Süddeutsche Zeitung

Literatur:Wenn der Baum des Lebens spricht

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Der Münchner Philosoph Krisha Kops erzählt in seinem magisch aufgeladenen Debütroman "Das ewige Rauschen" von einer deutsch-indischen Familie, einer Banyan-Feige und flüsternden Winden - und damit eine "Geschichte des Dazwischen".

Von Antje Weber, München

"Dies ist die Geschichte des Dazwischen, des Halb-Halb, des Viertel-Viertel-Viertel-Viertel, des Alles und des Nichts." Es ist die Geschichte eines Wurzelschlagens, "eines Werdens, einer Metamorphose, von Tod und Wiedergeburt, Verlust und Gewinn". Es ist die Geschichte eines Weltenbaumes, der an der Grenze zwischen der indischen und eurasischen Platte wächst. Und zugleich die Geschichte eines Jungen, der zwischen sehr entfernt scheinenden Sprachen und Kulturen aufwächst. "Ich, Mitternachts- und Zwielichtskind, zwischen Gestern, Nacht und Morgen."

Krisha Kops schlägt in seinem Debütroman "Das ewige Rauschen" (Arche) einen hohen Ton an. Das Ich, das sich da etwas pathetisch auf den ersten Seiten vorstellt, ist allerdings auch ein besonderes: Es ist - eine schön poetische Idee - ein Baum, der als Erzähl-Instanz spricht. Umweht wird die sprechende Banyan-Feige von Winden, die ihr Geschichten aus Indien wie Deutschland zutragen; Geschichten, die von Menschen erzählen, die man sich durchaus als die Vorfahren, die Familie von Krisha Kops vorstellen darf.

Das Bild des Baums begleite ihn schon sehr lange, sagte Kops, als er sein Buch in der Karwoche beim Tukan-Kreis in der Seidlvilla erstmals vorstellte; er verstehe es als eine "absolute Metapher" im Sinne des Philosophen Hans Blumenberg. Mit dem Banyanbaum, in der indischen Literatur und Mythologie sehr wichtig, lasse sich das Thema Heimat "nicht nur horizontal, sondern auch vertikal" beschreiben. Was wohl bedeuten soll: Heimat ist hier nicht nur im geografischen Sinne gemeint, also horizontal, sondern auch in spiritueller, nach oben strebender Hinsicht.

Dieses Buch ist, unübersehbar, auch von einem kolossalen Vaterkonflikt gespeist

Was damit ebenfalls klar sein dürfte: Es ist auch ein besonderer Autor, der hier spricht. Krisha Kops, 1986 in München als Sohn einer deutschen Mutter und eines indischen Vaters geboren, beschäftigt sich als promovierter Philosoph und Journalist insbesondere mit interkulturellen und Gerechtigkeits-Themen; das "Inter", das "Zwischen" ist für ihn von zentraler Bedeutung. Auf seiner Webseite wird die Vielfältigkeit seines Engagements deutlich, es reicht von Vorträgen und Texten bis hin zur Geschäftsführung des Nachbarschaftsvereins wirhelfen.eu. Und jetzt kommt also ein Debütroman dazu, in dem Kops die Geschichte der eigenen Familie verarbeitet, deren Gesichter bei der ersten Lesung auch auf Wand-Projektionen alter Schwarz-Weiß-Fotos aufblitzten.

Dass er den biografischen Stoff mythologisch aufgeladen hat, habe ihm Distanz ermöglicht, sagt Kops, eine "schöne Schutzschicht". Beim indischen Teil der Vorfahren, über die er weniger weiß, habe er sich größere Freiheiten beim Fabulieren erlaubt. Ausgerechnet die bizarrste Figur jedoch, die des Vaters Ramu, sei am dichtesten dran an der Realität. Ein solches Leben, reich an im Roman geschilderten Absurditäten, hätte er "nicht erfinden können". Man stelle sich vor: einen indischen Studenten, der in den Achtzigerjahren in München eintrifft und sich in die Stadt und die Frauen verliebt. Selbst Winterkälte stört ihn nicht; er trägt nie einen Mantel und wird "der erste Inder sein, von dem die Bergwinde erzählen, dass er mit einem dreiteiligen Anzug die Alpen auf Skiern bergabschlitterte, schneller als ein Fallwind, die Krawatte um seine Ohren flatternd".

Der Vater kauft sich einen Nachtclub in Schwabing

Der hochbegabte Ramu studiert anfangs Physik, unterrichtet nebenbei Tennis und verkauft aus Kaschmir importierte Holzschatullen. Er erweist sich als geborener Geschäftsmann, verlegt sich auf den Import von Madras-Hemden und wird reich. Bald trägt er nur noch dreiteilige Brioni-Anzüge, trinkt Champagner und wohnt mit Blick auf den Englischen Garten; um die verehrte Musik von Johann Sebastian Bach endlich so laut hören zu können, wie er will, kauft er sich außerdem einen Nachtclub in Schwabing, vor dem er mit seinem weißen Rolls-Royce vorfährt. Leider ist er auch ein Spieler, dem Roulette verfallen. Er verzockt alles, im Leben wie in der Liebe, am Ende versucht er sich in Indien an einer Firma für Tiefkühlpizza. Und so wächst sein Sohn, im Roman Abbayi genannt, in München weitgehend vaterlos auf. Dieses Buch ist, unübersehbar, auch von einem kolossalen Vaterkonflikt gespeist.

Doch auch wenn dieser Vater allein schon Stoff für einen überbordenden Roman böte - Krisha Kops will in seinem Debüt noch sehr viel mehr erzählen, vielleicht etwas zu viel auf einmal. Um zu zeigen, wie viele Einflüsse über die verschiedenen Vorfahren in einem Menschen zusammenlaufen und sich verflechten, reicht sein Roman bis zu den Urgroßeltern zurück. Das führt zu so vielen Figuren auf indischer wie deutscher Seite - mit oftmals düster grundierten Lebensläufen -, dass der mitgelieferte Stammbaum unverzichtbar ist. Doch über die mythologische Anbindung, über das Bild des Baumes und der raunenden Winde gelingt es Krisha Kops, die verschiedenen Stränge und Themen zusammenzuhalten und in einer magischen Schlussszene gipfeln zu lassen. Mit einer Botschaft, die nicht im Winde verwehen sollte: Auch im Dazwischen kann man seinen Platz finden.

Krisha Kops: Das ewige Rauschen. Weitere Lesung: Di., 17. Mai, 20 Uhr, Reihe "Frühlingsmix", Literaturhaus, literaturhaus-muenchen.de

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