Süddeutsche Zeitung

Einsatz in Neuried:Evakuierung unter Hochdruck

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Nach dem Gasaustritt bei Bauarbeiten musste die Feuerwehr alles vermeiden, was eine Explosion auslösen könnte. Das führte dazu, dass sie Türen von Anwohnern aufbrach statt zu klingeln.

Von Annette Jäger, Neuried

Das Rauschen war so laut, als würde man "neben den Niagarafällen stehen" - so hat Feuerwehrkommandant Thorsten Rehkämper den massiven Gasaustritt am späten Dienstagnachmittag in der Neurieder Ortsmitte akustisch wahrgenommen. Bis zu einer Entfernung von 400 Metern sei das Geräusch zu hören gewesen, in der Luft habe man das Gas als Wabern gesehen.

Es war ein Großeinsatz, zu dem neben Rehkämpers Freiwilliger Feuerwehr Neuried auch die Kollegen aus Planegg sowie Polizei und Rettungsdienste ausrückten. Gebäude wurden evakuiert, darunter auch die Musik- und Grundschule, Wohnungen mussten gewaltsam geöffnet werden, um an die 60 Menschen aus der Gefahrenzone zu bringen. Erst etwa zwei Stunden nach dem ersten Alarm um 16.37 Uhr war der Gausaustritt gestoppt. Und es zeigte sich, dass die Abläufe für so einen Katastrophenfall noch optimiert werden können.

Bei Bauarbeiten an der Bushaltestelle in der Münchner Straße war beim Entfernen von Randsteinbeton ein Gasabsperrventil durch eine Baggerschaufel abgerissen worden. In der Ortsmitte sei daraufhin deutlich Gasgeruch wahrzunehmen gewesen, schilderte Rehkämper am Mittwoch die Situation. Doch erst nach und nach zeigte sich die Gefahrenlage: Aus einer 28-Bar-Hochdruckerdgasleitung der Stadtwerke München strömte eine "warme Gasfontäne" aus, wie Rehkämper sagt.

Die Kommunikation unter den Feuerwehreinsatzkräften war erschwert, weil aufgrund der Explosionsgefahr kein Funk am Unfallort verwendet werden durfte. Die Messwerte und das weitere Vorgehen mussten persönlich besprochen werden. Trotzdem wurde schnell klar, dass Gebäude evakuiert werden mussten, ein Gaseintritt in Wohnungen war nicht auszuschließen. Rehkämper berichtet von einem Auto, das in der Ortsmitte an der roten Ampel stand und nicht mehr starten konnte, weil für die Start-Stopp-Automatik der Sauerstoff in der Umgebung fehlte.

In zwei Einsatzabschnitten wurde in einem Radius von 100 Metern um die Unfallstelle evakuiert. Die Freiwillige Feuerwehr Planegg war für die Grund- und Musikschule, den Kindergarten sowie das alte Rathaus zuständig. Die größere Aufgabe hatten die Neurieder Feuerwehrleute im zweiten Abschnitt zu bewältigen. Sie brachen ausgerüstet mit Atemschutzgeräten 20 Wohnungen in dem Gebäudekomplex an der Ecke Münchner Straße und Forstenrieder Straße im unmittelbaren Gefahrenbereich gewaltsam auf. Aus Sicherheitsgründen sollten die mit Strom betriebenen Klingeln nicht betätigt werden. Laut Rehkämper bestand durchaus Explosionsgefahr.

Zum Teil mussten die Menschen erst überzeugt werden, ihre Wohnungen zu verlassen, sagte Rehkämper, die Gefahr sei für sie nicht erkennbar gewesen. Etwa zehn Kinder wurden aus einer Kreativwerkstatt in dem Gebäudekomplex durch die Fenster in den Innenhof gebracht und von dort zur Sammelstelle der Freiwilligen Feuerwehr am Floriansbogen. Auch den Geschäftsinhabern auf der anderen Straßenseite wurde nahegelegt, ihre Geschäfte zu räumen. Den technischen Teil der Gefahrensicherung übernahm die Gaswache der Stadtwerke München. An einer Stelle jenseits des Unfallbereichs wurde über eine Revisionsöffnung Druck aus der Gasleitung abgelassen. Das ausgetretene Gas strömte dort laut Rehkämper gefahrlos in weite Höhen in die Atmosphäre ab.

Der Bürgermeister wird zweimal von der Polizei aufgehalten und hat Schwierigkeiten, sich auszuweisen

Kritik gab es unter anderem auf Social-Media-Kanälen an der vermeintlich späten Benachrichtigung der Bevölkerung. Im Empfinden der Menschen wurde erst gut eineinhalb Stunden nach dem Ertönen der Sirene eine Meldung über das digitale Katastrophenschutz-Warnsystem Katwarn abgesetzt. Rehkämper korrigiert diese Zeitangabe: Zwischen der ersten Alarmierung und der Warnmeldung sei etwa eine Stunde vergangen. "Das finde ich angemessen." Es sei eine Herausforderung gewesen, die Gefahrenlage einzuschätzen, es sei nicht von Anfang an klar gewesen, dass die Bevölkerung gefährdet sein könnte.

Vor dem Hintergrund, dass die Gemeinden angesichts eines möglichen Strom-Blackouts gerade verstärkt Katastrophenschutzabläufe überprüfen, zeigt sich Rehkämper zufrieden. Vor allem die Kommunikation mit den Verantwortlichen der Gemeinde habe gut geklappt. Beide Bürgermeister seien sofort zur Stelle gewesen, ebenso die Brandschutzfachkraft der Gemeinde, die Informationen zur Absperrung an die Bevölkerung weitergeben konnte.

Optimierungspotenzial sieht hingegen Bürgermeister Harald Zipfel (SPD). Auf dem Weg vom Rathaus zur Unfallstelle sei er mehrmals von der Polizei angehalten worden und man habe ihn nicht durchlassen wollen. Seinen Status als Bürgermeister sollte er nachweisen. Dafür zeigte er sogar E-Mail-Verläufe auf dem Diensthandy vor. "Es ist gut, dass wir das mal durchspielen konnten." Im Katastrophenfall benötigen Verantwortliche der Gemeinde laut Zipfel unbedingt Warnwesten mit Aufschrift, die die Zuständigkeit signalisiert.

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