Süddeutsche Zeitung

Energiesparen:Verzicht ist Ansichtssache

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Die Bundesnetzagentur mahnt zum Gas- und Stromsparen, doch der Verbrauch steigt teilweise sogar. Und mancherorts sorgt man sich um den Betrieb der Alarmanlagen und Swimmingpools.

Kolumne von Udo Watter

Wenn uns Geschichtsphilosophie und Küchenpsychologie etwas gelehrt haben, dann: Die Zierden menschlicher Zivilisation sind Wohlstand und Wachstum und wer reich ist, glaubt auch, dass er es zu Recht ist. Egal ob High-Performer bei einer Investment-Bank, Hausbesitzer im Münchner Umland, Firmenerbe oder Segelschuhe tragender Sohn, der zum 18. Geburtstag von den Eltern einen SUV vor die Pullacher Garage gestellt bekommen hat. Dass zahlreiche gut situierte Menschen sich gar nicht als reich empfinden - man denke an Friedrich "Mittelschicht" Merz, der beim US-Vermögensverwalter Blackrock üppig verdiente - geschenkt.

Aber unabhängig davon, ob der Mensch nun als reich oder durchschnittlich wohlhabend definiert ist, ob er (materiell) weitgehend sorglos oder gerade so über die Runde kommt - die Angst vor Verlust bestimmt überall, wo es etwa zu verlieren gibt, das Verhalten. Unser teleologisch-lineares Geschichtsbild käme nur schwer damit zurecht, auch in der eigenen Biografie wieder einen Schritt zurückgehen zu müssen. Etwas wieder hergeben, was man einmal erworben (oder aktiv ererbt) hat? Auf etwas zu verzichten, dessen Gebrauch und Konsum man gewohnt ist? Das gehört offenbar zu den größten mentalen Unfähigkeiten in einer wohlstandsgeprägten Welt.

Nun sag, Bürger der ersten Welt, wie hast du's mit dem Verzicht? Wie hält's du's mit dem Sparen? Welche Einschränkungen bist du bereit einzugehen, jetzt, wo es gilt, mit Strom und Energie hauszuhalten, um gut durch den Winter zu kommen und dem Botox-Prinzen im Kreml keinen Triumph zu gönnen? Angeblich mutieren wir ja gerade alle zu Energiesparfüchsen. Die Bundesnetzagentur hat freilich jüngst vermeldet, der Gasverbrauch sei in der ein oder anderen kühleren Septemberwoche deutlich über dem durchschnittlichen Verbrauch der Vorjahre gelegen. Und mahnte: "Ohne erhebliche Einsparungen auch im privaten Bereich wird es schwer, eine Gasmangellage im Winter zu vermeiden."

Die Heizung des Swimmingpools muss aus bleiben. Sapperlot!

Man staunt. Da wird seit Monaten ein Untergangszenario für den kommenden Winter gemalt, da wird ständig an die Verbraucher appelliert zu sparen - und was passiert? Der Herbst ist kurz mal ein bisschen schattiger als sonst und schon wird offenbar fleißig drauf los geheizt. Ja, wie soll denn das werden, wenn es mal richtig kalt wird? Sind wir vielleicht doch etwas verwöhnt? Natürlich gibt es genügend Menschen, die sparen oder zu sparen gezwungen sind. Aber die, die sich's meinen leisten zu können, nehmen die sich jetzt zurück? Wie viel kognitive Dissonanz hält die Welt aus?

Auf der Bürgerversammlung in Grünwald wurde jüngst gefragt, was die Gemeinde gegen einen möglichen Stromausfall (Blackout) im Winter tun würde, und der Sorge Ausdruck verleihen, dass ja dann womöglich auch die Alarmanlagen ausfallen könnten und Einbrecher das ausnutzen. Sapperlot! Und private Swimmingpools darf man laut Energiesparverordnung auch nicht mehr mit Strom oder Gas beheizen. Den Zumutungen gehört die Welt.

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