in die entgegengesetzte Richtung. "Es ist an der Zeit, dieses Gebiet ganz genau zu betrachten und zu analysieren", sagte Greulich. "Es ist schon zu viel Zeit verloren gegangen."

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SZ vom 12.04.2017
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