Süddeutsche Zeitung

Geburtshilfe in München:Babyboom trifft auf Hebammenmangel

Lesezeit: 3 min

Von Isabel Bernstein

In der Stadt kommt es vor allem bei der Versorgung von Frühgeburten und kranken Neugeborenen immer häufiger zu Engpässen. Innerhalb von einem Jahr hat sich von 2016 auf 2017 die Zahl der Fälle fast verdreifacht, in denen sich Geburtshilfeeinrichtungen und neonatologische Abteilungen im gesamten Stadtgebiet abgemeldet haben, sie also über Stunden keine Kapazitäten mehr frei hatten. Das geht aus der Analyse "Schwangerschaft und Geburt" hervor, die das Referat für Gesundheit und Umwelt gemeinsam mit dem Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität erarbeitet hat. Die Ergebnisse will Gesundheitsreferentin Stephanie Jacobs am Donnerstag dem Stadtrat vorstellen.

Die Suche nach einer Hebamme gestaltet sich demnach für viele schwangere Frauen ebenfalls schwierig, fast jede Zweite hatte hier Probleme. Im Schnitt mussten sie 5,3 Hebammen kontaktieren, um eine Zusage zu erhalten; bei Erstgebärenden waren es sogar 6,6. Und auch Ärzte und Hebammen klagen über den zunehmenden Druck in der Geburtshilfe: Die medizinische Versorgung werde nur "durch einen bis an die Belastungsgrenzen gehenden Einsatz ermöglicht", heißt es.

Die Analyse bestätigt das, wovor Ärzte und Hebammen seit Monaten warnen: Durch den Zuzug sowie steigende Geburtenzahlen und die Schließung mehrerer Geburtshilfeabteilungen im Umland gerät die medizinische Versorgung von Schwangeren und Neugeborenen an Grenzen. 23 668 Babys sind in München im vergangenen Jahr auf die Welt gekommen; ein Viertel der Geburten von Frauen, die für die Entbindung in die Landeshauptstadt gefahren sind. Auch die Münchner selbst bekommen mehr Kinder: Von 2004 bis 2017 hat sich die Zahl der Geburten um fast 40 Prozent erhöht.

Die Situation ist für Frauen, die ihr Kind vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt bringen, schon jetzt angespannt. In der zweiten Jahreshälfte 2017 haben sich die Münchner Geburtshilfeeinrichtungen insgesamt jeweils 50 Stunden pro Quartal vom elektronischen System "Ivena" abgemeldet, über das die Krankenhäuser mit den Rettungsleitstellen verbunden sind. Oftmals waren es nicht einmal die Geburtshilfen selbst, die keine Kapazitäten mehr vorweisen konnten, sondern die Neugeborenen-Intensivstationen.

Insgesamt gibt es in München 84 Plätze; diese existieren aber oft nur auf dem Papier: Wegen Personalmangels sei "von einer deutlich niedrigeren Zahl verfügbarer neonatologischer Intensivbehandlungsplätze auszugehen", so der Bericht. Schwangere werden daher unter Umständen abgewiesen oder müssen in eine Klinik außerhalb Münchens verlegt werden. Wie oft das in den vergangenen zwei Jahren vorgekommen ist, kann die Studie nicht aufklären, denn nicht alle Krankenhäuser erfassen diese Daten.

Insgesamt verfügt München über elf Geburtshilfeabteilungen, die an acht Krankenhäuser angeschlossen sind. Frauen, die ihr Kind in der 37. Schwangerschaftswoche oder später zur Welt brachten, hatten der Studie zufolge weniger Probleme beim Aufsuchen der Klinik. Zwar kam es auch hier immer wieder zu vereinzelten Abmeldungen. 2016 und 2017 seien aber zu jedem Zeitpunkt mindestens vier Geburtshilfen verfügbar gewesen, heißt es in dem Bericht. Mehr als jede neunte Frau konnte ihr Kind in der Klinik zur Welt bringen, in der sie sich angemeldet hatte; weniger als drei Prozent der Schwangeren mussten auf andere Krankenhäuser ausweichen, weil ihr gewünschtes keinen Platz frei hatte.

Für den Bericht wurden auch 457 Mütter im Wochenbett befragt. Drei von vier gaben an, zufrieden oder höchst zufrieden mit der medizinischen Versorgung zu sein. Mehr als 85 Prozent hatten kaum oder gar keine Probleme, einen Frauenarzt zu finden oder dort Termine zu bekommen. Einen Kinderarzt hatten die meisten im Schnitt nach 1,8 Anrufen, wobei sich vor allem bei Erstgebärenden zeigte: Je früher sie mit der Suche anfingen, desto weniger Kinderärzte mussten sie kontaktieren.

Über die Hotline fand jede zweite Familie noch eine Hebamme

Gänzlich anders stellt sich die Situation bei Hebammen dar. Fast jede fünfte Frau musste zwischen sechs bis 15 Hebammen kontaktieren, bis sie fündig wurde. 2,5 Prozent der befragten Mütter im Wochenbett hatte noch keine für die Nachsorge gefunden. Die Stadt versucht seit vergangenem Jahr, den Hebammenmangel etwas abzufedern. Mit der Hebammenhotline hat sie eine Notfallnummer für Frauen gestartet, die trotz langer Suche niemanden für die Schwangerschaftsvorsorge und das Wochenbett gefunden haben.

Sie können sich unter der Woche täglich bei einer zweistündigen telefonischen Sprechstunde Hilfe suchen. Etwa die Hälfte der Frauen, die sich hier gemeldet hat, fand so noch eine Hebamme. Allerdings, so hält der Bericht fest, fällt das Ergebnis in der Stadt teils sehr unterschiedlich aus. In manchen Gegenden konnten alle Frauen vermittelt werden, in Feldmoching-Hasenbergl, Untermenzing, Milbertshofen, Moosach/Nymphenburg und Kleinhadern tat sich dagegen auch die Notfallhotline schwer.

Wie geht es weiter mit der Geburtshilfe und Nachsorge in München? Die Stadt rechnet nicht damit, dass die Zahl der Entbindungen sinken wird, im Gegenteil könnte sie Prognosen zufolge bis 2035 allein bei Münchner Bürgern nochmals um bis zu 19 Prozent steigen - das Umland nicht eingerechnet. Auch wird mit mehr Risikoschwangerschaften gerechnet, sollte der Trend anhalten, dass Frauen immer später das erste Kind bekommen. Die Herausforderungen für das Gesundheitswesen in München werden nicht kleiner.

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Quelle:
SZ vom 08.11.2018
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