Süddeutsche Zeitung

Haus der Kunst:Die Mechanismen der Manipulation

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"Brainwashed": Im Haus der Kunst untersucht eine Ausstellung zur Videokunst, wie Wirtschaft, Medien und Politik die Menschen beeinflussen.

Von Evelyn Vogel, München

Wer nimmt schon freiwillig eine Gehirnwäsche in Kauf? Mittlerweile leider allzu viele Menschen. Was eigentlich als Schreckgespenst gilt, ist im medialen Raum zum alltäglichen Prozess geworden. Auch wenn vielen das oft gar nicht bewusst ist. Aber wer sein Wissen immer nur aus einer Quelle bezieht, kann schnell einseitig informiert und manipuliert werden. Wer sich oft genug Werbung und Seifenopern aussetzt, verliert mitunter den Bezug zur Realität. Und haben sich nicht unzählige Wirtschafts- und Finanzcrashs ereignet, weil die Verantwortlichen statt auf Fakten auf Fiktion setzten und die Träume anderer schamlos und gierig ausnutzten?

Mit Strategien der Manipulation setzten sich auch die Künstler auseinander, deren Videoarbeiten derzeit unter dem Titel "Brainwashed" im ehemaligen Luftschutzkeller im Haus der Kunst zu sehen sind. Die Werkauswahl aus der Sammlung Goetz konzentriert sich dabei auf den kulturellen Mainstream der Nullerjahre, der sich aus dem damals boomenden Reality-TV, den Blockbuster generierenden Hollywoodproduktionen, einer völlig überdrehten Werbebranche und von Musikvideos befeuertem Starkult nährte. Die Arbeiten zeigen, wie eng Wirtschaft, Medien und Politik verknüpft waren, um Menschen zu beeinflussen und Gewinne zu maximieren.

Die Manipulation beginnt schon im Flur, der mit Hilfe von Neonröhren in kühles Blau getaucht ist. Nach der Theorie des Psychologen Robert Plutchik löst diese Farbe Überraschung und Verwirrung beim Betrachter aus. Ein Zusammenhang, den sich auch die Werbung gerne zu eigen macht. Und mit einem Video im Stil eines Werbeclips beginnt auch die Ausstellung: Cheryl Donegan inszeniert sich in "Heat" wie die Karikatur eines Pin-up-Girls, das immer lasziver an einem Milchstrahl leckt.

Um die Soap-Unterhaltung, die während des Tages zwischen den Werbeblöcken als Lückenfüller herhalten muss, geht es bei Bjørn Melhus. Er hat die Bekenntnisse von Teilnehmern einer Reality-Show im Tagesprogramm genommen und in einem clownesken Setting daraus eine absurde Beichtlitanei komponiert. Herrlich! Interessant, dass gleich zwei Exemplare dieser Arbeit nach München verkauft wurden. Nicht nur die Sammlung Goetz besitzt eines, auch die Pinakothek der Moderne, wo es vergangene Woche auch noch lief. Eine sicher nicht beabsichtige Überschneidung, die aber zeigt, wie sehr Videokunst in München geschätzt wird.

Um Religion oder spirituelle Erfahrungen geht es unter anderem bei Seth Price und Shana Moulton. Selbstoptimierung inszenieren Paul Pfeiffer, der den König dieser Kunst auftreten lässt: Michael Jackson, und Ryan Trecartin. Wolfgang Tillmans ruft mit seinen Bildern von rotierenden Scheinwerfern zu Electro-Pop-Klängen das Lebensgefühl der Neunzigerjahre ab. In die jüngere Zeit hingegen führt das Kollektiv "assume vivid astro focus" mit ihrem verrückten Raum in Rot, in dem sich Videokunst und Malerei überlagern. Auch Ryan Ganders Bildwelten aus dem Internetzeitalter zeigen eine jüngere Art der medialen Einflussnahme. Eher retromäßig mutet dagegen Pipilotti Rists Arbeit "I'm Victim of this Song" von 1995 an.

Filmische Collagen haben Jonathan Horowitz sowie Tracey Moffatt und Gary Hillberg kompiliert. Moffatt und Hillberg isolierten Filmszenen, die von Künstlern und Kunstwerken handeln. Erstaunlich, wie viele dabei zerstört werden. Horowitz hat Ausschnitte aus realen wie fiktiven Katastrophenfilmen zusammengeschnitten und führt die Lust der Menschen an Katastrophen und ihren Glauben am Untergang ad absurdum. Dagegen mutet das Werk "between the morning and the handbag II" der norwegischen Künstlerin A K Dolven geradezu meditativ an. Es ist in einem strahlend weiß lackierten Kubus zu sehen, den man wie einen Altarraum betritt. Eine perfekte Inszenierung. Auf diese Art der Gehirnwäsche lässt man sich gerne freiwillig ein.

Brainwashed, Videokunst aus der Sammlung Goetz, Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, bis 28. Juni, Do 10-22 Uhr, Fr-So 10-20 Uhr

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Quelle:
SZ vom 05.02.2020
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