Süddeutsche Zeitung

Rock:Der Beat der alten Männer

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Reinhard Gampe singt über das Verstreichen der Zeit, lässt sich von Joseph Beuys inspirieren und fährt gerne Laster. Sein neues Album "Tiny House Blues" ist voller Erinnerungen und Geschichten.

Von Christian Jooß-Bernau, München

Da sitzt sie also in der Tram und zupft an ihrer Bluse. Telefoniert mit der Mama wegen dem Schweinsbraten morgen Mittag. "Es kannt spät werdn heut", sagt sie. Weil sie unterwegs ist zu ihm. "Er hoit zu dir, wia a sturmfester Baum", singt der Gampe. Aber ist das Zukunft oder Illusion? Das weiß sie wohl selbst nicht: "Und du träumst von sowas wia Liebe, in da 19er-Tram." Von Pasing kommend fährt die 19er einmal durchs Herz der Stadt - "Richtung Laim naus", singt Reinhard Gampe. Es ist der Zauber seiner Lieder, dass man sie fassen kann, sie Orte haben, hinter ihnen Geschichten liegen, auch wenn er sie nur andeutet. "Tiny House Blues" heißt Gampes auf seinem eigenen Label erschienenes neues Album. Musik macht er schon lange, 2017 erschien beim Münchner Label Trikont "Huba Luba", ein Album, das auf seine Weise Trikont an die frühen Tage erinnerte: Mit handfest proletarischem Bewusstsein sang Gampe hier in vielen Liedern von der Arbeit. Ein Poet mit dreckigen Pratzen.

Mit introvertiert tänzelndem Schlagzeug und einer um sich selbst kreisenden Trompete beginnt diesmal der Titelsong. "Tiny House Blues" - ein Lied über die Fliehkräfte des Lebens, die Menschen auseinanderdrücken. Wo die eine dann noch einmal den Aufbruch wagt, zu Fuß Richtung Mailand, und der andere sitzen bleibt - am Fenster der kleinen Wohnung: "drunt in der Au". Von diesem Fester aus ist kein Birnbaum zu sehen.

Musikalischer Partner an Gampes Seite ist seit Jahren der Schlagzeuger Evert van der Wal, ein Profi, der in seinem Leben mit vielen gespielt hat und den Gampe liebevoll "den Holländer" nennt. Van der Wal hat sich diesmal als musikalischer Direktor um die Klanggestaltung gekümmert und Gampe zum Sänger gemacht. Arbeitsteilung, die funktioniert und nette Vielfalt wachsen lässt: vom Gypsy-Brass-Rocker "Mala Figura" bis zur Heurigen-Abschiedsnummer "Wasserfall".

Mit dem Hammer klopft er im Motorraum der Zweisamkeit herum

Im einem gut gelaunten Up-Tempo-Rocker fährt Gampe nach Wien, und noch vor Holzkirchen ruckelt da was im Motor: "Da lafft was ned synchron", findet der Sänger. Was gleichermaßen für die Beziehung zur neben ihm Sitzenden gilt. Man traut ihm sofort zu, die Schrauben der Liebe mit dem Zehnerschlüssel nachzuziehen und zärtlich mit dem Hammer im Motorraum der Zweisamkeit herumzuklopfen. Natürlich ist das der Humor des alten Mannes, aber der führt zum Kern des Albums. Denn von einem bestimmten Alter an ist es naturgegeben, aus der Zeit zu fallen. Ein armer Tropf und alter weißer Mann ist nur, wer das nicht erkennt. Reinhard Gampe hat auch darüber ein Album gemacht - über das Verstreichen der Zeit, die aufsteigende Erinnerung und die Jungen von gestern, die plötzlich reden wie ihre eigenen Väter.

"Alte Männer, neue Zeit" heißt die Nummer, die Gampe ursprünglich zum Titelsong machen wollte. Zum Shuffle-Beat wuchtet die E-Gitarre sich durch die Verse: "Im Export zeigt sich Größe / Koana fragt nach de Toten im Tal / Sag, willstas wirklich wissen / Des san de Raucher von Reval". Man hört sie, ihr Gesoder zum Bier, ihre in die Jahre gekommenen Witze, ihre lange abgehangene Meinung. Auf den zweiten Blick ist das sehr fein gezeichnet, bis zum vollen Aschenbecher. Reval kennt Gampe noch von der Zeit am Bau, als man in der Mittagspause Brotzeit und Kippen holte: Reval und Salem waren die Malochermarken. Gampe sieht nicht von außen durchs Fenster, er sitzt mit am Tisch: "Du kannst lästern über dieses und jenes, aber dann denke ich, muss man sich selber auch ins Zentrum stellen, sonst wird es anklagend langweilig."

So ein Song schafft seine eigene Realität

Im Abgang seines Dialekts hört man noch deutlich die Oberpfalz durch. Er kommt aus Regensburg, hat da ein Studium angefangen, Germanistik, Theaterwissenschaft. Hat in München eine Entschuldigung gefunden, damit aufzuhören. Wurde Grafiker. Und ist immer gerne Laster gefahren. Heute fährt er mit einem Übertragungswagen für ein Medienunternehmen zu Sportevents. Unabhängig bleiben, das ist das Ziel. Viel Zeit haben, abends im Hotel oder auf Produktion. Für Gedanken und Songs. Mittlerweile lebt er in Wasserburg und genießt die kleine Distanz zur großen Stadt. Musikalisch-soziale Plastiken nennt er seine Lieder. Dass da der Kunstbegriff von Joseph Beuys aufscheint, ist kein Zufall. Der Gampe-Sound ist im Kern immer noch süffiger Kneipenbluesrock, in den wuchtigsten Momenten so heavy wie ZZ Top, in den feinsinnigen eher in Richtung Dylan und die weite Americana-Welt tendierend. Nie aber selbstbezogen hermetisch.

Klar: Manche, die schon sein Album gehört haben, haben sich beschwert, dass man oft nicht gleich versteht, wovon er da singt, sagt er. Ein wenig fragend, klingt das. Aber so ein Song ist ja kein Erklärstück zur Wirklichkeit, sondern schafft seine eigene Realität und baut mit am Leben. Der wehmütige Walzer "Roter Mond" ist so ein Fall. Inspiriert durch eine Geschichte seiner Mutter über eine Freundin und deren Liebe zu einem GI. Man muss das nicht wissen, um das kurze Glück und den Abschied zu spüren.

Gampe denkt schon an einem nächsten Projekt herum, einem Text-Ton-Album mit "Erzählungen aus dem Prekariat", so, wie sie beispielsweise über seine Mutter zu ihm gefunden haben. 61 ist er jetzt. Und grübelt auch über seinen Vater. Politisch ist er damals oft mit ihm zusammengerückt. Heute tut ihm manches leid, weil er den Schmerz nicht gesehen hat, den der Krieg über die Generation vor ihm gebracht hat. Sepiagetönte Fotos haben ihren Weg ins Booklet seines aktuellen Albums gefunden. Das Coverbild, Zirkusdromedare, die aus einem Zugwaggon steigen, hat er bei einem Kunsthändler in Wasserburg gefunden, der Rest kommt aus Familienalben. Die Menschen auf den Bildern leben nicht mehr. Aber irgendetwas bleibt. Ein Foto, ein Wort, ein Ton.

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