Süddeutsche Zeitung

Kindertagesstätten:Was für die Familie übrig bleibt

Lesezeit: 6 min

Die SPD schlägt vor, dass die Kinderbetreuung in der Stadt für viele kostenlos wird und für alle günstiger. Vier Familien erzählen, was sie von der Idee halten - und was das für ihren Alltag bedeuten würde.

Von Christina Hertel

Kinderbetreuung könnte in München für viele Familien bald kostenlos werden - zumindest, wenn sie weniger als 40 000 Euro im Jahr verdienen. Das hat der Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) diese Woche vorgeschlagen. "Die Lebenshaltungskosten in München sind hoch und für viele Familien nur mit großer Anstrengung zu schultern", sagte er. Entlasten will er nicht nur Geringverdiener, sondern auch Familien in den oberen Einkommensgruppen. Sie könnten dann je nach Verdienst einen Erlass von 20 bis 40 Prozent bekommen. Aber was halten Münchner Eltern von dieser Idee? Und wie geht es ihnen in einer teuren Stadt wie München? Vier Familien erzählen.

Mehr Chancen für alle

Ferihan Yeşil ist eine Frau, die ihrem Kind so viel wie möglich bieten will, damit es die besten Chancen hat. Eine Zeitlang hat sie überlegt, ihre Tochter in einen privaten Kindergarten zu schicken. "Es gibt da einige mit einem sehr guten Ruf, mit Handwerksräumen und Musiklehrerin", sagt sie. Am Ende scheiterte es am Geld. 800 Euro hätte der private Kindergarten im Monat gekostet, 86 Euro zahlt sie jetzt in einem städtischen. Im Vergleich zur Miete in München oder dem Monatsticket für die Bahn sei das günstig, meint sie. Von dem Vorschlag der SPD die Gebühren für viele Familien billiger zu machen oder ganz abzuschaffen, ist Yeşil nicht begeistert. Sie bezweifelt, dass am Ende die Kinder davon profitieren.

Ferihan Yeşil ist 29 und studierte Architektur. Gerade promoviert sie, Geld verdient sie gerade keines. Ihr Mann verdiene als Informatiker knapp unter 60 000 Euro im Jahr, schätzt Yeşil. Eine komplett kostenlose Kinderbetreuung wird ihre Familie nicht bekommen. Die soll es nach Plänen der SPD nur für Familien mit einem Jahreseinkommen von weniger als 40 000 Euro geben, vielleicht wird die Grenze noch auf 50 000 Euro angehoben. Yeşil kann deshalb in jedem Fall lediglich auf einen Nachlass ihrer Gebühren hoffen - von etwa 40 Prozent im Jahr. Doch dieses Geld, meint sie, könnte die Stadt besser anlegen.

Ihre Tochter kam vor drei Jahren im Oktober zur Welt. Weil sie sich in der Kita noch nicht richtig eingewöhnt hat, bleibt sie jeden Tag nur vier Stunden, von acht bis zwölf Uhr. Würde ihre Tochter das volle Angebot in Anspruch nehmen, würde für die Familie maximal 210 Euro anfallen, sagt Yeşil. Sie findet diesen Preis in Ordnung. "Und wenn sich eine Familie den Kindergarten nicht leisten kann, wird die Gebühr ja vom Jugendamt übernommen."

Die Stadt, glaubt Yeşil, könnte mit dem Geld, das sie jetzt ausgeben will, Besseres anfangen. "Es wäre es doch schöner, die Stadt würde von dem Geld Zusatzangebote in den Einrichtungen schaffen." Englischunterricht, musikalische Frühförderung, Sportangebote. "Auf diese Weise hätten alle Kinder mehr Chancen - unabhängig davon, wie sehr sich die Eltern mit ihnen beschäftigen."

1000 Euro für Betreuung

Irgendwann, glaubt Stefanie Meisel, wird ihrer Familie gar nichts anderes übrig bleiben, als von München raus aufs Land zu ziehen. "Oder nach Augsburg zum Beispiel." Meisel klingt nicht gerade so, als würde sie sich auf diesen Tag freuen. Sie ist 37 Jahre alt, gelernte Kauffrau. Ihr Mann Maximilian ist ein ausgebildeter Fachinformatiker. Zusammen verdienen sie im Jahr bis zu 80 000 Euro. Meisel sagt: "Wir müssen den ganzen Monat kontinuierlich auf's Geld schauen." Denn sie haben drei Kinder, und für ihre Betreuung gibt die Familie im Monat an die 1000 Euro aus. Für Familie Meisel würde die Kita nicht kostenlos werden. Ärgert sie das? Stefanie Meisel überlegt kurz und sagt dann: "Naja das ist eigentlich schon immer so, dass wir in München zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig haben." Dass sie immer über irgendwelchen Grenzen liegen, weil auf dem Gehaltszettel dann doch zu viel draufsteht. "Aber ein Jahresgehalt von 60 000 bis 80 000 Euro ist in München einfach nicht viel Wert."

Wenn es nach den Plänen der SPD geht, sollen aber auch die Meisels ein Stück weit entlastet werden: Bei einem Einkommen von 80 000 Euro könnten für sie 20 Prozent der Kita-Gebühren wegfallen. Würde das etwas bringen? "Ganz ehrlich: Mehr Geld ist mehr Geld und darüber wären wir sehr froh." Meisels Sohn Moritz ist vier, und ihre beiden Zwillinge Emma und Lewis sind zwei Jahre alt. Alle drei schickt Stefanie Meisel in den Kindergarten oder die Krippe, jeden Tag von acht bis 15 Uhr.

Zusammengerechnet geben sie und ihr Mann dafür fast 1000 Euro im Monat aus. Der Kindergartenplatz kostet 180 Euro hinzu kommt Essensgeld. Die Krippe ist teurer - es ist eine private, von der Stadt geförderte Einrichtung. Dort zahlt Meisel etwa 750 Euro für beide Kinder. Beim dritten Kind fällt zwar die Krippengebühr weg - aber nicht das Essensgeld, Spielgeld und die Windelgebühr, insgesamt 171 Euro. Für die private Einrichtung hat sich die Familie entschieden, weil sie in der Nähe wohnt.

"Wir nagen nicht am Hungertuch", sagt Meisel. Ein Eis oder eine Playmobilfigur sei schon einmal drin. Aber sie erzählt auch, dass sie die Kleidung für ihre Kinder auf dem Flohmarkt kaufe und eigentlich eine größere Wohnung bräuchte. Ihre jetzige in Neuperlach ist 75 Quadratmeter groß und hat drei Zimmer, für fünf Menschen zu wenig Platz. Die Miete beträgt 1000 Euro. Alle Wohnungen, die sich Meisel bis jetzt angeschaut hat, waren mindestens 600 Euro teurer. "Und das würde richtig weh tun."

Sparen fürs Alter

"Ich will gar nicht nur meckern", sagt Bernd Rose. "Die Lebensqualität in München ist fantastisch." Dann macht er eine kleine Pause und es folgt ein Satz, den man häufig hört in dieser Stadt: "Wenn nur nicht alles so verdammt teuer wäre." Seine Frau und er seien ein typisches Akademikerpaar: Spät Kinder bekommen, spät eine unbefristete Stelle. Er ist 41, Maren Rose drei Jahre jünger. Beide arbeiten im öffentlichen Dienst, er als Projektleiter am Gasteig, sie als Leiterin der Kommunikationsabteilung der Hochschule für Musik und Theater. Zusammen verdienen sie im Jahr um die 60 000 Euro. Ihre Kinder sind drei und fünf, ein Mädchen und ein Junge. "Mein Gehalt", sagt Rose, "deckt noch nicht einmal ganz die Kosten für Miete und Kinderbetreuung." Es freue ihn, wenn er in Zukunft weniger bezahlen müsse - klar. Noch besser fände er es, wenn die Stadt zuerst genug Kita-Plätze schaffen würde, in einer vernünftigen Qualität, mit einem guten Betreuungsschlüssel.

Familie Rose lebt in Laim, ihre Wohnung ist fast 80 Quadratmeter groß, dreieinhalb Zimmer, 1100 Euro Miete. Hinzu kommen 540 Euro für die Betreuung der Kinder in Krippe und Kindergarten. Plus 100 Euro für eine "Ersatzoma", die aufpasst, wenn seine Frau oder er doch mal länger in Terminen feststecken. Heißt unterm Strich: 1740 Euro sind weg, bevor Bernd und Maren Rose etwas zu Essen, Versicherungen, Kleidung oder ein MVV-Ticket bezahlt haben.

Setzt die SPD ihre Pläne tatsächlich um, könnte die Familie 30 bis 40 Prozent bei den Gebühren für die Kinderbetreuung sparen. Dieses Geld würde Rose in seine Altersvorsorge stecken, meint er. "Dazu haben wir nämlich gerade keine Möglichkeit. Den Monat schließen wir immer mit einer schwarzen Null ab." Gut findet Rose an dem Vorschlag, dass nicht nur die ganz geringen Einkommen bei den Betreuungsgebühren entlastet werden sollen, sondern auch Leute wie er - die in anderen Teilen Deutschlands sicherlich nicht als arm gelten würden. Er findet jedoch: "Ein größeres Thema als die Kita-Kosten sind sicherlich die Mieten. Aber das ist wohl ein anderes Thema."

Vernünftige Kosten

Am Ende jeden Monats können Krisztina Szerbin und ihr Mann Ivan 200 bis 300 Euro zurücklegen. Sie wollen sich davon irgendwann eine Eigentumswohnung kaufen, für sich und ihre Kinder. Der Sohn geht in die zweite Klasse, die Tochter in den Kindergarten. "In München wird das wahrscheinlich nichts", sagt Krisztina Szerbin. Und dass die Gebühren für den Kindergarten günstiger werden sollen, ändere daran auch nichts. Krisztina Szerbin ist Steuerfachangestellte, ihr Mann Informatiker; im Jahr verdienen sie zusammen etwa 54 000 Euro, 4500 Euro im Monat.

Das heißt: Kostenlos wird für sie der Kindergarten nicht. Im besten Fall könnten sie 40 Prozent weniger bezahlen. "Natürlich ist es immer gut, wenn die Kosten etwas niedriger werden", meint Szerbin. Doch es sei nicht so, dass sie jeden Cent für den Kindergartenplatz ihrer Tochter zweimal umdrehen müsse. In einer städtischen Einrichtung kostet er 235 Euro. Und dieses Geld, so sieht es Szerbin jedenfalls, übernehme ohnehin heute schon fast komplett der Staat. "Wir zahlen für den Kindergarten gerade mal 40 Euro mehr als wir Kindergeld bekommen - das ist schon okay."

Szerbin ist heute auch deshalb so optimistisch, weil es am Anfang in München für sie noch viel schwerer war. Ihr Mann und sie kamen vor fünf Jahren aus Ungarn nach Deutschland - wegen der Arbeit ihres Mannes. "Informatik ist auf der ganzen Welt gleich. Aber die Ausdrücke für die Steuer nicht." Szerbin musste erst Deutsch lernen, dann kam ihre Tochter zur Welt. "In der Zeit mussten wir wirklich sparen. Jetzt nicht mehr so sehr. Gott sei Dank." Seit einem Jahr arbeitet sie wieder in einer Kanzlei. Das Geld, das sie bei der Betreuung möglicherweise bald einspart, will Szerbin für ihre Kinder verwenden. "Ich würde versuchen, ihnen zu ermöglichen, dass sie alle Sportarten ausprobieren können, die sie möchten." Vielleicht, meint sie, sei dann ja sogar so etwas wie Reiten oder Tennis möglich.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2018
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