Süddeutsche Zeitung

Kompass:Das große Los

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November ist Reisezeit - zumindest in den Münchner Kinos und Kultureinrichtungen. Diesen Monat finden in der Stadt mehrere Länder-Filmfestivals statt. Auf dem Programm stehen Filme, die man sonst kaum zu sehen bekommt, sie erweitern nicht nur den cineastischen Horizont.

Von Josef Grübl

Bimovie

Einmal um die ganze Welt: Einen Länderschwerpunkt gibt es bei der Frauenfilmreihe Bimovie zwar keinen, international geht es aber trotzdem zu - mit Filmen aus Schweden, Iran oder Georgien. Los geht es am Donnerstag, 3. November, mit dem britischen Coming-of-Age-Film "Sweetheart", in dem sich ein 17-jähriges Mädchen im Sommerurlaub in eine Rettungsschwimmerin verliebt. Von liebenden Frauen handelt auch Eva Vitijas Dokumentarfilm "Loving Highsmith", der bereits vor einem halben Jahr regulär im Kino lief, jetzt aber noch einmal zu sehen ist: Im Zentrum steht die Schriftstellerin Patricia Highsmith, die bekanntlich Frauen liebte, was im New York der Nachkriegszeit aber heimlich stattfinden musste. Trotzdem hatte sie ein aktives Liebesleben, sie dokumentierte es auch ausführlich in ihren Tagebüchern, die sie "Cahiers" nannte, und die nach ihrem Tod 1995 in ihrem Schweizer Haus gefunden wurden.

Angesichts der aktuellen Ereignisse im Iran ist Nahid Perssons Dokumentarfilm "Be My Voice" erschreckend aktuell: Sie begleitet eine iranische Journalistin, die seit Jahren im Exil lebt und für das Recht von Frauen kämpft, selbst darüber zu entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht. Kämpferisch gibt sich auch die Heldin des schwedischen Films "Flickan i frack - Mädchen im Frack": Katja geht im Frack ihres Bruders aus und löst damit einen Skandal aus. Karin Swanströms Stummfilm aus dem Jahr 1926 wird in München mit Live-Musik von Michaela Dietl aufgeführt.

Bimovie 28 - Eine Frauenfilmreihe, Do, 3., bis Mi., 9. November, Neues Maxim , Landshuter Allee 33, www.bimovie.de

Rumänisches Filmfestival

Wenn rumänische Arbeiter in deutschen Schlachtfabriken Schweinehälften zerlegen, wer arbeitet dann in rumänischen Fabriken? In Cristian Mungius Spielfilm "R.M.N." trifft ein in Deutschland schuftender Schlachter in seinem Heimatdorf in Siebenbürgen auf drei Migranten aus Sri Lanka, die in einer Großbäckerei arbeiten. Es ist ein babylonisches Sprachengewirr, das der Film entfacht, man hört Rumänisch, Ungarisch, Deutsch, Französisch, Englisch und Singhalesisch. Mungiu ist der wohl bekannteste Vertreter des neuen rumänischen Kinos, er ist Stammgast in Cannes, gewann die Goldene Palme (für das Abtreibungsdrama "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage"), auch "R.M.N." war dort im Frühjahr dieses Jahres zu sehen.

Jetzt eröffnet das Drama das Rumänische Filmfestival im Münchner Filmmuseum. Insgesamt elf Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme stehen auf dem Programm; sie sollen zeigen, wie vielfältig das Filmland Rumänien ist. Hierzulande kennt man eher die Festivalhits von Regisseuren wie Cristi Puiu, Corneliu Porumboiu, Radu Jude oder eben Cristian Mungiu. Im Filmmuseum werden aber auch Werke wie Iosif Demians "Rondul de noapte" ("Night Patrol") gezeigt, ein Filmexperiment voller erotischer Rollenspiele und Verkleidungen. Oder die Geschichte von "Luca", der Taxifahrer ist, eigentlich aber von einer Karriere als Schauspieler träumt und in eine Mafiageschichte hineingerät. Und wer fährt dann am Ende das Taxi?

Rumänisches Filmfestival, Do., 10., bis Sa., 19. Nov., Filmmuseum , St.-Jakobs-Platz 1

Griechische Filmwoche

In seinem Heimatland hatte er mehr Zuschauer als die Minions oder die Marvel-Blockbuster, jetzt eröffnet das griechische Historiendrama "Smyrna" von Grigoris Karantinakis die Griechische Filmwoche München. Das Länderfilmfestival findet bereits zum 36. Mal statt, die Filme werden in der griechischen Originalversion mit englischen Untertiteln gezeigt. In "Smyrna" geht es um das Massaker in der gleichnamigen Stadt, die heute Izmir heißt; der Film entfaltet über ein Jahrhundert die Geschichte einer Familie, Vergangenheit und Gegenwart verbinden sich. Das griechische Kino ist vielseitig, man sieht das auch am Filmwochenprogramm, das zwölf Spiel- und Dokumentarfilme sowie mehrere Kurzfilme umfasst. Gezeigt werden Komödien, Dramen oder Thriller, sogar ein moderner Western ("Pack of Sheep") ist dabei.

In dem auf realen Ereignissen beruhenden Sozialdrama "Daniel '16" wird ein straffällig gewordener Teenager (Nikolas Kisker) aus Deutschland nach Griechenland abgeschoben, in einem verlassenen Dorf soll er seine Jugendstrafe verbüßen. "Broadway" von Christos Massalas lässt sich dagegen gar nicht so einfach einordnen: Der Film ist Thriller und Musical zugleich, eine Gruppe von Tänzern und Taschendieben zieht durch die Straßen Athens und beklaut das abgelenkte Publikum. Im Kinosaal funktioniert so etwas zum Glück nicht ganz so gut.

Griechische Filmwoche, Fr., 18., bis So., 27. Nov., Eröffnung im Rio Filmpalast , Rosenheimer Str. 46; alle anderen Filme im Gasteig HP8 , Hans-Preißinger-Str. 8, www.griechischefilmwoche.com

Lateinamerikanische Filmtage

Mit einer musikalischen und filmischen Selbstverortung eröffnen die Lateinamerikanischen Filmtage (Lafita): Drei kurze beziehungsweise mittellange Filme werden gezeigt, unter anderem das jüngste Werk von Lucrecia Martel. "Terminal Norte" drehte die berühmte Filmemacherin während des Corona-Lockdowns in ihrem argentinischen Heimatort, sie begleitete die Sängerin Julieta Laso bei einem Treffen mit anderen Musikerinnen.

Das Lafita-Team blickt auf eine lange Geschichte zurück, ihr Festival gibt es seit 1986, gezeigt werden Spiel-, Dokumentar-, Animations- und Kurzfilme. Dieses Mal ist man im Werkstattkino, Gasteig HP8 sowie dem Kulturzentrum Luise zu Gast, auf dem Spielplan stehen Festivalerfolge wie "Los tiburones" aus Uruguay, "Três tigres tristes" aus Brasilien oder das chilenische Drama "1976". Zum Abschluss wird der mexikanische Spielfilm "Robe of gems" gezeigt, in dem drei Frauen mit Drogenbanden aneinandergeraten. Der Film von Natalia López Gallardo lief im Februar bei der Berlinale und wurde dort mit dem Preis der Jury ausgezeichnet.

Lateinamerikanische Filmtage, Di., 29. Nov., bis So., 4. Dez., verschiedene Orte in München, www.lafita.de

Kino Asyl

Auch "Kino Asyl" findet wieder statt, an verschiedenen Orten wie dem Bellevue die Monaco, der HFF, dem Gasteig HP8 oder dem NS-Dokumentationszentrum. Das Festival gibt es seit 2015, die achte Ausgabe wird am Sonntag, 4. Dezember, in den Kammerspielen eröffnet. Gezeigt werden wieder Filme aus aller Welt. Es sind nicht die großen Namen des Weltkinos, die hier auf dem Programm stehen; wer die Festivalhits aus Cannes, Venedig oder Berlin sehen will, wird hier nicht fündig.

Zu entdecken gibt es aber jede Menge, denn "Kino Asyl" versteht sich als Ort für künstlerische Eindrücke und die persönlichen Geschichten von jungen Erwachsenen mit Fluchterfahrung. Das aus Filmen, Gesprächsrunden, Ausstellungen oder Konzerten bestehende Programm wird auch von diesen Menschen kuratiert. Die Festivalmacher setzen auf direkten Austausch, das Publikum soll unmittelbare Einblicke in andere Länder und Kulturen erhalten. Und damit alle an "Kino Asyl" teilnehmen können, ist der Eintritt zu allen Veranstaltungen frei. Um Spenden wird gebeten.

Kino Asyl, So., 4. Dez., bis Fr., 9. Dez., verschiedene Orte in München, www.kinoasyl.de

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