Süddeutsche Zeitung

Veterinärmedizin:Not in der Notaufnahme

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Die Ismaninger Tierklinik klagt über Personalmangel. Die Rund-um-die Uhr-Versorgung von Vierbeinern wird zunehmend schwierig und ist teilweise nicht mehr durchgängig möglich.

Von Sabine Wejsada, Ismaning

Es ist die Horrorvorstellung für jeden Haustierbesitzer: Bello mag nichts mehr fressen, jault die ganze Zeit und liegt nur noch schmerzverzerrt in seinem Körbchen. Und das alles ausgerechnet am Samstagabend, wenn die Tierärztin oder der Veterinär des Vertrauens im wohlverdienten Wochenende weilt. Da bleibt nur eins: Die Nummer einer Tierklinik zu wählen und zu hoffen, dass man schnell Hilfe für den Vierbeiner bekommt.

Der Landkreis München ist mit seinen drei Einrichtungen in Ismaning, Haar und Oberhaching gut aufgestellt, und wenn alle Stricke reißen, dann können sich Betroffene noch an die Medizinische Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) an der Veterinärstraße in der Maxvorstadt wenden. Sie alle sind an 365 Tagen rund um die Uhr geöffnet und dienen wie die Notaufnahmen der Krankenhäuser beim Menschen als Anlaufstellen für Haustierbesitzer, wenn der Hund, die Katze oder das Meerschweinchen plötzlich ernsthaft erkranken.

Der Haustierboom während der Pandemie verschärft die Lage

Doch ähnlich wie in den humanmedizinischen Kliniken leiden auch die Einrichtungen für Notfälle bei Haustieren seit Jahren unter akutem Personalmangel, sodass zumindest die Ismaninger Tierklinik jetzt Alarm schlägt. Der Grund: Immer mehr Veterinärkliniken in Bayern zögen sich aus dem Notdienst zurück, der Rest könne die Zusatzbelastung kaum noch schultern, schildern die dort Verantwortlichen mit drastischen Worten: "Stellen Sie sich vor: Ihr Hund hat eine Magendrehung und nur eine Not-OP kann ihn retten. Doch Sie stehen vor verschlossenen Kliniktüren, und die nächste OP-Bereitschaft ist zwei Autostunden entfernt." Was für Tierbesitzer wie ein Alptraum klingt, könnte schon bald überall in Bayern Realität werden. "Wir sind im Großraum München eine der letzten Kliniken, die überhaupt einen 24/7-Notdienst anbieten, und arbeiten dementsprechend oft an der Belastungsgrenze", klagt der Inhaber der Tierklinik Ismaning, Felix Neuerer.

Bereits seit geraumer Zeit ist nach den Worten von Neuerer zu beobachten, wie die tierärztliche Notdienstversorgung in Bayern zunehmend Lücken aufweist. So sie die Zahl der bayerischen Kleintierkliniken binnen drei Jahren von 25 auf 20 (Stand: Ende 2020) geschrumpft - und die Zahl bröckle weiter. Die Versorgung akuter Notfälle im Raum München liege in immer weniger Händen.

Dabei habe die Pandemie mit ihrem Haustierboom diese Entwicklung noch beschleunigt, so Neuerer. Weil sich viele Menschen während des Lockdowns ein Tier angeschafft hätten, sei die tierärztliche Versorgung der vielen neuen Patienten schon tagsüber zu einer Kraftprobe geworden. Für die Tierklinik Ismaning und ihre Veterinäre sowie das medizinische Personal sei es eine enorme Zusatzbelastung, "wenn aus Mangel an Alternativen jetzt auch verzweifelte Tierbesitzer aus Regensburg, Dingolfing, Ingolstadt und Landshut in der Notaufnahme Schlange stehen". Vor allem nachts und an den Wochenenden stoße die Kleintierklinik im Münchner Norden oft an ihre Kapazitätsgrenzen.

Regelmäßig müssten Neuerer und sein Kompagnon Klaus Zahn aufgeregte Kunden beruhigen und um Verständnis für lange Wartezeiten bitten, heißt es in einer Mitteilung der Klinik. Häufig sei der Ansturm so groß, dass die Klinik sogar zeitweise einen Aufnahmestopp für die Hunde- oder Katzenstation habe verhängen müssen. In der vergangenen Woche etwa haben die Ismaninger den Notdienst abends und nachts wegen Personalmangels gar nicht anbieten können, wie Marina Wankerl vom Management der Ismaninger Tierklinik auf SZ-Anfrage berichtet.

Es fehlt an qualifiziertem Personal, "das zudem noch gewillt ist, außerhalb der regulären Öffnungszeiten Notdienste zu übernehmen und sich darüber hinaus die oft beleidigenden Beschimpfungen von Kunden anzuhören, die frustriert von den Wartezeiten sind". Gerade die jüngere Generation habe eine andere Vorstellung zur Work-Life-Balance "als die sogenannten Baby Boomer, die in den nächsten Jahren in Rente gehen". Erschwerend bei der Suche nach motivierten Mitarbeitern komme hinzu, das bereits erste Tiergesundheitszentren mit Jobs ohne verpflichtenden Nacht- und Wochenenddienst locken würden. Neuerer ist sich bewusst, dass er selbst an der Situation kaum etwas ändern kann, fordert allerdings eine politische Lösung. So habe er schon oft die Bayerische Landestierärztekammer um Hilfe gebeten, um den drohenden Kollaps abzuwenden - vergebens. Dort sehe man keinen Handlungsbedarf.

Was die prekäre Lage für die bestehenden Kliniken etwas entspannen könnte, wäre eine Beteiligung von niedergelassenen Haustierärzten an einem Notfalldienst für Hunde oder Katzen in den Abendstunden und am Wochenende, wie Marina Wankerl vom Management der Ismaninger Tierklinik sagt. Solch ein Angebot wäre in gewisser Weise vergleichbar mit dem ärztlichen Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung beim Menschen. Auch in Haar und Oberhaching könnte ein solcher Service für etwas Entspannung sorgen.

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