Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in München:Warum es für Reiter nicht gereicht hat

Lesezeit: 4 min

Mehr als 20 Jahre regierte Sozialdemokrat Ude die Stadt. Sein Kronprinz Reiter muss weiter bangen: Laut Prognose bleibt ihm die Stichwahl nicht erspart. Fünf Gründe, warum es in München noch keinen neuen Oberbürgermeister gibt.

Eine Analyse von Anna Fischhaber und Ingrid Fuchs

Nach Auszählung aller 1022 Münchner Stadtgebiete bekommt Dieter Reiter (SPD) 40,5 Prozent. Josef Schmid (CSU) 36,6 Prozent. Zur Stichwahl sagt er: "Das hat es seit 30 Jahren nicht mehr gegeben. Das ist schon mal historisch."

1. Das Kreuz mit der Konkurrenz

Seit Jahrzehnten regiert in München ein sozialdemokratischer Rathauschef. Was also hat SPD-Kandidat Dieter Reiter falsch gemacht, dass er nicht auf Anhieb zum Oberbürgermeister in München gewählt wurde? Wohl gar nicht so viel. Der Hauptgrund dafür, dass er zwei Wochen wohl in die Stichwahl muss, ist die Arithmetik. Gewählt als Münchner Oberbürgermeister ist, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen bekommt - also die absolute Mehrheit. Je mehr Kandidaten antreten, desto schwieriger ist das. 14 Parteien und Wählergruppen nahmen diesmal bei der Kommunalwahl in München teil - und alle außer Rosa Liste und Piraten haben einen eigenen OB-Kandidaten ins Rennen geschickt. So viele wie noch nie. Zum Vergleich: Bei der Kommunalwahl 2008 gab es nur sechs Kandidaten.

Diesmal mussten die Münchner zwischen zwölf Bewerbern wählen, also doppelt so vielen. Und auch wenn sich für Außenseiter wie André Wächter (AfD) oder Wolfgang Zeilnhofer-Rath (Hut) nur ein Bruchteil der Wähler entschieden haben: Sie kosten die Kandidaten der großen Parteien, Dieter Reiter (SPD) und Josef Schmid (CSU), Stimmen. Nicht so viele allerdings wie die Grünen-Kandidatin Sabine Nallinger, die 14,7 Prozent holte - Stimmen aus dem linken Lager, die nun vor allem Reiter fehlen dürften. Drei starke Bewerber - auch das ist neu. Nallingers Vorgänger Hep Monatzeder holte 2008 nur 3,4 Prozent.

2. Drei OB-Kandidaten mit ähnlichen Zielen

"Wohnen darf nicht zum Luxusgut werden", forderte Dieter Reiter auf seiner Homepage. Bei Sabine Nallinger steht da einfach "Mehr bezahlbarer Wohnraum". Und Josef Schmid stellte die gleiche Forderung unter dem Slogan "Besser Leben - Bezahlbaren Wohnraum schaffen." Drei Kandidaten, ein Ziel. Der Spruch "Grünes München - Lebensqualität verbessern" könnte von den Grünen stammen - steht aber auf der Homepage von CSU-Mann Schmid. Die drei aussichtsreichsten Kandidaten für den Posten als Oberbürgermeister haben es im Wahlkampf kaum geschafft, sich thematisch voneinander abzugrenzen.

Zudem vermochte es kein Kandidat auf breiter Ebene, die Wähler für sich zu begeistern oder mitzureißen. Der Verwaltungsfachwirt Reiter gab sich volksnah, wirkte dabei freundlich aber stets auch ein bisschen blass. Doch auch seine beiden größten Konkurrenten stachen nicht gerade durch überschäumendes Charisma heraus. Nallinger ist Mitarbeiterin im Planungsbereich der MVG, erzählte gerne vom Joggen im Münchner Westpark und davon, dass sie sich zwei Abende pro Woche für die Familie reservieren will. Und Schmid? Der Jurist und Metzgersohn aus Allach - wo er noch heute Zuhause ist - distanzierte sich in diesem Wahlkampf quasi von der eigenen Partei. Er vertrat liberalere Positionen als der Großteil der Münchner CSU und stellte so bei der OB-Wahl gerade für unentschlossene Wähler eine Alternative dar, die Reiter viele Stimmen gekostet haben dürfte. Eine echte Wechselstimmung konnte aber auch er nicht erzeugen.

3. Dieter Reiter, der ewige Kronprinz

Seine Stellung als Kronprinz der Münchner SPD dürfte Reiter im Wahlkampf mehr als nur einmal Kopfschmerzen bereitet haben. Nach 21 Jahren Christian Ude im Rathaus wäre es ungeschickt gewesen, allzu laut über aktuelle Missstände in der Stadt zu poltern. Denn die meisten Probleme sind hausgemacht. Jedes Zetern hätte da leicht als Kritik an der eigenen Partei verstanden werden können. Und an der eigenen Arbeit: Reiter verbrachte sein Berufsleben quasi im Schatten des Rathauses - als Beamter der Stadtkämmerei. Inzwischen ist er Wirtschaftsreferent, Wiesnchef und OB-Kandidat der Münchner SPD - also mitverantwortlich für viele Entscheidungen.

Allerdings hätte es durchaus einiges zu kritisieren gegeben: Die Finanzsituation bei den städtischen Kliniken wäre wohl nicht so eskaliert, hätte früher jemand eingegriffen. Und auch die Debatten um leerstehende Wohnungen hätten vermieden werden können - wenn sich einfach jemand um diese Immobilien gekümmert hätte. Dass es diese Probleme gibt, leugnete Reiter gar nicht. Aber Ude in den Rücken fallen? Jenem Mann, der gewissermaßen sein Ziehvater ist? Das Ergebnis: Statt Münchner Probleme klar beim Namen zu nennen, schwurbelte Reiter häufig herum. Bevor er auf Kritik eingehen konnte, musste er seine Sätze oft mit einem "Ja, aber..." beginnen. So eine Antwort klingt in den Ohren der Betroffenen schnell unbefriedigend.

4. Fader Wahlkampf

Dieses Problem konnte man auch an den Wahlplakaten ablesen: Sorgte die CSU mit dem Werben für grünen Verkehr noch für ein wenig Überraschung und einige Nachmacher, langweilte die SPD mit Binsenweisheiten wie "Ja! zu öffentlichem Nahverkehr" oder "Damit München München bleibt". Viele Wähler fragten sich da natürlich: Für was genau stehen Dieter Reiter und seine SPD denn nun? Was soll denn so bleiben, wie es ist? Und was wird anders werden? Reiter erklärte das mal so: Er wolle den Flair der Stadt bewahren. Bei der politischen Konkurrenz allerdings wurde der Satz als Bekenntnis für Stillstand interpretiert. Als Beweis, dass der SPD-Kandidat nicht einmal weiß, was er anders als Ude machen soll.

Reiter fühlte sich missverstanden. Doch auch Carsten Reinemann, Professor für politische Kommunikation an der LMU, beurteilte die Kampagne kritisch: "Die SPD ist natürlich in einer ganz anderen Situation als die CSU. Als regierende Partei muss man zeigen, was man erreicht hat. Aber natürlich braucht es auch Ideen für die Zukunft. Auf den Plakaten der SPD kann ich die nicht sehen." Laut Reinemann kann man auch mit einem allgemeinen Slogan großen Erfolg haben. Als Beispiel nannte er Obama und sein "Change". Der Experte schränkt aber ein: "Allerdings muss ich den Leuten vermitteln, was hinter so einem Slogan steckt." Und das hat die SPD in diesem Wahlkampf sicher zu wenig getan.

5. Das verflixte erste Mal

Die letzte Stichwahl bei einer Münchner OB-Wahl gab es 1984, also vor 30 Jahren: Damals wollte Georg Kronawitter sich das Amt von der CSU zurückholen, erreichte aber bei der Kommunalwahl nur 48,2 Prozent. Erst bei der Stcihwahl konnte er sich gegen Erich Kiesl durchsetzen. Christian Ude hatte es 1993 leichter: Kronawitter griff zu einem Trick - und überließ Ude vorzeitig sein Amt. Doch auch für den damaligen Interims-OB Ude, der zuletzt 66,8 Prozent der Stimmen holte, endet die erste Wahl gegen CSU-Herausforderer Peter Gauweiler äußerst knapp: Mit nur 50,8 Prozent wurde er neuer Oberbürgermeister.

Die Zeit titelte damals kurz vor der Entscheidung: Der "Rote Christian - ein farbloser OB-Kandidat". Ähnlich dachten viele Münchner wohl zuletzt über den Neuen, über Reiter. Vor einem Jahr kam eine SPD-Umfrage noch zu einem wenig schmeichelhaften Ergebnis: Bei der Frage, welche OB-Kandidaten dem Namen nach bekannt seien, landete Reiter hinter Nallinger auf Platz drei. Schmid kannten damals 46 Prozent der Befragten, Nallinger lag mit 35 Prozent zwei Punkte vor dem SPD-Kandidaten. Inzwischen dürften ein paar mehr Münchner wissen, wer Wiesnchef, Wirtschaftsreferent und OB-Kandidat Reiter ist. Immerhin liegt er nun vorne. Gereicht hat es trotzdem nicht. Und so muss der Sozialdemokrat am 30. März noch einmal gegen CSU-Herausforderer Schmid antreten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1912093
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.