Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Augsburg:Blätter, die die Welt bedeuten

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Die sehenswerte Augsburger Ausstellung "Nacktheit der Zeichnung" präsentiert 90 Arbeiten von 29 Künstlern im Glaspalast darunter große Namen wie Georg Baselitz oder Jonathan Meese.

Von Sabine Reithmaier, Augsburg

Eigentlich hätte die Ausstellung bereits 2020 stattfinden sollen. Doch die Pandemie wusste das zu verhindern. Dafür blieb Stefan Schrammel, dem Vorsitzenden der Augsburger Gesellschaft für Gegenwartskunst (GfG), mehr Zeit zur Vorbereitung. Mit dem erfreulichen Ergebnis, dass sich statt der geplanten 50 nun mehr als 90 Zeichnungen von 29 Künstlern in den drei H2-Kabinetträumen des Glaspalastes Augsburg drängen.

Arbeiten auf Papier bilden seit jeher einen Schwerpunkt der ambitionierten Arbeit der Gesellschaft, auch deshalb, weil diese Werke im großen Ausstellungswesen oft untergehen. Findet jedenfalls Stefan Schrammel, seit 1993 Vorsitzender der GfG. "Zeichnung geht unter die Haut", schreibt er im Katalog, schwärmt von der Bandbreite der Techniken oder den unterschiedlichen Papieren, die den Künstlern nahezu unendliche Ausdrucksmöglichkeiten erlauben.

Doch egal ob Bleistift, Tusche, Filzstift, Gouache oder Collage, ob dickes Bütten-, hauchzartes Japanpapier oder ein Notizblockblatt - eine Gemeinsamkeit haben die ausgestellten Werke, die den Zeitraum 1917 bis 2021 umspannen: Sie verzichten überwiegend auf Farbe. Aus den Jahren vor 1945 ist Max Beckmann mit einem hinreißenden, mit Tusche skizzierten Liebespaar vertreten. Die frühe Nachkriegszeit vertritt eine großartige Werkgruppe von Ernst Wilhelm Nay oder Bleistiftzeichnungen Andy Warhols aus den Fünfzigerjahren.

Breiten Raum nimmt die aktuelle Gegenwartskunst ein. Eine Reihe von Arbeiten sind erst in den vergangenen zwei Jahren entstanden, die Zeichnungen von Albert Oehlen oder Jana Schröder etwa, der einzigen Künstlerin in der Schau. Die Malerin, Jahrgang 1983, verhandelt in ihren Bildern die Balance von Flächen und Linien, entwickelt wundervoll verschlungene Gewebe. Auch die Tuschezeichnungen von Daniel Richter, der unter anderem einen auf Krücken gestützten Mann durchs Bild humpeln lässt, stammen aus jüngster Zeit.

An großen Namen mangelt es nicht: Georg Baselitz ist genauso präsent wie Anselm Kiefer, Thomas Schütte oder Martin Kippenberger. Letzterer nutzt Hotelbriefpapier, zeichnet mit Kugelschreiber in die untere rechte Ecke desselben die nicht sehr vorteilhafte Rückenansicht eines Mannes, der auf das oben abgebildete Hotel Villa Corner della Regina zuzustreben scheint. Raymond Pettibon, dessen Arbeiten an Comics erinnern, dokumentiert den amerikanischen Traum, während Jonathan Meese den "Dr. Selfmeese" erfindet. Der 1971 in Linz geborene Tobias Pils, der seit seiner Ausstellung in der Wiener Secession 2013 eine steile Karriere hingelegt hat und auch als Maler ein Meister der Grautöne ist, mischt hingegen abstrakte und figurative Bildelemente, entzieht sich jeglicher Kategorisierung.

Den Ausstellungstitel verdankt Schrammel dem amerikanischen Maler Philip Guston, der einmal geschrieben hat: "Es ist die Nacktheit der Zeichnung, die ich liebe. Der Akt des Zeichnens ist es, der verortet, suggeriert, entdeckt..." Und von der Gültigkeit des Satzes kann sich in Augsburg jeder Besucher selbst überzeugen.

Nacktheit der Zeichnung. Bis 4.12., H2 Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast, Augsburg. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (Preis: 29 Euro)

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