Süddeutsche Zeitung

Zugunglück nahe München:"Es hat laut gekracht wie bei einer Explosion"

Lesezeit: 3 min

Bei Schäftlarn südlich von München stoßen zwei S-Bahnen frontal zusammen, ein Mann kommt ums Leben, 43 Menschen werden verletzt. Und die Polizei fragt sich, wie es sein kann, dass zwei Züge aufeinander zurasen.

Von Titus Arnu, Max Ferstl, Ingrid Fuchs, Claudia Koestler und Joachim Mölter

Blaulichter flackern zwischen den Häusern, Feuerwehrfahrzeuge und Rettungswagen versperren Straßen, drei Helikopter kreisen über Schäftlarn: Ein ganzer Ort unter Schock. Am Nachmittag sind zwei S-Bahnen frontal zusammengeprallt. Um 16.35 Uhr ertönte ein Signalhorn - dann ein enormer Knall, der weithin zu hören war.

Anwohner eilten als Ersthelfer an den Unglücksort, bis die Rettungskräfte kamen - und dann stundenlang mit der Bergung der Verletzten beschäftigt waren. Ein 24 Jahre alter Passagier kam bei dem Unglück ums Leben. 18 Menschen wurden mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht, fünf von ihnen sind schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt. Unter den Schwerverletzten sind die beiden Lokführer. Weitere 25 Menschen wurden mit leichten Verletzungen vor Ort behandelt.

Die Feuerwehr musste einen eingeklemmten Mann befreien und einigen aus den Zügen helfen, andere kletterten selbst ins Freie. Die übrigen etwa 80 Passagiere, die sich in den beiden Zügen befanden, wurden bis in die späten Abendstunden betreut und vorsorglich beobachtet für den Fall, dass bei ihnen Symptome eines Schocks auftreten. Die Polizei war zunächst von etwa 30 Verletzten ausgegangen, es war schon finster in Schäftlarn, als die Zahl nach unten korrigiert wurde. Ein Großteil der Passagiere wurde zur Betreuung ins Kloster Schäftlarn gebracht. Klarheit darüber, was eigentlich passiert war, gab es allerdings noch nicht.

Wie die Polizei mitteilte, stießen die beiden Züge im Bereich des Bahnhofes Ebenhausen-Schäftlarn zusammen - ein Umstand, der womöglich noch Schlimmeres verhindert hat, denn die Bahnen fuhren mit reduzierter Geschwindigkeit. Der Bahnhof liegt an der Strecke der S 7 nach Wolfratshausen. An der Unfallstelle verlaufen die Schienen eingleisig, die beiden S-Bahnen prallten frontal zusammen. Dabei entgleiste ein Zug, wie ein Polizeisprecher mitteilte. An den Gleisen machte sich die Feuerwehr mit schwerem Gerät an die Arbeit, um die Wagen zu bergen. Direkt am Gleis führt eine Böschung steil nach unten, das Gelände ist schwer zugänglich.

Bis zum Abend konnten die Einsatzkräfte die Bahn mit einem Kran stabilisieren, sagte einer der Polizeibeamten vor Ort. Die tatsächliche Bergung könne erst am Dienstag angegangen werden. "Zusammen mit der Gemeinde bereiten wir gerade eine Umleitung für die nächsten drei Tage vor", sagte der Beamte. So lange werden die Arbeiten rund um die Bahnstrecke wohl mindestens dauern - und die Menschen in Schäftlarn müssen irgendwie zur Arbeit und wieder nach Hause kommen.

Viele Anwohner sind an diesem Montag zu Augenzeugen geworden: Ein Mann, der auf dem Weg zum S-Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn war, berichtete, dass er zunächst eine sehr lang ertönende Warnhupe gehört habe. Anschließend, so erzählte er, "hat es laut gekracht wie bei einer Explosion". Als er zu der in einer leichten Kurve gelegenen Unfallstelle kam, seien bereits Passagiere selbständig aus der stadteinwärts fahrenden S-Bahn ausgestiegen, weil sich die Türen geöffnet hatten. Ein anderer Mann berichtete von Brandgeruch.

Auch den Einsatzkräften sah man den Schrecken an. Aus der ganzen Region waren Helfer im Einsatz, sie mussten Schäftlarn weiträumig absperren, um den Unglücksort an der Bahnstrecke freizuhalten. Vor Ort waren etwa 80 Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei, 100 Polizisten, 170 Feuerwehrleute und 230 Rettungskräfte sowie 90 Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks.

Gutachter sollen die Unglücksursache untersuchen

Die Ursache für die Kollision sei noch völlig unklar, sagte ein Sprecher der Polizei. Warum beide Züge gleichzeitig auf der Strecke gefahren seien, sei Gegenstand der Ermittlungen. Infolge des Zusammenstoßes und der Entgleisung wurden offensichtlich auch Oberleitungsmasten umgerissen. Von einem Kurzschluss mit Rauchentwicklung wurde berichtet. Nun sollen Gutachter und Ermittler nach Schäftlarn kommen und nach den Unglücksursachen forschen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) teilte seine Anteilnahme am Abend über Twitter mit: "Das sind schreckliche Nachrichten." Er trauere mit den Angehörigen und wünsche "allen Verletzten des S-Bahn-Unglücks schnelle Genesung". Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) kam selbst an den Unglücksort, sie erklärte, die Szenerie sei unwirklich und erschreckend.

Der Chef der Münchner S-Bahn, Heiko Büttner, sagte: "Den Angehörigen der Unfallopfer gehört unser tiefes Mitgefühl. Den Verletzten wünschen wir eine baldige und vollständige Genesung." Die Deutsche Bahn richtete eine Telefonhotline für alle Betroffenen und Angehörigen ein - erreichbar ist sie unter der Nummer 0800 3 111 111.

Im vergangenen August war es in der Nähe der Unfallstelle schon einmal zu einem gefährlichen Zwischenfall gekommen: Damals fuhren zwei S-Bahnen bei Icking, eine Haltestelle hinter Schäftlarn, auf der eingleisigen Strecke aufeinander zu. Weil sie langsam fuhren, konnten die Lokführer rechtzeitig bremsen.

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