Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahl im Landkreis München:Schwarzes Land

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Der Wahlkreis München-Land war nicht immer identisch mit den Grenzen des Landkreises, aber bis auf eine einzige Ausnahme immer fest in Händen der CSU. Doch es ist etwas in Bewegung geraten - und das Direktmandat bei der Wahl am 26. September könnte hart umkämpft sein.

Von Martin Mühlfenzl

Anke Riedel-Martiny hetzt von Termin zu Termin und erzählt, dass sie immer an einer anderen Tankstelle tankt - um gesehen zu werden. Es ist Wahlkampf und die 30-jährige Direktkandidatin der SPD kämpft um Popularität im Wahlkreis München-Land-Erding-Freising. Im Herbst 1969 ist das als Frau noch keine Selbstverständlichkeit, auch nicht für eine "militante Mutter", wie sie von der Süddeutschen Zeitung bezeichnet wird - und schon gar nicht im konservativen Umland der Landeshauptstadt. Das Direktmandat holt Riedel-Martiny - zu diesem Zeitpunkt schwanger - nicht, aber drei Jahre später schafft sie bei vorgezogenen Bundestagswahlen den Sprung ins Parlament über die SPD-Landesliste.

Aber eigentlich ist die Historie des Bundestagswahlkreises München-Land eine Geschichte der Männer - und der CSU. Wie ein schwarzer Gürtel legt sich der Landkreis seit jeher um die noch immer etwas rote Landeshauptstadt, die zuletzt aber immer grüner geworden ist. Nur einmal, gleich zu Beginn, gelang es den Christsozialen nicht, hier das Direktmandat zu ergattern.

Die Bayernpartei düpiert die CSU

Bei der ersten Bundestagswahl nach dem Ende des Nazi-Regimes war der Landkreis zunächst in Händen der Bayernpartei, für die Anton Besold am 14. August 1949 direkt gewählt wurde. Besold, 1904 in Weßling geboren, war Jurist, promovierte zum Thema "Das Recht der freien Meinungsäußerung" drei Jahre bevor die Nazis die Macht ergriffen. Er war als Funker im Krieg, eröffnete nach dem Ende desselben eine Rechtsanwaltskanzlei - ehe es ihn in die Politik zog. Als erstes Gesicht des Landkreises in Bonn. Später sollte Besold zur CSU wechseln und noch einmal ins Parlament einziehen; da war der Landkreis schon fest in Händen der Christsozialen.

Doch der Landkreis hat sich seitdem stark verändert und die politische Landschaft ist stark in Bewegung geraten. Bei der ersten Bundestagswahl 1949 waren nahezu 59 000 Menschen wahlberechtigt - und 75,8 Prozent gingen an die Urne. Vor vier Jahren waren es mehr als 235 000 Wahlberechtigte, mittlerweile leben in den 29 Städten und Gemeinden 360 000 Einwohner; und es ist in diesem Hightech-Wirtschaftswunderland nicht mehr viel davon zu spüren, dass auch der Landkreis einst ein Agrarland war, in dem es vorbestimmt war, konservativ zu wählen.

Auf Anton Besold folgte im Jahr 1953 mit Franz Seidl als Gewinner des Direktmandats ebenfalls ein Jurist und Soldat im Zweiten Weltkrieg. Er sollte zwölf Jahre lang für die CSU im Bundestag sitzen, ehe noch einmal Anton Besold für vier Jahre übernahm. Mit dem Garchinger Albert Probst folgte für acht Jahre ein Agrarwissenschaftler. 1976 wurde Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg sein Nachfolger, Sohn des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Er vertrat den Landkreis vier Jahre im Parlament, ehe der Haarer Josef Linsmeier 1980 die Direktkandidatur erfolgreich übernahm.

Dass die CSU hart zu sich selbst und zu ihren eigenen Leuten sein kann, musste Linsmeier erfahren. "Die Partei zeigt ihre kalte Schulter", titelte die SZ im Oktober 1989, nachdem die Kreisdelegierten Martin Mayer in einer Kampfabstimmung gegen Linsmeier klar zum Direktkandidaten für die Wahl 1990 bestimmt hatten. Auslöser war Linsmeiers fragwürdiges Geschäftsgebaren mit einer eigenen Firma.

Mayer, Mann der späteren Bürgermeisterin von Höhenkirchen-Siegertsbrunn Ursula Mayer und zuvor zwölf Jahre lang im Landtag, gewann das Direktmandat vier Mal. Er verkörperte den Landkreis wie kaum ein anderer - bodenständig, heimatverbunden, auch ökologischen Themen aufgeschlossen. Dass ihm Georg Fahrenschon nachfolgen sollte, wurde Mayer nicht gerecht, betrachtete der spätere bayerische Finanzminister das Bundestagsmandat doch eher als Sprungbrett; vier Jahre waren dann auch genug für Fahrenschon.

Die Christsozialen bauen immer weiter ab

Der Wahlkreis hat in all den Jahrzehnten immer wieder sein Gesicht verändert: Anfangs gehörten die Landkreise Erding und Freising dazu, später der Landkreis Miesbach, dann wieder Erdinger Ortschaften oder die Gemeinden Krailling und Gauting im Würmtal. Seit der Wahl 2017 ist der Wahlkreis München-Land identisch mit dem Landkreis. Und seit 2009 lautet der direkt gewählte Abgeordnete: Florian Hahn. Bei der Wahl 2013 holte der Putzbrunner Hahn, mittlerweile auch stellvertretender Generalsekretär seiner Partei, mit 52,5 Prozent der Erststimmen die absolute Mehrheit, vier Jahre später waren es noch 43,5 Prozent; gleichzeitig sackten im Landkreis die Zweitstimmenergebnisse der Christsozialen weiter ab, bei der vergangenen Bundestagswahl waren es nur noch 37,3 Prozent (2013: 46,9).

Es ist, das haben die Landtagswahl 2017 und die Kommunalwahl im vergangenen Jahr gezeigt, im einst strukturkonservativen Landkreis München etwas in Bewegung geraten. Bei der Landtagswahl kamen die Grünen auf mehr als 23 Prozent, bei der Kreistagswahl holte die Ökopartei sogar etwas mehr als 26 Prozent. Bei beiden Wahlen sackte die CSU ab, blieb zwar stärkste Kraft - aber weit von der 40-Prozent-Marke entfernt.

Bisher konnte kein Bewerber einer anderen Partei einem CSU-Kandidaten gefährlich werden; Otto Schily, der ehemalige SPD-Innenminister, konnte Anfang der Nullerjahre Ergebnisse von mehr als 30 Prozent der Erststimmen einfahren - vom Direktmandat war er aber weit entfernt.

Doch nun stellt sich die Frage, ob dem amtierenden Abgeordneten Hahn erstmals Gefahr droht. Erstens ist das Bewerberfeld mit acht Kandidaten breit aufgestellt, und zweitens gibt es Meinungsforschungsinstitute und Wahlbeobachter, die Anton Hofreiter von den Grünen Chancen gegen Hahn bescheinigen. Das Portal election.de bewertet einen erneuten Erfolg Hahns derzeit als "wahrscheinlich", gibt Hofreiter aber eine Chance von zehn Prozent, das Direktmandat zu gewinnen. Und diese Aussichten waren für die Grünen schon einmal deutlich besser, als sie bundesweit noch im Umfragehoch waren.

Mehr als wahrscheinlich ist, dass sich die Landeshauptstadt grün einfärben wird. Aber der Landkreis? Wie auch immer, einer wird am Ende sicher sagen können, was Anke Riedel-Martiny 1972 ohne Direktmandat sagte: Sie freue sich "unbandig", dass es mit Berlin geklappt habe.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2021
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